Ulrich Geging – [Online – lesen]

Ulrich Geging – eine Erzählung aus Aurelias Sagenkreis.

Im Maimonat des Jahres 1490 feierte Herr Johann Konrad von Grießen, der Abt von Rheinau, seinen achtzigsten Geburtstag. Zu diesem Feste war aus dem Schlosse Jestetten sein Freund, Ritter Burkard Jünteleer mit seiner lieblichen Tochter im Kloster erschienen, und die alten Freunde hatten einen vergnügten Tag verlebt und konnten sich fast nicht trennen bis tief in die Nacht hinein. Als aberendlich der Ritter zum Aufbruch rüstete, gegenredete der Abt:
„Im Volkenbach ist´s nicht geheuer, seit der lange Hans mit seiner Bande wieder im Revier ist. Bleibt im Kloster bis zum frühen Morgen; denn bekanntlich ist die Nacht keines Menschen Freund.
Doch Herr Burkard hörte nicht auf des Abtes Warnung. „Mach` meinem Kinde keine Angst,“ sagte er. „Ich glaube nicht an alle Ammenmärchen und wenn mich Spitzbuben belästigen, so weiß ich den Degen wohl zu führen.“
Also ritt der Herr mit seiner Tochter in die Nacht hinaus, durch das Städtlein und über die Rheinbrücke. Schweigen zogen sie davon. Als sie aber in den dunklen Wald und in die tiefe Schlucht des Volkenbaches einritten, ward es dem Fräulein immer unheimlicher zu Mute und sie drängte ihr Pferd hart an das ihres Vaters heran.
„Eines Ritters Tochter soll sich nicht fürchten,“ sprach Herr Jünteler, horchte aber selber überrascht uf, als plötzlich ein schriller Pfiff aus der nächtlichen Schlucht ertönte. Aber es blieb ihm nicht viel Zeit zum überlegen, denn schon im nächsten Augenblick drangen etliche vermummte, wohlbewaffnete Gesellen auf die Reisen ein.
„Gebt Euch gefangen, Ritter,“ sagte einer der Räuber, „denn Ihr seht, daß Widerstand nutzlos ist.“
„Mit solchen Galgenvögeln pflege ich erst noch ein ander Wort zu reden,“ antwortete Herr Jünteler und schwang gleichzeitig sein Schwert so gewaltig gegen den Sprecher, daß dieser schwerverwundet zu Boden fiel. Doch drangen jetzt die aderen um so erbitterter auf ihn ein, und zwei davon banden das schreiende Fräulein. In wenigen Augenblicken mußten die Räuber siegen. – Da trat aber eine plötzliche Wendung ein. Von der Straße von Jestetten her hörte man eilige Schritte, und es erschienen auf dem Kampfplatz zwei Männer, mit riesigen Keulen bewaffnet, die unter die Räuber hineinfuhren, daß es eine wahre Freude war.
Der eine trug einen langen Pilgermantel und einen muschelverzierten breitkrämpigen Hut, darunter das dunkle Haargelock im Winde flatterte.
„Der Teufel!“ schrie er, „laßt von eurer Beute, ihr Strolche, oder ich sende euch alle zusammen in die Hölle.“
„Das ist der Satan selber,“ schrie einer der Räuber, „flieht, sonst sind wir alle verloren.“ Und ein panischer Schrecken kam über die frechen Gesellen und sie packten hastig den Verwundeten und flohen in die Tiefe der waldigen Schlucht. Der Pilger löste des Fräuleins Bande und der andere fragte den Ritter, ob er keinen Schaden genommen.
„Es ist leidlich abgelaufen,“ sprach der alte Herr, „aber ohne eure Dazwischenkunft wäre ich verloren gewesen. Darf ich wissen, wer die Herren sind, denen ich die Rettung aus Räubershand verdanke?“
„Wie Ihr seht, bin ich ein wandernder Pilgersmann, doch habe ich mehr als einen Grund, Euch meinen Namen zu verschweigen, edler Herr,“ antwortete der im Mantel.
„Und ich,“ sagte der andere, „bin dieses Herrn Diener und Gehilfe, mein Name ist Konrad.“
„Seid mir also herzlich willkommen!“ sprach der Alte wieder. „Ich hoffe, ihr werdet mir in mein Schloß nach Jestetten folgen und dort meine Gäste sein.“
Der Pilger und sein Begleiter nahmen die Einladung an, und unter Gesprächen über das eben erlebte Abenteuer erreichten sie bald das Dorf Jesteten, wo dem Ritter ein Diener entgegenkam. „Gnädiger Herr!“ rief dieser: „Es ist ein sulzischer Amtmann mit fünf Knechten im Schloß, der sucht einen Pilgersmann, welcher heut zu Rheinau gesehen wurde. Denn er soll ein gefährlicher Aufrüher namens Ulrich Geging aus dem Tirol sein.“
Da sah Herr von Jünteler unwillkürlich nach seinem Befreier hinüber. Aber schon im nächsten Augenblicke war dieser samt seinem Begleiter verschwunden.
„Unser Retter wird von den Strickreitern verfolgt,“ rief jetzt das Fräulein mitleidig. „Hergott, wenn er ihnen in die Hände fiele.“
Aber ehe der Ritter ins Schloß und zu den landgräflichen Amtleuten kam, waren Ulrich Geging und sein Begleiter schon unterhalb des Dorfes und eilten talab dem Walde zu.
„Wohin jetzt,“ frug der Geächtete, als sie endlich ein wenig langsamer gingen.
„Zum Waldbruder am Heiligenbrunnen,“ antwortete Hans. „Tief hinten in der Schlucht des Altengraben steht bei einem kühlen Quell ein einsam Siedlerhäuschen, darin seit Jahr und Tag ein alter Tiroler haust, der wird seine Landsleute nicht im Stich lassen.“
Also schritten sie der finsteren Schlucht zu und erblickten nach einer mühsamen Wanderung über Felsen und durch Sümpfe und Buschwerk hindurch ein mattes Licht, welches aus einer Hütte schimmerte. Lautes Gebet hörte man aus dem Innern der kleinen Wohnung, und wie Konrad an den Laden klopfte, trat ein Greis unter die Türe:
„Wer kommt noch zu mir in so später Stunde?“ fragte er.
„Ich bin´s Konrad der Tiroler und bringe Euch hier einen armen, frommen Landsmann, dem Ihr Euren Schutz nicht entziehen werdet; schon in den nächsten Tagen gedenken wir weiter zu reisen.“
„Seid mir beide willkommen,“ sagte jetzt der Eremit. „Nehmt vorlieb mit dem, was ich armer Mann euch bieten kann.“ Und er reichte dem Pilgersmann treuherzig die Hand.
Darauf suchte er in einem Winkel der Klause eine Zeitlang herum und brachte ein Flasche Weines, und beim Kreise des Bechers kamen die Männer bald in ein eifriges Gespräch, darin sie aber auf eine schlimme Art gestört wurden. Auf einmal wurde nämlich die Türe gewaltsam aufgerissen und eine Schar Bewaffneter drang in den engen Raum. Einige davon versicherten sich gleich des Pilgers, ehe sich dieser wehren konnte.
„Ulrich Geging,“ sagte der Anführer der Truppe, „ich verhafte Euch im Namen des Grafen Alwig von Sulz, des Landgrafen im Klettgau.“
Sie banden darauf auch den Einsiedler, wie sie aber an Gegings Begleiter wollten, stieß dieser mit einem kräftigen Schlag den Fensterladen auf und rettete sich durch einen Sprung ins Freie und in die schützende Waldnacht.
Die Bewaffneten zogen mit ihren Gefangenen das Wangental abwärts, der Feste Küssenberg zu.
Konrad aber irrte lange im Walde herum, bis er zuletzt vor ein hohes Gebäude kam. Nach einer Weile erkannte er das Schloß Jestetten, und ein guter Gedanke fuhr ihm durch den Kopf. „Haben wir heute den Ritter Jünteler mit seiner Tochter aus Räubershand gerettet, so soll dieser meinen Herrn aus den Banden der Gefangenschaft erlösen.“ Er ging an die Zugbrücke und begehrte beim Wächter Einlaß: „Meldet Euerem Herrn, der Tiroler, den er heute in Volkenbach getroffen, sei draußen und wünsche mit ihm zu sprechen.“ Der Ritter saß mit seinem Kinde eben beim Nachtessen, als der Torwart den späten Besuch meldete.
„Gottlob! Sie haben ihn nicht gefangen,“ rief das Fräulein, als der Torwart geendet, denn sie meinte nicht anders, als daß Ulrich Geging unten stehe.
Wie aber Konrad allein eintrat, schrak sie zusammen. „Mein Herr ist in die Gewalt seiner Feinde gefallen. Wollt Ihr mir als Dank für die heutige geleisteten Dienste fünf oder sechs Knechte mitgeben, getraue ich mir wohl, ihn zu befreien,“ redete der Tiroler den Ritter an.
Aber Burkard Jünteler saß zaudernd da. „Es könnte eine böse Geschichte abgeben, wenn es ruchbar würde, daß ich die Diener des Landesherrn an Ausübung ihrer Pflicht hinderte,“ sagte er.
„Aber lieber Vater,“ rief jetzt des Ritters Tochter, „bedenkt doch, es gilt demjenigen vielleicht das Leben zu retten, der uns aus Räuberhand befreite.“
„Du hast recht, Kind! Ich will nicht undankbar sein,“ reif jetzt Herr Burkard, „ich ziehe selber mit.“
Und in weniger als einer Viertelstunde ritt ein Haufen von zwanzig Knechten, an der Spitze Herr Jünteler und der Tiroler, aus der Burg und im sausenden Galopp talab. Dort wo mitten im Klettgautale jener rundliche Hügel sich erhebt, darauf ehemals die Feste Weißenburg stand, erreichten sie die Sulzschen Häscher. Und diese, da sie die Überzahl der Angreifer erblickten, wehrten sich gar nicht lange, sondern gaben auf die erste Aufforderung den Gefangenen frei. Aber einer der landgräflichen Knechte, der ehemals zu Jestetten im Schloß gedient, hatte seinen früheren Herrn erkannt, trotz des geschlossenen Vissiers.
„Es ist der Ritter Burkard Jünteler und seine Knechte,“ sage er darum zu seinem Anführer, der teufelswild den Abreitenden nachsah. Und sie machten dem Landgrafen in aller Frühe des andern Morgens die Meldung: „Der Ritter von Jestetten hat uns mit großer Macht angegriffen und den Verhafteten entrissen.“
Das gab großen Lärm in der Landgrafenburg und Herr Allwig von Sulz verlangte die Auslieferung Gegings und verklagte Burkard Jünteler wegen Landfriedensbruch beim Herzog von Österreich. Doch der Ritter von Jestetten gaben den Tiroler nicht heraus, und der Landgraf rüstete ein großes Heer und zog vor die Burg des Ungehorsamen, um mit Gewalt zu erzwingen, was er gutwillig nicht erreichen konnte. Wie aber die Belagerer anfingen, ihre „Letzen“ und Laufgräben um die Burg zu ziehen und mit grobem Geschütz gegen die Mauertürme schossen, so daß diese einer nach dem andern zusammenfielen, trat Ulrich Geging vor den alten Ritter: „Geehrter Herr,“ sage er, „ich kann nicht mit ansehen, wie Euch um meinetwillen Euer Schloß zerstört und Euer Hab` und Gut verdorben wird. – Unterhandelt mit den Landgrafen; ich will freiwillig sein Gefangener sein.“
Aber der Ritter sagte: „Nein,“ und kommandierte einen Ausfall auf die Belagerer. Er schlug sie gehörig aufs Haupt, und als der Kampf am heißesten war, stürzte auch der Geächtete hinaus und half seinem Beschützer gegen der Feinde wuchtigen Anprall, aber er wagte sich in der Hitze zu weit vor und ward verwundet ins Schloß getragen. Dort pflegte ihn des Burgherrn Töchterlein mit liebender Sorgfalt und als er vom ersten Fiebertraum erwachte, beugte sie sich über sein Gesicht und küßte ihn auf die brennenden Lippen.
Herr Alwig von Sulz aber zog mit seinem Heere ab, und bald darauf vermittelten die Eidgenossen auf Ersuchen des Abtes von Rheinau zwischen Burkard Jünteler und dem Landgrafen, sowie zwischen dem Tiroler Junker Geging und dem Herzoge von Österreich, so daß dieser seines Landesherrn volle Verzeihung erhielt und außer Acht und Bann getan wurde und seine Güter und Gerechtsame wieder bekam.
Aber er verkaufte, was er in der Heimat besaß, und ist kurze Zeit darauf als Gemahl von Herrn Jüntelers Tochter ins Schloß zu Jestetten eingezogen, wohin ihn der getreue Kontrad begleitete.

Quelle: Aurelias Sagenkreis, Schwarzwaldsagen und Geschichten
Verlag C. Wild´schen Hofbuchhandlung


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