Der alte Barbarosse – Friedrich Rückert

Der alte Barbarosse – Gedicht von Friedrich Rückert

Der alte Barbarosse,
Der Kaiser Friedrich,
Im unterird´schen Schlosse
Hält er verzaubert sich.

Er ist niemals gestorben,
Er lebt darin noch jetzt;
Er hat im Schloß verborgen
Zum Schlaf sich hingesetzt.

Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit,
Und wird einst wiederkommen,
Mit ihr zu einer Zeit.

Der Stuhl ist elfenbeinern,
Darauf der Kaiser sitzt,
Der Tisch ist marmelsteinern,
Worauf sein Haupt er stützt.

Sein Bart ist nicht vom Flachse,
Er ist von Feuersglut,
Ist durch den Tisch gewachsen,
Worauf sein Kinn ausruht.

Er nickt als wie im Traume,
Sein Aug´ halb offen zwinkt;
Und je nach langem Raume,
Er einem Knaben winkt.

Er spricht im Schlaf zum Knaben:
„Geh´ hin vor´s Tor, o Zwerg,
Und sieh´, ob noch die Raben
Herfliegen um den Berg.

Und wenn die alten Raben
Noch fliegen immerdar,
So muß ich auch noch schlafen
Verzaubert hundert Jahr.


Quelle: Deutscher Sagenschatz, herausgegeben von Dr. J. W. Otto Richter, Verlag von Otto Mähnert, Eisleben, 1877