Die Sänger ans Kelbra

Die Sänger aus Kelbra – mündliche Überlieferung.

Ein Sängerchor aus Kelbra sang rings um den Kyffhäuser den Bauern das neue Jahr an. Da traf es sich, daß sie am Neujahrsmorgen über den Kyffhäufer wanderten. Der Tag war kalt und Schneegestöber umwirbelte die Männer. Trotzdem trafen sie auf dem Kyffhäuser eine Gesellschaft an, welche sich mit Kegelschieben vergnügte. Verwundert blieben sie stehen, denn Jahres- und Tageszeit sowie der eigentümliche Ort passten so wenig für das Vergnügen. Der jüngste aus dem Sängerchore, ein Bäckerbursche, faßte sich endlich ein Herz, näherte sich der Gesellschaft und sprach in höflichem Tone: „Niemand wird uns glauben, daß wir heute hier haben Kegel schieben sehen; erlaubt mir also, daß ich einen Kegel mitnehmen darf.“ Man erlaubte es ihm und er nahm den König und steckte ihn in seinen ledernen Ranzen. Rasch ging es nun weiter, und als sie nach dem nächsten Dorfe kamen, erzählten sie, was sie auf dem Berge gesehen hatten. Natürlich wollte ihnen niemand glauben; da zog der Bäckerbursche zum Beweise der Wahrheit den Kegel aus seinem Ranzen hervor, und siehe, er war plötzlich so schwer, daß er ihn fallen lassen mußte, denn er bestand aus gediegenem Golde. Der Glückliche teilte den Besitz nun redlich mit seinen Kameraden und jedem trug es soviel ein, daß keiner mehr nötig hatte, zu Neujahr singen zu müssen.


Quelle: Deutscher Sagenschatz, herausgegeben von Dr. J. W. Otto Richter, Verlag von Otto Mähnert, Eisleben, 1877