Das Schlaraffenland, Gedicht von Hans Sachs
Ein Gegend heißt Schlaraffenland,
den faulen Leuten wohlbekannt.
Das liegt drei Meilen hinter Weihnachten.
Und welche darein will trachten,
der muß sich großer Ding vermessen
und durch ein Berg mit Hirsbrei essen,
der ist wohl dreier Meilen dick.
Alsdann ist er im Augenblick
in demselbigen Schlaraffenland,
da aller Reichtum ist bekannt.
Da sind die Häuser deckt mit Fladen,
Lebkuchen die Haustür und Laden,
von Speckkuchen Dielen und Wänd,
die Balken von Schweinebraten send.
Um jedes Haus so ist ein Zaun
geflochten von Bratwürsten braun.
Von Malvasier so sind die Brunnen,
kommen eim von selbst ins Maul gerunnen.
Auf den Tannen wachsen Krapfen,
wie hier zu Land die Tannzapfen.
Auf Fichten wachsen gebackne Schnitten.
Eierplätz tut man von Birken schütten.
Wie Pfifferling wachsen die Wecken,
die Weintrauben in Dornhecken.
Auf Weidenkoppen Semmel stehn,
darunter Bäch mit Milch gehn;
die fallen dann in´ Bach herab,
daß jedermann zu essen hab,
gesotten, gebraten, gesalzen und gebacken
und gehn bei dem Gestad gar nahen.
Auch fliegen um (das mögt ihr glauben)
gebrat´ne Hühner, Gäns und Tauben.
Wer sie nicht fängt und ist so faul,
dem fliegen sie von allein ins Maul.
Die Säu all Jahr gar wohl geraten,
laufen im Land um, sind gebraten.
Jede ein Messer im Rück´,
damit ein jeder schneid´ ein Stück
und steckt das Messer wieder drein.
Die Kreuzkäs wachsen wie die Stein.
So wachsen Bauern auf den Baumen,
gleich wie in unserm Land die Pflaumen.
Wenn zeitig sind, da fallen sie ab,
jeder in ein Paar Stiefel herab.
Wer Pferd hat, wird ein reicher Meier,
denn sie legen ganz Körb voll Eier.
So schüttet man aus den Eseln Feigen.
Nicht hoch braucht man nach den Kirschen steigen,
wie die Schwarzbeern sie wachsen tun.
Auch ist in dem Land ein Jungbrunn,
darin verjüngen sich die Alten.
Viel Kurzweil wird im Land gehalten.
So nach dem Ziel schießen die Gäst´,
wer am weitesten daneen, gewinnt das Best.
Bei Laufen gewinnt der Letzte allein.
Das Polsterschlafen ist allgemein.
Ihr Weidwerk ist mit Flöh und Läusen,
mit Wanzen, Ratten und Mäusen.
Auch ist im Land gut Geld zu gewinnen.
Wer sehr faul ist und schläft darinnen,
dem gibt man für die Stund zwei Pfennig,
er schlaf ihr gleich viel oder wenig.
Ein Furz gilt einen Binger Haller,
drei Rülpser einen Jochimstaler.
Und welcher da sein Geld verspielt,
zwiefach man ihm das wiedergilt.
Und welher auch nicht gern bezahlt,
wenn die Schuld wird eins Jahr alt,
so muß ihm jener dazu geben.
Und welcher liebt ein gutes Leben,
dem gibt man für den Trunk einen Batzen.
Und welcher wohl die Leut kann fatzen,
dem gibt man drei Kreuzer zum Lohn.
Für eine große Lüg´ gibts ein Kron.
Doch muß sich da hüten ein Mann,
aller Vernunft ganz müßig stahn.
Wer Sinn und Witz gebrauchen wollt,
dem wär kein Mensch im Lande hold,
und wer gern arbeit´ mit der Hand,
dem verböt´ man das Schlaraffenland.
Wer Zucht und Ehrbarkeit hätt lieb,
denselben man des Lands vertrieb.
Wer Unnütz ist, nichts will lern,
der kommt im Land zu großen Ehrn,
wann wer der Faulste wird erkannt,
derselb ist König in dem Land.
Wer wüst, wild und unsinnig ist,
grob, unverstanden zu aller Frist,
aus dem macht man im Land einen Fürsten.
Wer gerne ficht mit Leberwürsten,
aus dem ein Ritter wird gemacht.
Wer liederlich ist und auf nichts acht´
als auf Essen, Trinken und viel Schlafen,
aus dem macht man im Land ein Grafen.
Wer tölpisch ist und gar nichts kann,
der ist im Land ein Edelmann.
Wer also lebt wie obgenannt,
der ist gut fürs Schlaraffenland,
das von den Alten ist erdicht´,
zu Straf der Jugend zugerichtet´,
die gewöhnlich faul ist und gefräßig,
ungeschickt, heillos und nächlässig,
daß man sie weis ins Land zu Schlaraffen,
damit ihr liederlich Weis zu strafen,
daß sie haben auf Arbeit acht,
weil faule Weis nie Gutes bracht.
Quelle: Die schönsten deutschen Kindergedichte, Carl Hanser Verlag 1979
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