Die Flachsknoten der Prinzessin – Sage nach Otmar.
Es zog einmal ein Schwarm Knaben von Kelbra aus auf den Kyffhäuser, um Nüsse zu pflücken. Sie gingen in die alte Burg, kamen an eine Wendeltreppe, stiegen hinauf und fanden ein kleines Gemach mit schönen achteckigen roten und blauen Fenstern. In einer Ecke lag eine Spindel mit Flachs, in der andern ein Haufen Flachsknoten. Von den Knoten nahm jeder der Knaben aus Schäkerei so viel in seinen Hut, als er eben fassen mochte, sich damit zu werfen, und so liefen sie luftig hinunter, warfen einander und streuten dabei die Flachsknoten auf dem Wege aus. Als sie nach Kelbra zurückkamen, war es Abendbrotzeit und der ärmste der Knaben fand seine Eltern grade beim Tischgebet. Er. nahm sein Hütchen ab und dabei fiel klingend etwas Glänzendes auf die Erde, darauf noch ein Stück und noch sieben andere. Die Mutter lief hinzu und fand goldene Flachsknoten, mit denen die Prinzessin auf dem Kyffhäuser dem armen Manne ein Geschenk machte; der ließ nun seinen Sohn dafür ein Handwerk lernen. Dies Ereigniß wurde noch selbigen Abend in ganz Kelbra bekannt. Alle Nach’barn liefen herzu, die seltsamen Flachsknoten zu sehen, und am folgenden Tage zog Jung und Alt auf den Kyffhäuser. Alle suchten, aber keiner fand die roten und blauen Fenster, keiner die Spinnstube der Prinzessin, noch die angehäuften Flachsknoten, und alle schlichen verdrießlich wieder heim.
Quelle: Deutscher Sagenschatz, herausgegeben von Dr. J. W. Otto Richter, Verlag von Otto Mähnert, Eisleben, 1877