Liebe

Liebe – Gedicht von Clemens Brentano (1838)

Wie? Ist es möglich? Kann die Liebe fehlen?
Die Liebe, die nur kennt des Andern Glück?
Sie kann sich selbst und den Geliebten quälen,
Den Schmerz erzeugen und den nassen Blick?

Ich sah so viele, die in Lieb‘ entbrennen
Und liebend und geliebt nicht glücklich sind,
Die heut sich einen, morgen schon sich trennen,
Dem Rohre gleich, gebeugt von jedem Wind.

Ich liebte einst, mich faßte heiß Verlangen,
In wilder Gluth entbrannte mir das Herz –
Ich ward geliebt und ach! ein stetes Bangen
Ergriff mich nun, es folgte Schmerz auf Schmerz.

Heut trank ich Nektar von den Purpurlippen,
Und morgen Gift und Tod aus jedem Hauch;
Der Liebe Meer, es hat viel tausend Klippen,
Mit tausend andern sank mein Schiffchen auch!

Und als es sank – da hört ich leises Weinen,
Da sah ich Thränen, o! wie Perlen schön!
Da sprach’s zu mir: „Schau auf zu jenem Reinen,
Und lern‘ von ihm, was Liebe ist, verstehn.“

Und siehe! was verworren nur in Träumen
Wie Paradiesesgärten vor mir lag,
Was unter Schutt und Trümmern nur zuweilen
Wie Wetterstrahl durch dunkle Wolken brach:

Ward plötzlich Licht in meiner Seele Tiefen;
– O fiel dies schöne Licht doch auch auf dich! –
Und Töne, die noch rauh im Innern schliefen,
Sie lösten auf in Harmonieen sich:

„Nur eine Liebe gibt’s, die kann nicht fehlen,
Nur eine Liebe, aller Liebe Kern,
Das einzig mächt’ge Band für alle Seelen –
Die stille, treue Liebe für den Herrn.“


(Quelle: Ausgewählte Schriften, Herder´sche Verlagshandlung, Freiburg im Breisgau, 1873)