Der Barbierjunge von Segringen – Johann Peter Hebel

Der Barbierjunge von Segringen – eine Erzählung von Johann Peter Hebel

Man muß Gott nicht versuchen, aber auch die Menschen nicht. Denn im vorigen Spätjahr kam in dem Wirtshaus zu Segringen ein Fremder von der Armee an, der einen starken Bart hatte, und fast wunderlich aussah, also daß ihm nicht recht zu trauen war. Der sagt zum Wirt, eh‘ er etwas zu essen oder zu trinken fordert: „Habt ihr keinen Barbier im Ort, der mich rasieren kann?“ Der Wirt sagt Ja, und holt den Barbier. Zu dem sagt der Fremde: „Jhr sollt mir den Bart abnehmen, aber ich habe eine kitzliche Haut. Wenn ihr mich nicht ins Gesicht schneidet, so bezahl‘ ich euch vier Kronentaler. Wenn ihr mich aber schneidet, so stech‘ ich euch tot. Ihr wäret nicht der erste.“ Wie der erschrockene Mann das hörte (denn der fremde Herr, machte ein Gesicht, als wenn es nicht vexiert wäre, und das spitzige, kalte Eisen lag auf dem Tisch), so springt er fort und schickt den Gesellen. Zu dem sagt der Herr das nämliche. Wie der Gesell das nämliche hört, springt er ebenfalls fort und schickt den Lehrjungen. Der Lehrjunge läßt sich blenden von dem Geld und denkt: „Jch wag’s. Geratet es und ich schneide ihn nicht, so kann ich mir für vier Kronentaler einen neuen Rock auf die Kirchweihe kaufen und einen Schnepper. Geratet’s nicht, so weiß ich, was ich tue,“ und rasiert den Herrn. Der Herr hält ruhig still, weiß nicht, in welcher entsetzlichen Todesgefahr er ist, und der verwegene Lehrjunge spaziert ihm auch ganz kaltblütig mit dem Messer im Gesicht und um die Nase herum, als wenn’s nur um einen Sechser, oder (im Fall eines Schnittes) um ein Stücklein Zunder oder Fließpapier darauf zu tun wäre, und nicht um vier Kronentaler und um ein Leben, und bringt ihm glücklich den Bart aus dem Gesicht ohne Schnitt und ohne Blut, und dachte doch, als er fertig war: „Gottlob!“

Als aber der Herr aufgestanden war und sich im Spiegel beschaut und abgetrocknet hatte und gibt dem Jungen die vier Kronentaler, sagt er zu ihm: „Aber junger Mensch, wer hat dir den Mut gegeben, mich zu rasieren, so doch dein Herr und der Gesell sind fortgesprungen? Denn wenn du mich geschnitten hättest, so hätt‘ ich dich erstochen. „Der Lehrjunge aber bedankte sich lächelnd für das schöne Stück Geld und sagte: „Gnädiger Herr, ihr hättet mich nicht erstochen, sondern wenn ihr gezuckt hättet, und ich hätt‘ euch ins Gesicht geschnitten, so wär‘ ich euch zuvorgekommen, hätt‘ euch augenblicklich die Gurgel abgehauen und wäre auf und davon gesprungen.“ Als der fremde Herr das hörte und an die Gefahr dachte, in der er gesessen war, ward er erst blaß vor Schrecken und Todesangst, schenkte dem Burschen noch einen Kronentaler extra, und hat seitdem zu keinem Barbier mehr gesagt: „Jch steche dich tot, wenn du mich schneidest.“


(Quelle: Schätzkästlein des Rheinischen Hausfreundes, American Book Company, 1913)


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