Außerordentliches Beispiel von Mutterliebe bei einem wilden Tiere ist eine Erzählung von Heinrich von Kleist.
Als die Fregatte „The Carcass“, welche im Jahre 1772 nach dem Nordpol segelte, um Entdeckungen zu machen, eingefroren war, meldete der Wächter auf dem Mast an einem Morgen, dass drei Bären heftig über den Ozean liefen und dem Schiffe zueilten. Sie waren ohne Zweifel durch den Trangeruch von einem Seepferd eingeladen worden, welches das Schiffsvolk einige Tage vorher getötet hatte und eben auf dem Eise verbrannte. Es zeigte sich gleich, dass es eine Bärin mit zwei Jungen war, die aber fast so groß waren wie ihre Mutter. Sie rannten dem Feuer zu, rissen Stücke Fleisch heraus, welche unverbrannt geblieben waren, und fraßen sie gierig auf. Das Schiffsvolk warf ihnen noch mehr Klumpen Seepferdfleisch hin, welche man auf dem Eise hatte liegen lassen. Die alte Bärin holte einen nach dem anderen, legte ihn so, wie sie ihn brachte, vor die Jungen hin, zerteilte ihn, gab jedem ein großes Stück und behielt für sich nur ein kleines. Wie sie den letzten holte, feuerte man auf die Jungen, schoß sie nieder und verwundete die Mutter auf ihrem Rückweg, obwohl nicht tödlich.
hier würde es auch der rauhesten Seele Empfindungen des Mitleids ausgepreßt haben, wenn sie die liebevolle Kümmernis gesehen hätte, welche das arme Tier beim Sterben ihrer Jungen ausdrückte. Ob sie gleich schwerverwundet war und kaum zu dem Pflatze, wo sie lagen, kriechen konnte, so schleppte sie doch das Stück Fleisch mit, welches sie zuletzt gefaßt hatte, zerteilte es wie die vorigen und legte es vor sie nieder. Und wie sie sah, dass sie nicht fressen wollten, legte sie ihre Tatzen zuerst auf das eine und dann auf das andere und wollte sie gerne aufrichten. Erbärmlich war die ganze Zeit ihr Ächzen zu hören. Wie sie fand, dass sie ihre Jungen nicht aufrichten konnte, kroch sie eine kleine Strecke von ihnen weg, sah zurück, roch um sie herum und hub an, ihre Wunden zu lecken. Sie kroch darauf noch einmal einige Schritte weg, sah wieder zurück und stand einige Augenblick still und ächzend. Aber ihre Jungen konnten ihr nicht folgen. Sie kroch wieder zu ihnen, ging mit dem Zeichen der unausdrückbarsten Liebe um sie herum, sie betastend und ächzend. Endlich, wie sie fand, dass sie tot und ohne Leben waren, hob sie ihr Haupt in die Höhe, sah nach dem Schiffe und heulte den Mördern einen Fluch zu, den diese mit einer Musketensalve beantworteten. Sie fiel hierauf zwischen ihre Jungen nieder und starb, ihre Wunde leckend.
Quelle: Deutsches Lesebuch für höhere Schulen, herausgegeben von Ernst Bender, Verlag G. Braun, Karlsruhe, 1964