Die goldenen Haare aus des Kaisers Bart

Die goldenen Haare aus des Kaisers Bart – Sage nach Johann Gustav Gottlieb Büsching.

In Tilleda waren die jungen Mädchen und Burschen in der Spinnstube beisammen. Man scherzte und lachte, neckte und erzählte und begann auch ein Pfänderspiel. Nun war unter den Mädchen eins, dem man im ganzen Dorfe gram war und deshalb bei jeder Gelegenheit etwas anzuhängen suchte. So sollte es auch diesmal sein. Die jungen Burschen hatten verabredet, daß derjenige, welcher die Pfänder einsammelte und wieder ausgab, immer ein gewisses Zeichen geben sollte, wenn ein Pfand jenes Mädchens an die Reihe käme, auch hatten sie allerhand Teufelszeug ausgedacht, das sie alsdann ihr zu thun auferlegen wollten. So mußte das Mädchen, um seine Pfänder wieder zu bekommen viel schnurriges Zeug machen und beim letzten Pfande verlangte man sogar von ihm, daß es auf das Kyffhäuserschloß gehen und zum Beweise, daß es oben gewesen sei, dem Kaiser Friedrich drei Haare aus seinem roten Barte rupfen und mit herunter bringen sollte. Das Mädchen merkte nun wohl, daß man es aus der Gesellschaft los sein wollte; da es jedoch das betreffende Pfand nicht im Stiche lassen wollte und keine Furcht in seinem Herzen hatte, so machte es sich, ohne ein Wort zu verlieren, nach dem Kyffhäuserberge auf den Weg und brachte nach Verlauf einer Stunde die verlangten Haare, deren brennendrote Farbe und übergroße Lange bewiesen, daß sie ächt waren. Das Mädchen hatte oben auf der Burg den Kaiser gesehen und gesprochen, aus einem großen goldenen Becher, welchen ihm ein Zwerg gereicht, köstlichen Wein getrunken auf des Kaisers und der Frau Kaiserin Gesundheit und zuletzt auch vom Kaiser die Erlaubniß erhalten, ihm drei Haare aus seinem langen, durch den Tisch gewachsenen Barte rupfen zu dürfen. Der Kaiser hatte dem Mädchen aber gesagt, es solle die Haare ja nicht weggeben, sondern sie heilig aufbewahren. Das that das Mädchen auch; es verschloß die Haare, in ein großes Papier gewickelt, in seiner Wäschlade, wo sie wohl ein ganzes Jahr lagen, ohne daß die Jungfer wieder dran dachte. Eines Tages aber, als sie in ihrer Wäsche herumkramte, kommt ihr in den Sinn, wieder einmal nach des Kaisers Barthaaren zu sehen. Sie nimmt das Papier auf, vermag es aber kaum aus der Lade zu heben. Mit einem Worte, die drei Haare hatten sich in drei Goldstangen verwandelt, jede 1 1/2 Zoll im Durchmesser.


Quelle: Deutscher Sagenschatz, herausgegeben von Dr. J. W. Otto Richter, Verlag von Otto Mähnert, Eisleben, 1877