Das Ei des Kolumbus

Das Ei des Kolumbus – Erzählung von Friedrich Christoph Förster.

Bei einem Feste, welches ein vornehmer Spanier dem Admiral Kolumbus zu Ehren veranstaltete, hielt er ihm eine große Lobrede wegen der von ihm gemachten Entdeckung. Die anwesenden Herren nahmen es übel auf, daß einem Ausländer so große Auszeichnung erwiesen wurde. „Mich dünkt,“ hub einer an, „der Weg nach der sogenannten neuen Welt war nicht so schwer zu finden, der Ocean stand überall offen, und kein spanischer Seefahrer würde den Weg verfehlt haben.“ Mit spöttischem Gelächter gab die Gesellschaft ihren Beifall zu erkennen, und mehrere Stimmen riefen: „O, das hätte ein jeder von uns gekonnt!“–
„Ich bin weit entfernt,“ entgegnete Kolumbus, „mir etwas als Ruhm anzumaßen, was ich nur einer gnädigen Fügung des Himmels zuschreiben darf; indessen kommt es doch bei vielen Dingen in der Welt, welche uns leicht ausführbar erscheinen, oft nur darauf an, daß sie ein anderer uns vormacht. Dürfte ich,“ fuhr er, zu jenem Herrn gewendet, fort, „Sie wohl ersuchen, dieses Ei so auf die Spitze zu stellen, daß es nicht umfällt?“ Der Herr versuchte vergeblich, das Ei zum Stehen zu bringen. Der Nachbar bat es sich aus, es gelang ihm ebensowenig. Nun versuchten es die anderen, allein weder mit Eifer noch mit Ruhe war es möglich, das Kunststück auszuführen. „Es ist unmöglich!“ riefen alle.
„Und doch,“ sagte Kolumbus, „werden die Herren sogleich sagen, das kann ein jeder von uns auch!“ Jetzt nahm er das Ei und setzte es mit einem leichten Schlage auf den Tisch, so daß es auf der eingedrückten Schale feststand.
„Ja! das kann ein jeder von uns!“ riefen die Herren. Seitdem erinnert man oft an das Ei des Kolumbus, wenn eine glückliche Erfindung gemacht wurde, zu welcher ein jeder sich klug genug dünkt.

(Quelle: Höheres viertes Lesebuch für amerikanische Schulen, American Book Company, ohne Jahr)