Das Weihnachtsbäumchen des Elbschiffers – Emil Zöllner

Das Weihnachtsbäumchen des Elbschiffers – eine Weihnachtsgeschichte von Emil Zöllner.
Man sieht es dem Häuschen bei Schandau, das sich im Elbstrom spiegelt, gleich an, dass es das Häuschen eines Schiffers ist: über der Tür ist ein Schmuck in Sandstein ausgehauen, der einen Elbkahn mit Segel darstellt; die blecherne Wetterahne auf der Gartenlaube zeigt ein Schiff, das sich nach dem Winde dreht; und vor dem Häuschen steht ein hoher Mast, an dem an besonderen Tagen ein langer, schmaler Schiffswimpel flattert.
In den oberen Stuben wohnt der Schiffer mit seiner Frau und dem zehnjährigen Töchterchen Elfriede; in den unteren Räumen herbergt ein Steinbrecher, der in den nahen Sandsteinbrüchen arbeitet, mit Frau und vier Kindern. Als Elfriedchen noch nicht schulpflichtig war, ist die Mutter oft monatelang mit dem Töchterchen auf dem Kahne beim Vater gewesen, um ihm die Wirtschaft zu versorgen und das Leben leichter zu machen; seitdem aber Elfriede die Schule besuchen muss, bleibt die Mutter mit an Land in der Heimat.
Wieder ist Weihnachten nahe. Letzte und auch vorletzte Weihnachten ist der Vater am Heiligen Abend und an den Feiertagen nicht zu Hause bei den Seinen gewesen; da hat er das Fest der Familie fern von der Familie einsam in seinem Kahnstübchen feiern müssen und zu Hause haben sich Frau und Kind nach ihm gesehnt. Aber dieses Jahr wird er heimkommen; dieses Jahr wird´s passen! Da wird sein Kahn in Dresden liegen, von wo aus er ja schnell mit der Bahn oder mit dem Kraftwagen nach Schandau fahren kann.
Die Mutter hat darum eine schöne, große Fichte mit einer gutgewachsenen sechsäftigen Krone gekauft und Mutter und Tochter haben den Baum mit Äpfel und Nüssen, Pfefferkuchen und Zuckerwerk, goldenen Sternen und kleinen Glaskugeln und mit Silberhaar überreich zu einem wahren Wunderbaum geschmückt. Endlich einmal ein Weihnachtsfest, wo alle drei beisammen sein werden!
Aber es kam anders! Zwei Tage vor Weihnachten musste der Schiffer mit Ladung von Dresden nach Hamburg. Es ging alles so eilig, dass er nur schnell eine Postkarte an die Seinen schreiben und für sich am Dresdner Hafen ein Bäumchen mit weißem Holzkreuz kaufen konnte. Ein Bäumchen musste er haben. Er hatte noch kaum ein Weihnachtsfest ohne Baum verlebt. Der Baum brachte ihm den Duft seiner Waldheimat, des Elbsandsteingebirges, in die kleine Kahnstube und nicht nur den Duft, sondern das Bild des ganzen Waldes mit Pilzen und Beeren, Vögeln und Hirschen.
Am Heiligen Abend saßen Mutter und Tochter still und ein wenig traurig vor ihrem Lichterbaum, dem großen und schönen, der ja zu allererst für den Vater gekauft und geschmückt worden war. Um dieselbe Zeit saß der Vater müde und abgespannt in seinem Stübchen im Fahrzeug, fern, fern von den seinen. Er saß vor seiner kleinen Fichte. Das vom Wind aufgeregte Wasser rüttelte am Steuer. Aus dem Elbstädtchen, in dessen Nähe er Feierabend gemacht hatte, klagen die Glocken zu dem Einsamen in seinem Kahn auf dem schwarzen Strom.
Der Vater musste länger in Hamburg bleiben, als er gedacht hatte, denn es passte nicht gleich mit Ladung nach Sachsen. Am Jahresschluss und zu Neujahr lag er noch in Hamburg. Sein Bäumchen nadelte sehr. Auch die große Fichte zu Hause in der warmen Stube wurde dürr, so dass die Mutter einige Tage vor Schulbeginn die kleine Elfriede aufforderte, den Baum abzuputzen, d er ja auch, eben weil er so groß sei, im Wege stehe; der Vater werde doch nicht zurechtkommen, sich noch an ihm zu erfreuen. Elfriede wollte nicht ans Ableeren gehen, aber die Mutter gab nicht nach. Die Kinder des Steinbrechers halfen, und so war dem Baume gar schnell das Wunderkleid ausgezogen. Die Mutter schlug mit dem Beile die Äste ab. Elfriede sah traurig zu, als wenn etwas geschlachtet würde und bat und bettelte die Mutter um die Krone des Baumes, die so schön regelmäßig gebaut war und an deren sechst Ästchen immer noch Nadeln steckten. „Was willst du nur mit dem Quirl?“ fragte die Mutter, aber sie hackte die Krone schließlich nicht entzwei, sondern gab sie dem bittenden Kinde. „Das ist kein Quirl“, entgegnete Elfriede, „das ist eine Krone! Die hebe ich für den Vater auf.“
Die Kleine holte aus dem Keller eine grüne Weinflasche, die mit eingekochten Heidelbeeren gefüllt gewesen war, ließ Wasser hineinlaufen und steckte die Krone hinein, wie man Blumen in ein Blumenglas stellt. Sie putzte die sechs Ästchen an. Drei goldene Nüsse, drei rote Weihnachtsäpfel, einige Zapfen aus dem Walde, bunte Zuckerkränzchen, Silberhaar und drei rote Lichte prangten an dem kleinen Wipfel. „Die drei Kerzen sind wir“, sagte die Kleine; „und es ist wirklich kein Quirl, es ist eine Krone!“ und oben an die Spitze heftete sie einen großen goldenen Stern. Jeden Tag gab sie dem Wipfel neues Wasser, um ihn frisch zu halten und er hielt sich auch halbwegs, wenn auch keine neuen Nadeln an ihm herausschossen.
Mitter Januar fuhr der Vater mit seinem Kahne im Dresdner Hafen ein. Weil grimmige Kälte einfiel, kam er auf längere Zeit nach Hause. Nun saßen die drei um den Tisch und erzählten und aßen und in der Mitte prangte und strahlte die Krone auf der grünen Flasche. Fast jeden Abend wurden die drei Kerzen dieses Weihnachtsbäumchens angezündet: da glühten die roten Äpfel und die goldenen Nüsse funkelten und das Silberhaar glitzerte. Der Vater streichelte sein liebes Kind und die Mutter lächelte und sagte: „Es ist wirklich eine Krone!“