Aschenputtel

Aschenputtel – ein Märchen nach den Gebrüder Grimm

Einem reichen Manne wurde seine Frau krank, starb alsbald im Herbst und ließ ein Stieftöchterchen zurück. Im Frühjahr nahm sich der Mann eine andere Frau. Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die waren garstig. Sie zogen dem armen Stiefkind einen grauen Kittel an, ließen es früh vor Tage aufstehen, Wasser tragen und waschen. Nachts mußte es neben dem Küchenherd in der Asche schlafen. Darum nannten sie es Aschenputtel.
Aschenputtel ging mit einem Haselreis zu seiner Mutter Grab, pflanzte es dort ein und begoß es mit seinen Tränen. Davon wuchs es in die Höhe und ward ein schöner Baum. So oft aber Aschenputtel wiederkehrte, um an dem Grab zu beten, so kam ein weißes Vöglein auf den Baum geflogen, und was Aschenputtel sich wünschte, war es ihm herab.
Es begab sich aber, dass der König ein Fest anstellte, alle schönen Jungfrauen waren dazu eingeladen, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen möchte. Da sprachen die zwei Stiefschwestern zu Aschenputtel: „Bürste uns die Schuhe, wird sind auf des Königs Schloß geladen.“ Aschenputtel gehorchte, aber weil es gerne mitgegangen wäre, so bat es die Stiefmutter, sie möchte es ihm erlauben.
„Ich habe dir eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet“, antwortete die Stiefmutter, „wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hat, so magst du mitgehen.“ Da ging Aschenputtel in den Garten hinaus und rief: „Ihr Turteltäubchen und ihr Vöglein unter dem Himmel kommt und helft mir lesen: Die guten ins Töpfchen / die schlechten ins Kröpfchen.“ Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und es folgten ihnen alle Vöglein und lasen die guten Körnlein in die Schüssel. Kaum war eine Stunde vergangen, so waren sie schon fertig.
Als Aschenputtel die Schüssel der Stiefmutter brachte, da sagte sie: „Du hast keine Kleider anzuziehen.“ Aber weil Aschenputtel sehr weinte, so sprach sie: „Wenn du mir noch zwei Schüsseln voll Linsen aus der Asche lesen kannst, in einer Stunde, so sollst du mitgehen.“ Aschenputtel ging abermals die Vögel um Beistand bitten, und ehe noch eine halbe Stunde vergangen war, waren sie schon fertig.
Da ging es zu seiner Mutter Grab unter dem Haselbaum, unter dem es schon so viele bittere Tränen geweint hatte, und rief: „Bäumchen rüttel dich und schüttel dich / Wirf Gold und Silber über mich.“ Schon warf ihm ein weißes Vöglein ein silbernes Kleid herunter und seidene Pantoffeln, die zog es an und ging zum Königschloß. Seine Schwestern erkannten es nicht. Der Königssohn aber kam ihm entgegen und sprach: „Das ist meine Tänzerin und sonst keine“, und tanzte mit niemandem außer ihr, bis Aschenputtel nach Hause mußte. Da sprach er: „Ich begleite dich.“ Aschenputtel entwischte ihm aber, sprang in das Taubenhaus und blieb verschwunden.
Am anderen Tage ging es wieder zu dem Haselbaum und sprach: „Bäumchen rüttel dich und schüttel dich / Wirf Gold und Silber über mich“, und diesmal warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war von Gold und Silber, und die Pantoffeln waren von purem Gold. Als es an den Königshof kam, wußten alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten, und wieder tanzte der Königssohn mit keiner anderen außer ihr. Am Abend entsprang es ihm geschwinde. Doch diesmal hatte er die Treppe mich Pech bestreichen lassen; da war Aschenputtels linker Pantoffel hängengeblieben.
Am nächsten Morgen ging der Königssohn mit dem goldenen Pantoffel zu Aschenputtels Vater und sagte ihm: „Welcher dieser Schuh paßt, die soll meine Gemahlin werden.“ Da freuten sich die beiden Schwestern, und die ältere wollte den Schuh anprobieren. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht hineinkommen. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: „Hau die Zehe ab.“ Die Tochter tat wie ihr geheißen, würgte den Fuß in den Schuh, verbiß den Schmerz und ging zum Königssohn und er nahm sie mit aufs Pferd.
Sie mußten aber an dem Grab vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem Haselbaum und riefen: „Rucke di guck, rucke di guck / Blut ist im Schuck, / Der Schuck ist zu klein, / Die recht Braut sitzt noch daheim.“ Da blickte er auf ihren Fuß, und als er sah, wie das Blut herausquoll, wendete er sein Pferd und brachte die falsche Braut wieder nach Hause.
Da ging die andere Schwester in die Kammer, aber die Ferse war zu groß „Hau ein Stück von der Ferse ab“, sprach die Mutter. Das Mädchen tat es. Aber als sie bei dem Haselbäumchen vorbeikamen, warnten die zwei Täubchen abermals den Königssohn: „Rucke di guck, rucke di guck, / Blut ist im Schuck, / Der Schuck ist zu klein, / Die rechte Braut sitzt noch daheim. „Da brachte er die falsche Braut auch wieder nach Haus.
„Habt ihr keine andere Tochter?“ fragte er. „Nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein Aschenputtel da.“ Er wollte es sehen, Aschenputtel mußte gerufen werden. Da wusch es sich, ging hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte, und siehe da, er paßte wie angegossen.
Da erkannte er auch das schöne Mädchen, das mit ihm getanzt hatte und rief: „Das ist die rechte Braut!“ Dann nahm er Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, da riefen die zwei weißen Täubchen: Rucke di guck, Rucke di guck, / kein Blut ist im Schuck, / Der Schuck ist nicht zu klein, / Die rechte Braut, die führt er heim.

(Quelle: Meine schönsten Märchen, W. Fischer Verlag, Göttingen, ohne Jahr)


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