Der schöne Wahn – Kapitel 1

Der Trauerzug setzte sich vom Schlosse aus die schluchtartig tief eingeschnittene Fahrstraße hinab der im Tale gelegenen Pfarrkirche zu in Bewegung.
Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr mit blanken Helmen, brennende Fackeln in den Händen, geleiteten den von acht Bauernburschen getragenen Sarg, auf dessen schwarzem Bahrtuch das gräflich Rothkreuzsche Wappen an den vier Seiten befestigt war. Hoch wehte die schwarze Kirchenfahne mit dem weißen Kreuze dem Zuge voraus. Eine ländliche Musikkapelle spielte hinter der Fahne, die ein Mann im weißen Chorrock trug, einen Trauermarsch. Landleute bildeten ein lockeres Spalier längs der beiden Straßenseiten, und ein Geflüster entstand unter ihnen, als allein hinter dem Sarg schreitend ein hochgewachsener, dunkelhaariger Jüngling sichtbar wurde. Graf Theodor, der jetzige Gebieter von Schloß und Herrschaft Hochrothkreuz. Als er langsamen Schrittes, den feinen Kopf leicht gebeugt, an ihnen vorrüberkam, meinten die Bauernweiber:
„Nobel ist er halt, gar nobel.“
Die hinter ihm schreitenden Persönlichkeiten waren meist dem einen oder anderen bekannt. Der Herr mit dem graumelierten, schwarzen Spitzbart im hageren Gesicht, an dessen schlanken Taille sich die Uniform eines Chevaulegers-Obersten so elegant schmiegte, war Graf Heinrich Rothkreuz, des Verstorbenen einziger Bruder; der kleine Dicke mit dem gutmütigen, sich jetzt feierlich machenden roten Gesicht war der Baron Tellhausen aus Gebhardsberg drüben, dann kamen der Graf Seilboit von Tunting, der Baron Mühlhof von Kettenhausen und andere adelige und bürgerliche Gutsbesitzer, Beamte des nahen Amtsstädtchens Haltenburg und dazwischen Herren aus München, die man nicht kannte.
Der Baron Ried von der Froschburg war auch unter den Herrschaften, und da und dort fiel eine spöttelnde Bemerkung über das kleine Männchen mit den langen schwarzen Bartkoteletts und der großen Habichtsnase, das so stolz einherschritt, obwohl sein schwarzer Anzug gar nicht mehr „extra“ war.
„Zu einem neuen hat´s halt nicht gelangt!“
„Vielleicht is der schon vom Juden gepumpt!“
„So´n Lump gehört gar nicht da her!“
„Der junge Herr hat´s ja mit der Tochter!“
„Schwiegervater werden, das könnte ihm wohl passen!“
„I wo! So´ne Bettelbagage und der Graf Rothkreuz! Karessieren – ja – aber heiraten!“
So sprach man an einer Stelle, als der Baron vorbeikam.
In Niederrothkreuz, von dessen Kirchturm die Glocken mächtig dröhnten, wurde die ländliche Volksmenge noch dichter; von Niedermeiers „Gasthaus zur Post“ stand eine erkleckliche Anzahl leichter Einspännerwagen.
In dichtem Gedränge und ohne schonende Rücksicht für die Gräber hielten die Bauern den Friedhof besetzt. Die gräfliche Gruftkapelle war an einer Längsseite der Pfarrkirche angebaut, und vom Friedhof her stieg man, da die schwere Steinplatte schon abgehoben war, mit dem Sarge hinunter in das Gruftgewölbe, wo nur noch die Geistlichkeit und die nächsten Leidtragenden Raum fanden, indessen das übrige Geleit oben harrte, bis nach der Bestattung der Ortspfarrer vor dem offenen Gewölbe die Trauerrede hielt, auf die dann in der Kirche das Traueramt mit vier Beimessen unter dem Gesange eines aus Lehrern der Umgegend gebildeten Chores zelebriert wurde.
Es war schon nicht mehr allzuweit von der Mittagsstunde, als die tief verschleierten Damen die Equipagen zur Rückfahrt in das Schloß bestiegen, indessen die Herren sich anschickten, den Rückweg zu Fuß zu machen. Sie taten dies, begleitet und gefolgt von der Hauptmenge der Landleute, die der Schloßbrauerei zustrebte. Ein anderer Teil füllte bald die Räume des Gasthauses „Zur Post“, und nur ganz wenige waren es, die sofort zum Heimkehr einspannten. In landesüblicher, geräuschvoller Weise wurden da und dort die Schloßereignisse besprochen. Es war rasch gegangen mit dem alten Herrn Grafen. Zwar hatte man schon seit längerem von einem Beinleiden gehört. Die meisten dachten dabei an Zipperlein; viele hatten aber erfahren, dass es eine ganz andere Krankheit des Blutes sei. Am Brand war denn auch der Graf binnen wenigen Tagen gestorben, nachdem man erst vor einem halben Jahr den ältesten Sohn, Graf Hugo, begraben hatte. Der war an einem Herzübel gestorben. Das war ein böses Angebinde schon von Kindheit auf gewesen. Vielleicht hätte er es noch länger getrieben, wenn er nicht eben ein durstiger junger Herr gewesen wäre. Sie hatten ihn in der ganzen Gegend lieb gehabt, den „Dicken von Hochrothkreuz“, der sich viel unter den Leuten bewegte, den richtigen Ton mit ihnen anzuschlagen wußte und stolz darauf war, ein Kind der Gegen zu sein. Allerlei kleine Scherzchen und harmlose Begegnungen mit ihm wurden wieder aufgefrischt. Böses hatte er nie getan. Den Förster- und Lehrerstöchterchen der Gegend stieg er wohl gerne nach, schätzte auch ein dralles Bauernmädchen nicht gering.
Das hatte er vom „Alten“. Der hatte es toll getrieben mit den Frauensleuten in seiner Jugend, und auch später war ganz und gar kein Heiliger. Es war noch schlimmer, als was der Bauernsinn einem jungen Burschen gern verzeiht, dem Ehemann aber nicht gern gestattet. Freundlich war der alte Graf gewesen, auch freigebig zu gegebener Zeit. Das kam aber doch nicht so vom Herzen, war immer ein bißchen von oben herab, und das stimme auch damit überein, dass in gewissen Fällen des Gemeindelebens oder bei kleinen Streitigkeiten, wie sie unvermeidlich sind, sehr oft der „Graf“ gegen den „Bauern“ ausgespielt wurde. Ging´s doch auch im Schlosse sehr steif und streng zu.
Der Graf Hugo hatte es von der Mutter gehabt, das leutselige Wesen, gerade wie die Komtesse Albertine, das arme Krüppelchen mit dem Hinkebein, das immer zu finden war, wo´s Kranke, Arme oder irgend ein Herzeleid zu trösten gab. Der neue Graf, der war ja wohl auch bekannt, so gut wie seine Geschwister. Aber schon früher hatte er eine andere Art wie diese gehabt, etwas vom Vater. Und als er dann in München studierte und nur in den Ferien sich in der Gegend herumtrieb, da kam niemand so recht an ihn heran. Wahrscheinlich würde er gar nicht auf dem Schlosse leben, sondern nur zeitweise nachsehen kommen. Er verstand ja auch nichts von der Gutswirtschaft. Und das hätte not getan, denn eine Musterwirtschaft war´s nicht in Hochrothkreuz und Graf Hugo hatte darauf studiert. Der „Neue“ war freilich in den Ferien immer viel herumgeritten und liebt es sogar, große Fußtouren in der Umgegend zu machen. Aber was er damit wollte, wußte niemand. Der Oberförster und der Rentmeister hatten immer die Achseln gezuckt, wenn einmal von ihm die Rede war. Kurz und gut, es war nicht viel los mit ihm. Hochrothkreuz stand nun aber einmal da, und zu einer solch prächtigen Herrschaft gehört auch ein richtiger Herr. Schier eine Schande für die Gegend wär´s, ging´s zurück damit.
Auf dem Schlosse hatte man sich im Speisesaal zu einer Mahlzeit zusammengefunden, in deren Verlauf die anfängliche feierlich Haltung einem ziemlich geräuschvollen Durcheinander von Gesprächen wich in die sich auch gelegentlich einmal ein kurzes Gelächter mischte. Dann war man auf die Veranda hinausgetreten und pflegte dort in lockeren Gruppen, Kaffee trinkend und rauchend, weitere Unterhaltung über den Verstorbenen, über Geschäfte, Politik, Freunde. Dazwischen schenkte man wohl dem schönen Landschaftsbilde einige Aufmerksamkeit. So tat es neben seinem Neffen stehend Graf Heinrich Rothkreuz, der Chevaulegers-Oberst. Zärtlich nachdenklich streiften seine Augen über die Parkanlagen, die sich mit Schlangenpfaden zwischen den malerischen Baumgruppen talwärts senkten; dann über von kleinen Tannengruppen untermischtes Getreideland, aus dem ein Kirchturm über einem großen Dorfe aufragte, zu zwei hohen Waldrücken;; der eine zeigte auf seinem Kamme eine freie Fläche aus deren Mitte drei schlanke Tannen, die Gegend wie ein Wahrzeichen beherrschend, aufstiegen. Zwischen den beiden Bergrücken aber öffnete sich ein zweites, in bläulichem Dunste schwimmendes Tal, und hinter diesem ragte eine vom Wendelstein beherrschte Alpengruppe herein.
Graf Heinrich sprach von der viel weiteren Aussicht auf die Alpenkette, die sich dort oben bei den drei Tannen bot, frischte Jagderinnerungen aus der Jugendzeit auf, gedachte mit halb unterdrücktem Schmerze einer hübschen Wirtstochter, die da drüben in Keiling damals gelebt hatte, und fragte dann den Neffen: „Du hast also deinen Entschluß schon gefaßt? Du verzichtest auf die politische Karriere?“ – „Ja,“ lautete die Antwort. „Ich will auf dem meinigen sitzen.“ – Graf Heinrich sah seinen Neffen forschend an und meinte mit einem leisen Lächeln: „Ob du´s aushalten wirst als Bauerngraf. Bist bisher doch ein sehr eifriger Gesellschaftsmensch gewesen.“ – „Ich will´s wenigstens versuchen,“ entgegnete Graf Theodor und sah wie zerstreut über die Landschaft hin. „Im Winter wirst du aber doch in München wohnen?“ – „Das weiß ich noch nicht. Ich denke, es läßt sich auch der Winter hier behaglich machen. Papa hat´s zwar nie getan. Aber Hugo war sehr gerne auch im Winter hier.“ – Baron Tellhausen hatte sich zu ihnen gesellt, und die letzten Worte auffangend, sagte er: „Besser ist´s schon, dass des Herrn Auge immer wacht. Bei dir freilich kommt es nicht so sehr darauf an. Du brauchst ja doch einen tüchtigen Inspektor. Oder willst du mit den Spitzbuben weiter arbeiten, mit denen dein Vater gewirtschaftet hat?“ – Der alte Tellhausen durfte sich schon etwas erlauben, aber Graf Theodor war doch etwas verdutzt und meinte: „Ich weiß natürlich noch nicht, wie ich mir´s einrichte. Aber ich habe noch nie etwas gehört, als seien der Rentmeister Hagenbach und Oberförster Klein unzuverlässige Leute. Papa hatte sie sehr gerne.“ – „Wie oft habe ich mit ihm darüber gesprochen,“ entgegnete der Baron. „Zum mindestens sind´s Faulenzer. Dein Vater liebte diese patriarchalische Wirtschaft mit den devoten Diener, die hinter dem Rücken tun, was sie wollen, und hasste die modernen Angestellten, die sich so viel auf ihr Können einbilden, dass sie den eigenen Herrn für ihresgleichen ansehen. Das war so seine Redensart. Aber was kaufe ich mir für eine untertänige Reverenz, wenn der Kerl nichts taugt. Und heutigen Tages sind solche Reverenzmacher erst rechte Heuchler. Du wirst´s ja sehen.“ – „Jedenfalls rechne ich auf deinen freundschaftlichen Rat und dieselben Gesinnungen, die du meinem Vater immer gezeigt hast.“ – Damit reichte Graf Theodor dem Baron die Hand. Dieser schüttelte sie herzlich, meinte aber: „Hoffentlich habe ich mit meinem Rat mehr Glück bei dir als bei deinem nunmehr seligen Vater. Mit dem war nicht viel zu machen. Er wollte einemal Rokoko spielen und hielt mich gelegentlich für einen Liberalen, weil ich meinte, wir müßten mit dem letzten Restchen Feudalismus aufräumen, das noch an uns hängt, um auf dem laufenden bleiben zu können. Ha! du hat ja wohl andere Anschauungen. Nur hoffentlich nicht wieder das Gegenteil! – liberale Schrullen da bin ich gar nicht zu haben. Wir sollens uns die Zöpfe abschneiden, aber unsere eigene Haut brauchen wir deshalb noch nicht zu verschenken. Das ist meine Meinung.“ Graf Heinrich nickte mit dem Kopfe. – „Ich bin ein Rothkreuz,“ bemerkte Graf Theodor. Bald da, bald dort einem einzelnen oder eine kleinen Gruppe sich zuwendend, machte er die Wahrnehmung, dass Baron Ried nirgend recht Anschluß fand, sondern unsicher herumstehend eine etwas schiefe Rolle spielte. Es gelang ihm ach einer Weile, ihn in der allgemeinen Geselligkeit unterzubringen. Bald hatte er dann, lebhaft gestikulierend und mit lauter Stimme redend, die Führung des Gesprächs gewonnen. Er erzählte von seiner früheren Besitzung in der Oberfpalz, und der Graf Rothkreuz bedauerte jetzt fast, ihn aus seiner Isolierung heraugeholt zu haben, denn seine Prahlereien waren unerträglich. Einige Herren zogen sich denn auch etwas verstimmt aus dem Kreise zurück, und an Baron Mühlhof wurde von einem der Münchener Trauergäste, der in der Gegend völlig fremd war, die Frage gerichtet: „Wer ist denn eigentlich dieser Herr von Ried? Haust der hier in der Nachbarschaft?“ – „Da drüben auf Gut Grafenwang,“ antwortete der Baron, gegen die Waldrücken deutend. – „Ein schrecklicher Mensch,“ hieß es von anderer Seite. – „Wir in der Gegend machen uns auch gerade keine besondere Ehre aus seiner Anwesenheit. Er ist erst vor zwei Jahren hier zugezogen.“ Der Baron machte bei diesen Worten eine sehr geringschätzende Miene und Handbewegung. „Es muß ein ganz heruntergekommenes, trostloses Ding sein, dieses Grafenwang,“ sagte jemand. – „Ehemals gehörte es zu Hochrothkreuz“ – gab der Baron Aufschluß. „Die Vormundschaft des Großvaters des neuen Herrn hier hat es verkauft. Ende der fünfziger Jahre spielte dort übrigens ein Roman. Der damalige Besitzer, es war ein Bürgerlicher, dessen Namen mir im Augenblick nicht einfällt, hatte auch die Schwester seiner Frau bei sich wohnen. Die Frau starb plötzlich. Es ging die Rede von einem Verhältnis zwischen Schwager und Schwägerin und von Mord. Die Sache lag so, dass es zu einer Schwurgerichtsverhandlung kam. Beide wurden freigesprochen. Sie verschwanden dann bald aus der Gegend. -“
Baron Rieds Stimme klang noch lauter als vorher. Es war ein ganz nebensächliches politisches Thema angesprochen worden. Einer der anwesenden Geistlichen hatte den Anlass benutzt, auf das Gebiet hoher Politik hinüberzulenken. Baron Ried schien sich aber jetzt besonders im Fahrwasser zu fühlen und riß so wieder die Führung an sich. Zwar bekannte er sich wie die anderen zur Zentrumspartei, offenbarte aber doch allerlei Ansichten, die ihm bestritten wurden. Er behauptete um so schärfer einen Standpunkt, und die Landgeistlichen, die ihm ebenso eifrig opponierten, waren der seinen Sitte nicht kundig; einer oder der andere von der übrigen Gesellschaft ließ sich durch eine exzentrischen Behauptungen auch zu heftigerer Rede fortreißen. So gab es bald eine so geräuschvolle Debatte, dass man an Wirtsstubengebräuche erinnert wurde. Die Gräfin-Mutter wurde unruhig, weil sie sah, dass verschiedene der anderen Damen ihr Mißfallen nur mühsam verbergen konnten. Auch der junge Hausherr wurde nervös und meinte zu Graf Seilbott: „Wenn sie nur endlich aufhörten!“ Da nahm sich dieser der Sache an, trat in den politisierenden Kreis und mischte sich scheinbar in die Diskussion, um nach wenigen Worten leichthin zu bemerken: „Es ist ja hier nicht Ort und Anlaß, um auf die Fragen einzugehen. In einem Trauerhause und vor Damen sind wir eigentlich schon zu lebhaft geworden.“ – Baron Ried merkte jetzt seinen gesellschaftlichen Verstoß und eile zu den Damen. Nach einigen schwülstigen Entschuldigungen suchte er der Sache eine andere Wendung dadurch zu geben, dass er über die Landgeistlichen spöttelte. Er fand eine eisige Aufnahme seiner Malicen. Indessen brachen die Münchner Gäste auf, um rechtzeitig an die Station zu kommen und dies war auch die mit ihren Equipagen Gekommenen der Anlaß, einen Diener zu ihren Kutschern nach der Schloßbrauerei mit einem Aufbruchsbefehl zu senden. Bald waren nur noch der Onkel Oberst, der beim Ordnen des Nachlasses seines Bruders behilflich sein wollte, wie er es bei den Anstalten gleich nach dem Tode gewesen war und die Gräfin Seibott zurückgeblieben, die ihren Gatten allein nach Tunting hatte zurückfahren lassen, um den ihr innig befreundeten Damen noch am Abend des Trauertages Gesellschaft zu leisten. Im Laufe des still dahingleitenden Gespräches kam man wieder auf diesen Baron Ried zu sprechen. „Ja, er ist eine fatale Nachbarschaft,“ bemerkte die Gräfin-Mutter, und ihr Bild heftete sich dabei auf den Sohn. – „Es wird einmal ein böses Ende nehmen.“ – Gräfin Seibott sagte: „Vor einigen Jahren, als sie noch in München lebten, waret ihr ziemlich befreundet damit. Ich traf die Baronin einmal bei dir, und sie wenigstens gebärdete sich ziemlich intim.“ – „Ja, ja, die Tatsache, dass wir beide Österreicherinnen sind, gab ihr den Anlaß zu einer Art Zutunlichkeit, die ich nie erwidert habe“ – lautete die Antwort. „Seit sie hier in der Nähe sind, mußten wir aber den Umgang aufs äußerste einschränken, denn er macht sich ja eigentlich unmöglich. Theodor ist in den Ferien gerne drüben bei den Mädchen gewesen. Der selige Hugo war kein Damenheld und auf den Baron so wenig zu sprechen wie sein Vater.“ „Jetzt in deiner veränderten Stelle wird wahrscheinlich auch du bald dazu kommen, dir Vorsicht aufzuerlegen,“ wendete sie sich an den Sohn. Dieser antwortete kurz: „Ich war dieses Jahr nur ein einziges Mal in Grafenwang.“ – „Aber voriges Jahr, mein Lieber“ – bermekrte die Gräfin-Mutter darauf – „ist es öfter gewesen, so dass ich schon anfing, bedenklich zu werden.“ –
„Nun ja, es plaudert sich sehr angenehm mit Sophie Ried. An weiteres brauchst du wahrhaftig nicht zu denken,“ erwiderte Theodor. Seine Mutter sah ihn ganz überrascht an. – „Das klingt allerdings ganz anders,“ sagte sie, und zum Obersten gewendet, fuhr sie fort: „Das war der Hauptgrund, warum sein Vater wünschte, dass er auch nach Hugos Tode in der Staatskarriere bleibe und bald hinauskäme.“ – Der Oberst sagte: „Na, ´s war halt wohl so ein kleiner Flirt, nicht wahr, Theodor? Wenn du dem Mädel dabei nichts in den Kopf gesetzt hast, dann kann man dir´s weiter nicht verübeln. Im übrigen laß dir Zeit, mein Lieber, und mach´ vor allem die Augen weit auf, ehe du einen Schritt tust. Man heiratet nicht immer bloß eine Frau, sondern zuweilen mit ihr einen schwierigen Anhang. Da hat schon mancher büßen müssen. Und diesen Baron Ried zum Schwiegervater – ich danke!“ – „Aber Onkel,“ rief Graf Theodor, – „das sind ja Phantasien. Mir geht jetzt ganz anderes durch den Kopf.“
Ein Diener brachte die Post, die täglich noch am Spätabend auf der Station abgeholt wurde. Es kam da eine Fülle von Kondolenzschreiben neben Münchener Zeitungen. Aus den Briefschaften griff Graf Theodor nach kurzer Prüfung eine heraus.
„Von Rudhard“ – wendete er sich zu den Damen, öffnete dann den Umschlag und las aufmerksam das längere Schriftstück durch.
„Er läßt euch sein Beileid übermitteln,“ bemerkte er dann gegen Mutter und Schwester.
„Wie geht es ihm?“ fragte Komtesse Albertine.
„Er hat wieder ein Kind bekommen und befindet sich im übrigen zufrieden“ – lautete die Antwort. – „Wie viel hat er jetzt?“ – fragte die Gräfin-Mutter. „Es ist das vierte Mädchen.“ – „Armer Schelm!“
Nachdem man die Kondolenzen durchgesehen und einen kurzen Blick in die Zeitungen geworfen hatte, zog man sich in die Schlafzimmer zurück. Die Bedeutung des Tages kam wieder schärfer zum Bewußtsein, und es gab einen besonders innigen Nachtgruß. Mutter und Schwester lehnten sich weinend an Graf Theodor, und auch der Onkel gab ihm einen zärtlichen Kuß auf die Stirne.
Der Gebieter von Hochrothkreuz bewohnte noch das freundliche altmodische Zimmer, das er seit langen Jahren in den Ferien innegehabt hatte. Er leuchtete mit der Kerze flüchtig durch den Raum mit den Stichen in schwarzen Holzrahmen auf der blauen Tapete, den hellen geblümten Vorhängen an den beiden Fenstern, die mit dem Betthimmel übereinstimmten, und den Mahagonimöbeln mit den gelben Blumen auf den roten Wollüberzügen.
Es war ein Abschiednehmen von alter, lieber Gewöhnung. So manche Regungen der Jünglingsseele, sie schwebten gewissermaßen im Dunstreife dieses Raumes, sich ihm jetzt noch einmal in Erinnerung rufend.
Wahrscheinlich tat er´s morgen noch nicht, aber in den nächsten Tagen mußte es doch einmal geschehen, dass er sich umquartierte und die Räume des Vaters bezog, die auch die des Großvaters waren. Fremd waren ihm diese freilich nicht, aber doch war dort nichts, was ihm so eng vertraut, so mit ihm verwachsen war wie die Dinge des schlichten, blauen Zimmers.
Es war dann der Abschied von einer Lebensepoche, und von einer glücklichen.
„Herr von Hochrothkreuz!“ das hieß etwas und zumal für einen Menschen, der mit solch zärtlicher Liebe am Hause seiner Väter und seiner schönen Heimat hing. Erschreckt hatte er oft als eine schwere Sünde gewisse Gedanken unterdrückt, die ungerufen aufgestiegen waren aus der Kenntnis, dass Bruder Hugo ein gefährliches Übel mit sich herumtrug. Und doch war dieses ganze Studium und diese Wahl der diplomatischen Karriere gar keine Reinigungssache gewesen, nur ein Notbehelf, weil er eben nicht Herr von Hochrothkreuz sein konnte, wenn Hugo am Leben blieb. Dazu und dazu allein fühlte er sich bestimmt, als solcher nur konnte er glücklich werden. Eben Rudhard war es gewesen, der diese Empfindungen in ihm wachgerufen und zu einer förmlichen Weltanschauung ausgebildet hatte.
Wer von der Bekanntschaft hatte dem Vater den Rat gegeben, den siebzehnjährigen Jüngling nunmehr der etwas allzutrockenen Erziehung durch einen geistlichen Hofmeister zu entreißen und ihm etwas wie einen älteren Kameraden beizugeben?
Gar sorgfältige Erkundigungen waren erst eingezogen worden damit man um Gottes willen nicht einen Demokraten und Atheisten sich ins Haus zöge, bis Rudhard eines Tages auf Hochrothkreuz erschien und nach einer mehrwöchigen Beobachtung als netter, junger Mensch befunden wurde.
Der junge, gräfliche Schüler aber, der immer nur einen lehrhaften Ton gehört hatte, mit dem auch an das Einfachste, Harmloseste eine moralische Nutzanwendung geknüpft wurde, und bei jeder selbstständigen, aus dem jungen Herzen sich vordringenden Äußerung ängstlich auf den Hofmeister blickte, ah einen jungen Mann vor sich, der statt du docieren in lebhaften Farben schilderte und von Dingen sprach, die er noch niemals gehört hatte; einen jungen Mann der offen die eigene Seele enthüllte und dabei erkennen ließ, dass er sich selber in dieser aristokratischen Sphäre als ein Lernender und neugierig Schauender fühlte.
Rudhart sprach nie unmittelbar von Religion, aber zornig äußerte er sich, den jugendlichen Freund warnend, über jene platte Verständigkeit, jene gemeine Nützlichkeitsgesinnung, die an keine Rätsel und Geheimnisse glaubt, und die verachtet, was sich nicht zu unmittelbarem Gewinn verwerten läßt. Und wiederum war ihm die ganze Kultur, das ganze Bildungsstreben die Äußerung der Sehnsucht nach dem Vornehmen, Schönen, und bitter sprach er von Anschauungen, die auf eine allgemeine Verpöbelung hinauslaufen.
Goethe Geit wurde beschworen, Klassizismus und Romantik waren Gefährten der beiden Jünglinge auf ihren Fußwanderungen, auf denen sie aus dem geheimnisvollen Entzücken an Sonnenglanz, Himmelsblau und Waldesgrün die Begeisterung für alles sogen, was schön und gut war.
Es waren zwei wunderschöne Jahre gewesen, die er so mit dem befreundeten Erzieher verlebt hatte, als er die Universität bezog. Dort erst kam ihm die Erkenntnis, dass dieser ein Ausnahmemensch gewesen war, der ganz außerhalb jener Strömungen stand, die sonst die jugend bestürmten. So korrespondierten noch, und einmal kam Rudhart zu kurzem Besuch nach Hochrothkreuz. Dann heiratete dieser, und der Briefwechsel versickerte allmählich.
Aber es waren kräftige Keime gewesen, die in diesen zwei Jahren in Theodors Seele gepflanzt worden waren, und ihre Frucht hielt stand gegen die mannigfachsten anderen Einflüsse. Rudhart hatte mit ihm nicht nur von der Braut, die seiner harrte, oder von dichterischen Idealgestalten gesprochen, es gab auch Anlässe, die er übrigens nie besonders hervorholte, von Weib und Liebe im allgemeinen zu sprechen.
Und was dieser da andeutend sprach, das vor allem wirkte fruchtbar nach. Dem schönen, vornehmen Jüngling kamen Frauen aller Art freundlich entgegen, und er sah sie nicht, vielmehr sah er in dem Umgang mit ihnen den ganz wesentlichen Schmuck eines Daseins, das Schönem, Höherem zustrebt.
Es ging auch nicht ohne Stunden der Reue ab. Aber der Zauber hörte da für ihn auf, wo die Selbsterniedrigung begann. Vorahnend schuf er sich im Geiste jenes Weib, das einst mit ihm für Lebenszeit wandeln sollte. Indessen kam ihm unter mancherlei Gestalten Sophie von Ried in den Weg, anmutig in der feierlich steifen Unschuld eines Zöglings vom Sacré-Coeur.
Als die Familie Ried nach Grafenwang übergesiedelt war, gewann bei den gelegentlichen Besuchen der Verkehr einen leichteren Charakter als bei den Begegnungen in der Stadt, und Theodor meinte oft, jetzt dem jungen Mädchen gegenüber in einer ähnlichen Lage zu sein, wie Rudhart vor Jahren ihm gegenüber gestanden hat.
Das Gefühl der Standesgemeinschaft gab noch etwas Besonderes hinzu, was vertraulich wirkte. Anderseits lag in der Umgebung so mancherlei, was etwas von Mitleid mit dem vornehm sich entwickelnden Mädchen erzeugte.
Nichts von Liebe, eine warme Zuneigung vielleicht, lag in seinem Verhältnisse zu ihr, besonders bestimmt durch den Reiz, den es gewährte, noch so mancherlei Schiefes an ihr gerade zu biegen.
Da war er eines Tages wieder hinüber nach Grafenwang gekommen und fand niemand dort anwesend als Sophies Schwester, die sechzehnjährige Elvira.
Elvi war ein lebhafter, etwas vorlauter Backfisch, den er bisher immer wie ein Kind, scherzend, behandelt hatte. Plaudernd promenierte er mit dem Mädchen, das ihn durch die Angabe, der Vater werde bald kommen, zum Bleiben veranlaßt hatte, im Garten.
Sie war sehr übermütig, neckisch aufgelegt, von quecksilberner Lebendigkeit.
So kamen sie in eine wild überwachsene Laube, wo sie, scheinbar unabsichtlich, Halt machte, sich an einen Gartentisch halb lehnend, halb auf ihm sitzend. Nun wuchs aus dem kindlichen Übermute mehr und mehr etwas heraus, was ihn lebhaft befremdete. Er konnte schließlich nicht mehr bezweifeln, dass ein lüsternes Kätzchen in der Maske des drolligen Backfisches stecke und dazu lockte, der gewohnten, scherzhaft spielenden Art ein verändertes Gepräge zu geben.
Da hörte man den Baron seinen Hund rufen und mit den Worten:
„Wir wollen zu Ihrem Papa gehen“ – hob er die Situation, die ihn tief verstimmt hatte, auf.
Seitdem mied er Grafenwang, und als er heute des Barons ansichtig geworden war, überkam es ihn ärgerlich, dass er mit der Familie zu tun hatte. Der Instinkt des Kavaliers, der seinen Gast nicht im Stiche lassen kann, hatte dann ihn handeln lassen, und dafür hatte er eine neue Erfahrung gemacht, dass mit solcher Sippe wirklich keine weitere Beziehung zu unterhalten war.
„Ich hoffe, Sie werden nicht ganz der Zeiten vergessen, in denen ich die Ehre und die hohe Freude hatte, Ihr Führer zu sein und das „Noblesse oblige“ in unserem Sinne wird der Wahlspruch bleiben, mit dem Sie, bald wohl an der Seite einer Ihrer würdigen Gattin, auf dem Schlosse Ihrer Väter gebietend, uns das Beispiel besser geben, was ein „Aristokrat“ in des Wortes vollstem Sinne bedeutet. Ihnen ist die Kraft zu so schönem Ziel verliehen.“ So stand in Rudharts Brief. Verschwommene, rasch sich ablösende Bilder, das Schloß, der Speisesaal mit den lebensgroßen Ahnenbildern, Teile des Parkes, er selbst zu Pferde, schönen Frauengestalten der Bekanntschaft, dazwischen Vater und Bruder, die ihn zu beaufsichtigen schienen, das zog so an ihm vorüber, bis er selbst eingeschlafen war.
Der Verabredung gemäß wollte er des anderen Vormittags gemeinsam mit Onkel Heinrich des Vaters Schreibtisch öffnen und die dort vorhandenen Papiere sichten und prüfen.
Dieser nahm in nach dem Frühstück in einem günstigen Augenblick beiseite und sagte stockend: „Deine Mutter hat mich eben gebeten, mit dir zu sprechen. Du hast das unzweifelhafte Recht, über die Papiere deines Vaters selbstständig zu verfügen, und ich habe dich ja selbst unmittelbar nach dem Tode aufgefordert, deines Vaters Wohnzimmer in eigenen Verschluß zu nehmen. Mama aber möchte nun gerne vor dir die Papiere sichten… Manches ist vielleicht dabei, was eher in die Hände der Gattin als in die des Sohnes gehört.“
Graf Theodor wurde feuerrot und sagte dann leise, zwei Schlüssel aus der Tasche nehmend:
„Willst du sie Mama geben oder soll ich?“
„Ich habe einmal den Auftrag. Gib her!“ sagte der Onkel und entfernte sich mit den Schlüsseln.
– Die gute, arme Mama, sie wollte verhüten, was der Hauptsache nach doch nicht mehr zu verhüten war. Er wußte recht wohl Bescheid darüber, dass sein Vater bis in die letzten Tage hinein ein Wüstling gewesen war. Aber es war ihm nur lieb, wenn die Mutter ihm Dinge entzog, die vielleicht das schon Bekannte allzu deutlich bestätigten.
Noblesse oblige! Solche Dinge sollten bei ihm ganz und gar außer Frage bleiben.
Es dauerte aber eine Stunde, bis die Gräfin-Mutter, offenbar sehr angegriffen und mühsam Fassung wahrend, zu ihrem Sohne hereintrat und, ihm die Schlüssel zurückgebend, sagte: „Ich habe alles unberührt gelassen, was irgendwelchen Wert für dich haben könnte, und danke dir für deine Rücksicht.“
Der Graf küßte ihr die Hand und nahm die Schlüssel. „Wirst du jetzt Papas Zimmer beziehen?“ fragte sie nach einer kleinen Pause. „Oder hast du schon an andere Dispositionen gedacht?“ – „Das eilt ja nicht,“ war die Antwort. – „Man muß doch darüber sprechen. Mir steht nur die Witwenwohnung drüben am kleinen Korridor zu, und Albertine hat Anspruch auf zwei Räume, die du nach Belieben bestimmen kannst.“
„Aber ich bitte dich, Mama. Ich werde dich doch nicht aus deinen gewohnten Zimmern vertreiben. Was anders wird, bezieht sich nur auf dieses oder jenes in meinem Meublement. Ich bin kein eifriger Weidmann, wie es Papa war, und Zimmer voll Jagdtrophäen würden nicht zu mir passen.“
„Eben weil ich weiß, dass du deine besonderen Neigungen hast, möchte ich dir alles Peinliche ersparen und stelle dir meine bisherigen Räume, die doch die schönstgelegenen sind, selbst zur Verfügung. Am unangenehmsten wäre es mir, wenn du aus Rücksicht eigene Wünsche jetzt beiseite schöbest, um dann später über die Verkümmerung deines Herrenrechtes verstimmt zu ein. Ich möchte dich zufrieden wissen.“
Sie hielt einen Augenblick inne; dann streckte sie ihm die Hand zu und sagte innig: „Das Glück soll mit dir nach Hochrothkreuz kommen!“
Ihre Augen schimmerten feucht.
Als der Graf mit dem Onkel das Schreibzimmer des Verstorbenen betrat, sahen sie am Ofen noch einige Spuren eines Verbrennungsverfahrens. Sie überzeugten sich des weiteren, dass dieses gründlich genug gewesen war, um unbefugter Neugierde eine Beute übrig zu lassen. Bei der nun folgenden Prüfung der schriftlichen Hinterlassenschaft fanden sich viele Dinge, die erst verständlich werden konnten, wenn man einen Überblick über den ganzen Gutsbetrieb hatte. Der Verstorbene war offenbar kein Schreibtischmensch gewesen aber er hatte auf Ordnung in seinen Verhältnissen gehalten.
Unter diesen Umständen fiel der Mangel irgendeiner noch so zwanglosen Aufzeichnung der persönlichen Ausgaben auf.
Onkel Heinrich sprach die Vermutung aus, derartige Schriftstücke dürften sich unter den verbrannten Papieren befunden haben. Möglicherweise konnten daraus Weiterungen entstehen.
Aber der junge Graf meinte auf des Onkels Bedenken über den Mißgriff, den das Zartgefühl der Gräfin-Mutter gemacht zu haben schien: „Lassen wir Geschehenes geschehen sein. Ich will Mama nicht weiter darüber fragen. Kann ja sein, dass noch eine oder andere Erinnerung auftaucht. Ich werde sie ben auch möglichst rasch zu Asche machen.“
Nach allerlei Ratschlägen reiste Onkel Heinrich ab, und Graf Theodor war nunmehr allein mit einer täglich anschwellenden Last.
Die trockensten Geschäfte, Erbschaftsgericht und Steuerbehörden, Betteleien aller Art, Anfragen und Angebote von Leuten, die alte Verbindungen sich erhalten wollen oder, Anordnungen von dem neuen Herrn erwartend, sich empfehlen, traten an ihn heran, und daneben wurde er von seinen Beamten sofort in das große Gutsgetriebe gedrängt, dem er ahnungslos wie ein Kind gegenüberstand.
Die Komödie, die er spielte, um seine Autorität zu wahren, hinderte aber doch nicht, dass es im Bräustübchen bald bekannt wurde, der neue Herr verstehe ganz und gar nichts, kaum, dass er wisse, dass Bier aus Malz und Hopfen gemacht werde, und dass Kühe gemolken werden.
Im Schloßgarten und im „Waldl“, das jenseits der Fahrstraße eine Fortsetzung davon bildete, gehe er am liebsten meditierend hin und her, ob die alten Ruhbänke noch gut seien oder neue angeschafft werden müßten; manchmal begucke er sich den Schloßbau nachdenklich von irgendeiner Seite, und in allen möglichen Winkeln, wo sonst nie jemand von der Herrschaft hingekommen, tauche er auf und stelle dabei zuweilen die sonderbarsten Fragen.
Eines Tages erschien ein Forstmeister, den man in der Gegend gar nicht kannte, war mehrere Tage Gast im Schlosse und lief mit dem alten Oberförster Kempner alle Forsten ab; dann tauchte ein Herr Revisor aus München auf und saß wieder mehrere Tage hinter den Büchern in der Rentei, schnupperte auch in der Brauerei auf der Malzdarre und bei den Hopfensäcken herum.
Dann kam, was die ganze Umgegend beschäftigte: – der alte Kempner sollte in einem Vierteljahr pensioniert werden, der Rentmeister aber packte sofort auf und verschwand.
Etwas ganz neues sollte herkommen, ein „Oberinspektor“. Der Braumeister, der auf der einen Seite sich darauf gütlich tat, dass er die Probe bestanden, schwor, mit diesem Herrn Oberinspektor werde er schon fertig werden.