Neues Jugendbuch: Wanderburschen

Wanderburschen ist eine Erzählung von Chr. Brüning.

Kennt ihr nicht das Lied vom Mühlknappen? „Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wandern!“ Es wandern aber nicht nur die Menschen und Tiere, sondern auch die Pflanzen begeben sich auf die Reise und suchen sich hier und dort einen Platz, wo sie sich ansiedeln können. Wie ist das aber möglich, da sie sich doch nicht von der Stelle bewegen und marschieren können, wie im Märchen von dem Blümlein erzählt wird, das aus dem Wiesengrund auf den Berg hinaufstieg und hier erfrieren musste? Wir wollen uns einmal die Wanderburschen betrachten und zusehen, wie sie ihre Reise ausführen.

Die Wiese war ganz bunt von Blumen und am weitesten leuchteten die großen gelben Blüten des Löwenzahns in goldiger Pracht. Aber nun schauen sie ganz anders aus. Statt der schönen Blüte sehen wir jetzt ein weißes Polster, in dem viele Samen stecken. Die haben alle einen langen Stiel, an dessen oberem Ende ein Haarschopf sitzt. Die Kinder pflücken so eine abgeblühte Löwenzahnblume, nehmen den Stengel in Hand, blasen die Backen auf und pusten zwischen die Samen. Da fliegen dieselben davon wie kleine Luftschiffer. Der Wind ergreift sie und führt sie weit, weit fort auf Dächer und auf Bäume und fernliegende Felder. Dann bleibt man später wohl einmal verwundert stehen, wenn man oben auf dem Strohdache eines Bauernhauses oder im Schopf eines hohlen Weidenbaumes eine blühende Löwenzahnpflanze sieht. – Viele Samen benutzen den Wind als Beförderungsmittel: die von der Distel, von der Weide und der Pappel, von der Baumwolle und dem Wollgras. Sie alle haben Haare, an denen der Wind sie forttragen kann. Andere sind Flügelfrüchte und haben häutige Anhängsel, die sie dem Winde als Segel darbieten, wie z.B. die vom Ahorn, von der Linde und von der Tanne.

Auch das strömende Wasser benutzen die Pflanzen als Reisegelegenheit für ihre Samen und Ableger. Wenn der Regenguss auf die Erde herunterprasselt und das Wasser gleich wilden Gießbächen zu Tal stürzt, so führt es viele leichte Samenkörnchen mit sich fort und rollt die runden, glatten Eicheln weit weg von dem Baume, an dessen Zweigen sie saßen. Die Gewässer sammeln sich zum Bach, die Bäche zum Fluss, die Flüsse zum Strom. Der fließt ins Meer, und was nicht unterwegs an den Ufern hängenblieb und sich dort ansiedeln konnte, das treibt hinaus in den Ozean gerät in die Meeresströmungen und wird abgesetzt an entlegenen Küsten, keimt dort, schlägt Wurzeln, wächst und gedeiht und mancher Seemann findet draußen in der Fremde einen alten Bekannten von seiner heimatlichen Flur.

Endlich benützen die Pflanzensamen auch noch die Tiere und die Menschen als Transportmittel. Streifen wir im Herbst oder im Frühling herum durch Sumpf und Moor, an den Ufern der Teiche und Gräben, so finden wir unsre Kleider besetzt mit einer Menge von braunen Samen, die wir nur mit Mühe von ihnen entfernen können, denn sie haben scharfe Haken, mit denen sie sich festhalten.. Dann werden euch auch die Früchte von dem kletternden Labkraut bekannt sein und die vom Obermennig, ganz bestimmt aber die von der Klette, mit denen sich Kinder neckend werfen und die an den Kleidern und in den Haaren sofort hängenbleiben, wenn man getroffen wird. So hängen sie sich auch an das Pelzwerk der Tiere und werden von diesen mitgenommen und an andern Orten wieder abgestreift.

(Quelle: Neues Jugendbuch, Loewes Verlag Ferdinand Carl, Stuttgart