Die sieben Schwaben – [Online – lesen]

Die sieben Schwaben ist ein Märchen von Ludwig Bechstein

Es waren einmal sieben Schwaben, die wollten große Helden sein und auf Abenteuer ausziehen in die weite Welt. Damit sie aber gut gewaffnet seien, zogen sie zunächst in die weltberühmte Stadt Augsburg und gingen sogleich zu dem geschicktesten Meister, um sich mit Wehr und Waffen zu versehen. Denn sie hatten nichts Geringeres im Sinn, als das gewaltige Ungetüm zu erlegen, das zur selben Zeit in der Gegend des Bodensees übel hauste. Der Meister fertigte ihnen in weniger als einer Stunde einen Spieß, der sieben Manneslängen maß.
Nachdem die sieben Schwaben, wie ehrliche Leute, alles auf Heller und Pfennig bezahlt und zuletzt noch beim Metzger am Göppinger Tore gute Augsburger Würste eingekauft hatten, zogen sie zum Tor hinaus. Den Spieß aber hielten alle Sieben und gingen in einer Reihe hintereinander, dass sie schier aussahen wie angespießte Lerchen. Voran ging der Allgäuer, als der männlichste unter ihnen, dann kam der Jockele, genannt der Seehas, hierauf der Marle, genannt der Nestleschwab, dem folgte der Jergle, Blitzschwab geheißen, hernach ging der Michel, Spiegelschwab genannt, dann kam der Hans, der Knöpflesschwab und schließlich Veit, der Gelbfüßler.
Als nun die Sieben allesamt guten Mutes mit ihrem Spieß dahinzogen, kamen sie in der Dämmerung über eine grüße Wiese. Da erhob sich nicht weit von ihnen eine Hornisse mit feindlichem Gebrummel hinter einer Dornenhecke und flog davon. Darob erschrak der Allgäuer mächtig und begann Angstschweiß zu schwitzen und schrie seinen Spießgesellen zu: „Horchet! Horchet! Der Feind trommelt schon!“
Der Jockele, der dicht hinter dem Allgäuer ging, glaubte einen üblichen Geruch zu spüren und rief: „Wohl, wohl! Es ist etwas in der Nähe! Ich schmecke schon das Pulver!“ Da nahm der Allgäuer Reißaus, ließ den Spieß fahren und sprang über einen Zaun, kam aber gerade auf die Zinken eines Rechens zu springen, daß ihm der Stiel ins Gesicht fuhr und ihm einen ungeschwaschenen Schlag versetzte.
Der Allgäuer vermeinte, der Feind haue auf ihn ein und schrie: „Gib Pardon! Ich ergebe mich.“ Die anderen waren über den Zaun nachgesprungen, und als sie ihren Anführer so schreien hörten, so schrien sie alle: „Ergibst du dich, ergebe ich mich auch!“ Aber es war niemand vorhanden, der die Schwaben gefangen nehmen wollte, und da sie das merkten, schämten sie sich ihrer mangelnden Herzhaftigkeit und verschworen sich, diese ihre erste Heldentat nicht weiter zu erzählen.
Auf ihren weiteren Zuge kamen die sieben Schwaben in einen Hohlweg, und wie sie tapfer darauf losmarschierten, merkten sie nicht, dass ein mächtiger Bär im Wege lag, bis der Allgäuer fast mit der Nase an ihn stieß. Als er ihn nun sah, stolperte er vor Schreck und stieß mit dem Spieß gerade auf den Bären los, wozu er aber nichts konnte. Dazu schrie er gottsjämmerlich und vermeinte, sein letztes Brot wäre gebacken und bereits verzehrt. Doch der Bär rührte sich nicht, weil er mausetot war. Hocherfreut sah sich der Allgäuer nach einen Brüdern um und erschrak aufs neue, als er sie alle mäuschenstill wie tot am Boden liegen sah. Er meinte gar, er habe sie mit dem Spieße hinterrücks erstochen und erhob sein Wehgeschrei.
Als sie daran merkten, dass der Bär den Allgäuer noch nicht aufgefressen hatte, lugten sie vorsichtig in die Höhe, stellten fest, dass der Bär tot war und erhoben sich frisch und gesund. Sie traten um den Bären herum und untersuchten, wie tief wohl die Wunde sei, die der Spieß ihm beigebracht, fanden aber keine. Da zogen sie ihm das Fell ab, um es als Siegeszeichen mit sich zu führen und schritten wacker fürbaß mit ihrem Bärenfell und ihrem Spieß.
Sie kamen nun just in einen Wald und gerieten tiefer und tiefer in das Gebüsch hinein, bis darin stecken blieben und der Allgäuer den Spieß vor einem derben Stamme mit solcher Gewalt in den Boden rannte, dass der Knöpflesschwab zwischen Baum und Spieß eingeklemmt wurde wie ein Treibkeil und sich weder rühren noch regen konnte.
Zwar machten die Gesellen einige mächtige Versuche, den Knöpflesschwab aus der Klemme herauszuziehen, aber es war eitel Mühen, der Hans saß fest und wankte niht.
Da packte der Allgäuer den Baum mit gewaltiger Faust und riß ihn heraus samt Wurzel, Stumpf und Stiel. Der Knöpflesschwab, mehr tot als lebendig, schnellte empor wie ein Ball, flog sechs Klafter himmelwärts und plumpste hernieder, dass die Erde darob wackelte. Die fünf anderen aber schauten gar ehrerbietig zu dem Allgäuer empor, denn erst jetzt ging ihnen ein Licht auf, welchen Fund sie ihm getan.
Wenig weiter zeigte sich´s abermals, dass der Allgäuer das Herz am rechten Fleck trug. Als sich die Sieben aus dem Gestrüb heraugefunden, kam ein Bierbrauer aus München des Wegs. Der blieb groß und breit stehen, als er die Sieben mit dem Spieß erblickte, und zog ein Gesicht, als woll´ er die wackeren Leut´ auslachen. Gleich war der Blitzschwab vor ihm und fragte protzig: „Was gaffst du, Geselle? Hast du noch keinen Schwaben gesehen?“
„O, genug“, gab jener zurück, „bei mir daheim auf dem Malzboden laufen sie zu Tausenden herum.“ Das war zuviel für den Blitzschwab, und flugs gab er dem Bayer eine Ohrfeige, dass ihm die Augen hell aufblitzten und die Ohren summten. Der Bayer, nicht faul, langte mächtig aus, aber der Blitzschwab konnte nichts besser als das Ausreißen. So kam es, dass der Bayer gewaltig in die Luft schlug, stolperte und wie ein Baum zu Boden stürzte. Der Blitzschwab packte ihn an der Gurgel, während die anderen lustig darauf lostrommelten. Der große, starke Kerl wäre ihrer jedoch letztlich noch Herr geworden, wenn nicht der Allgäuer über ihn hergefallen wäre wie ein Maltersack. Da mußte er wohl oder übel Abbitte tun.
Auf ihrer Weiterreise kamen die Gesellen in der Dämmerung an einen weiten blauen See, wie es ihnen dünkte, der schlug mächtige Wellen in den Wind. Sie standen am Abhang und lugten hinunter, wie sie wohl am geschwindesten über diesen See kommen könnten, der in Wirklichkeit ein Flachsfeld in seiner schönsten blauen Blüte war.
Sie stand noch ganz verlegen da, als sich Blitzschwab hinter ihnen herumdrückte und einige der Gesellen herunterstieß, indem er ausrief: „Frisch gewagt ist halb geschwommen!“ Da die nicht untergingen, folgten die anderen nach, und zuletzt ritt der Allgäuer auf dem Spieß hinab. Unten aber blumste einer auf den anderen, bis sie merkten, dass sie mit der Nase in den Dreck gefallen waren anstatt in einen See.
Als sie sich auf ihrer weiteren Wanderung dem Städtchen Memmingen näherten, weigerte sich die Spiegelschwab, durch die Stadt zu gehen. Er schien seine besonderen Gründe dafür zu haben. Sie blieben deshalb außerhalb der Stadtmauer, um am anderen Ende wieder die Heerstraße zu gewinnen. Aber da sprang aus einem Hopfengarten ein Weib auf den Spiegelschwaben zu und schrie in einem Ton, der durch Mark und Bein ging: „Bist du endlich wieder da, du Schlingel? Wo treibst du dich so lange herum, du Galgenstrick?“
Dem Spiegelschwaben wurde es gelb und grün vor den Augen, denn die Alte war niemand anderes als seine Frau, die er sitzen gelassen hatte, als er mit den anderen Gesellen auf Wanderschaft gegangen war. Ohne lange Überlegung setzte er in die Hopfengärten, zum großen Jubel der anderen, aber die Alte war hurtig hintendrein, und es hätte wohl einen argen Strauß zwischen den beiden gegeben, wenn nicht dem Spiegelschwaben zu guter Stunde ein Schelmenstückchen eingefallen wäre.
Er warf eilig das bei ihrem ersten Abenteuer erbeutete Bärenfell, das er zu tragen hatte, über den Kopf, schlüpfte behend in die Tatzen und lief nun auf allen Vieren, wie ein leibhaftiger Bär, auf die Frau zu, umfing sie mit scharfen Krallen und drückte sie, dass ihr Hören und Sehen verging. Die Alte war froh, als sie dem Schalk entronnen war, der nun freudig mit den anderen von dannen zog.
„Auf Leid folgt Freud“, rief der Allgäuer aus, und zeigte nach dem Leutkircher Tor, wo über der Tür eines Wirtshauses zu lesen war: „Hier schenkt man Märzenbier aus.“ Da war keiner unter den Sieben, der nicht gern einen Trunk Bier geschenkt genommen hätte. Sie richteten daher ihre Schritte nach dem Wirtshaus und schoben sich mit dem Spieße just in den Hausflur, als der dicke Bierbrauer vor die Türe trat.
Als der die Schaar mit der furchtbaren Waffe erblickte, wurde es ihm nicht eben warm ums Herz, aber er zog schnell sein Käppchen und fragte höflich nach ihrem Begehr. „Sie wollen ein bißchen sein Bier probieren,“ sagte der Allgäuer und schritt den Gesellen voran in die Schankstube.
Da wurde es dem Wirt klar, dass die Gesellschaft von der schwäbischen Kreisregierung ausgeschickt sei, sein Bier zu kosten und zu prüfen. Er rannte daher spornstreichs in den Keller und holte einen Krug vom Besten herauf, das er nur für sich und seine Leute gebraut hatte. Der Krug war leer im Umsehen, er zweite in noch kürzerer Zeit, und als die Sieben in weniger als zwei Stunden fast ein halbes Faß getrunken hatten, meinte der Wirt, er sehe, dass es ihnen schmecke.
Der Blitzschwab aber, der immer das Maul vorweg hatte, sagte: „´s könnte besser senn, wenn nicht zu wenig Malz und Hopfen drin wär.“ „Das ist nicht wahr,“ versetzte der Wirt, der auch ein Schalk war, „Hopfen und Malz ist nicht zu wenig darin, aber zu viel Wasser.“
Dann zogen allesam fürbaß, und der Wirt in Memmingen schwört heute noch Stein und Bein, dass das Häuflein nichts anderes gewesen sei als des Memminger Kreises Oberbierbeschauer.
Noch drehte und wirbelte es in ihren Köpfen von dem überreichlich genossenen Märzenbier, da harrte ihrer schon wieder ein tückisches Geschick. Sie zogen eben bei Kronberg vorbei, als der gestrenge Herr Junker aus dem Fenster schaute und ihm die lustige Schar, die eben nicht sehr manierlich daherzog, nicht ganz geheuer vorkam. Er rief deshalb seinen Kerkermeister und sage: „Lug einmal nach den Landstreichern da drüben, scheint mir eine saubere Sippschaft zu sein.“
Der Scherge nahm sieben Bullenbeißer mit sich, jeder groß genug, um es mit einem Bären aufnehmen zu können, und stieg hinab, um Jagd auf die unglücklichen Schwaben zu machen. Er hatte sie bald erreicht und nahm das Häuflein mit sich, das angesichts der grimmig knurrenden Hunde den Spieß mit den Ohren zugleich senkte und hinter dem Haltmichfest hertrabte.
Sie wurden sämtlich vor den Junker von Kronberg geführt, der ein strenges Verhör begann. Der Seehas machte den Sprecher für alle und erzählte getreulich, dass sie sich als brave Landsleute aus allen schwäbischen Gauen zusammengetan hätten, um das Land von dem am Bodensee hausenden Ungeheuer zu befreien. Das glaubte ihnen der Junker jedoch nicht, sondern nannte sie Strolche und Diebesgesindel und ließ sie ins Gefängnis stecken.
Er hatte nämlich erst tags zuvor den löblichen Entschluß gefaßt, ein Zuchthaus zu stiften zum Schrecken aller Gauner und Tagediebe. Da kamen ihm die sieben Schwaben eben recht. Der Spiegelschwab, der den Junker wohl kannte und wußte, dass Schmalhans in seinem Hause Küchenmeister war, legte darauf seinen Plan an und verständigte seine Gesellen. Als nun der Scherge mittags eine große Pfanne voll Klöße brachte, die sie Mehlspätzle nennen, sprach der Blitzschwab zum Knöpflesschwab: „Die sind für dich!“
Der Aufseher meint, das ei wohl für alle genug, der Knöpflesschwab aber antwortete, er wolle mal schauen, ob es für ihn lange, setzte sich und aß die Pfanne allein aus. Erschrocken lief er Scherge zum Junker und berichtete, man müsse für die Landstreicher eine ganze Braupfanne voll Spätzle auf einmal kochen, und selbst das dünke ihm noch nicht genug. Weil sich der Junger um einiger Strolche willen aber nicht aushungern lassen wollte in seinem Schloß, wurden sie stracks wieder in Freiheit gesetzt und mit einem Steckbrief versehen, um andere Kreise und Kerkerknechte vor des Knöpflesschwaben großer Freßsucht zu warnen.
Nach einigen weiteren, glücklich überstandenen Abenteuern gelangten die Schwaben endlich an den Bodensee. Angesichts des Sees und des Waldes, in das gefährlich Untier sein sollte, von dem man nicht wußte, ob es ein greulicher Lindwurm oder ein feuerspeiender Drache sei, fiel ihnen das Herz in die Hosen, und sie zündeten ein Feuerchen an, um ihre, wie sie allesamt glaubten, letzte Mahlzeit Spätzle zu bereiten.
Nachdem sie sich so für ihren schweren Gang gestärkt und noch einige Zeit um die Schlachtordnung gestritten hatten, – denn jeder wollte gern dem anderen den Vortritt und den Platz an der Spitze lassen – schritten sie hurtig mit ihrem Spieß auf den Wald zu.
Da saß an einem Rain ein Hase und machte Männchen und streckte die langen Löffel in die Höhe; die erschrockenen Schwaben bekamen das Grauen, hemmten ihren Schritt und besannen sich lange, ob sie auf das vermeintliche Untier vorrücken sollten. Schließlich beendete der Allgäuer das Hin und Her, faßte sich ein Herz und sprach mutig:

„So zieht denn herzhaft in den Streit,
daran erkannt man tapfere Leut.“

Und dann ging es im Sturmschritt auf das Ungeheuer los. Als dem Allgäuer schließlich doch das Herz puckerte, konnte er sich seiner Angst nicht erwehren und schrie sie laut heraus. Da erschrak der Has, gab spornstreichs Fersengeld querfeldein und lief, was er laufen konnte. Jetzt rief der Allgäuer freudig:

„Potz, Veit, schau, was ist das?
Das Ungeheuer ist nur ein Has!“

„Hast´s gesehen? Hast´s gesehen?“ fragten sie die anderen untereinander. „Potz, Blitz, ein Ding wie ein Kalb!“ rief der Blitzschwab. Der Nestleschwab ereiferte sich: „Mit Verlaub! Dass dich das Mäuschen beiß´! Ein Tier wie ein Mastochs!“ „Oho!“ rief der Knöpflesschwab, „ein Elefant ist eine Katze gegen das Untier.“
Nachdem so das Abenteuer mit dem Ungeheuer glücklich überstanden war, wurden die sieben Schwaben eins, nunmehr von ihren Taten auszuruhen und friedlich wieder heimzuziehen. Zuvor aber stifteten sie ihr Bärenfell und ihren Spieß der nächstgelegenen Kapelle, damit sie, wie die Siegeszeichen kühner Ritter, für alle Zeiten von ihrem Triumph künden sollten. Und dort hängen sie wohl heute noch.

(Quelle: Meine schönsten Märchen, W. Fischer Verlag, Göttingen, ohne Jahr)


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