Die Schwalbe und der Sperling

Die Schwalbe und der Sperling – Gedicht von Friedrich Hofmann.

Was ist das für ein Klingen,
Ein lustiges Zwitschern und Singen
So früh in den Morgenstunden?
Es sind der Schwalben Lieder,
Sie haben die Nestchen wieder
Und alles beim alten gefunden.

Doch dort ein Schwalbenmütterlein
Sitzt traurig auf dem Dache,
So mutterseelen ganz allein,
Hat wohl bedenkliche Sache!
Ihr Nestchen ist da –
Doch sieh! ein Sperlingspapa
Sitzt groß und breit in dem Neste,
Verlangt keine Gäste,
Will nicht heraus
Aus dem warmen Haus.

Die Schwalbe, lange stumm vor Schmerz,
Faßt sich ein Herz:
„O, guter Spatz, ich bitte dich,
Laß doch in meine Wohnung mich!
Sie ist ja mein, ich hab‘ sie gebaut,
Du selber hat es mit angeschaut;
Nun friert mich, bin müde dazu,
O, gönn‘ mir im Haus die ersehnte Ruh!
Hab‘ viele, viel hundert Meilen
Durch Sturm und Regen müssen eilen;
Meine Kleider sind naß, meine Kräfte schwinden –
Du wirst schon ein anderes Häuschen finden.
Ach, lieber Spatz, hör‘ auf mein Wort,
Ich bitte dich herzlich – fliege fort!“ –

Der Spatz erwidert mit Übermut:
„Ich bleibe hier, das Nest ist gut;
Ich weiche nimmer, es kann nicht sein,
Bemühe dich nicht mit Weinen und Schrein!“–

Da denkt die Schwalbe: „Du böser Mann,
So fang ich’s mit dir anders an!
Willst du ein frecher Räuber ein,
So maur‘ ich dich ins Nestchen ein.“ –

Sie ruft. Da kommen ihre Brüder;
Und wären sie alle noch viel müder,
Sie hälfen den bösen Räuber bestrafen:
Er soll im Neste nicht ruhig schlafen.
Und ehe der Sperling es noch bedacht,
Ist schon das Pförtchen zugemacht.
Er pickt, er flattert; umsonst! Das Nest
Ist zugeschlossen dicht und fest. –

Und als der nächste Morgen graut,
Die Schwalbe am neuen Hause baut.

(Quelle: Höheres viertes Lesebuch für amerikanische Schulen, American Book Company, ohne Jahr)