Gott allein die Ehre – eine Erzählung von Carl Heinrich Caspari.
Ein Dachdecker arbeitete hoch oben auf der Spitze eines Kirchturms. Da riß das Seil, mit dem er sich am Knopfe befestigt hatte, und er fiel hinab auf das Kirchendach. Hier wollte er sich halten, und rollte vom Dach hinab in einen Lindenbaum. Hier wollte er sich wieder halten; aber die Äste brachen, und so fiel er von Ast zu Ast und endlich hinab auf das Pflaster. Die Leute hatten ihn mit einem Schrei des Entsetzens fallen sehen, rannten herbei und meinten ihn zerschmettert zu finden. Aber der Dachdecker lebte und war ganz unversehrt und rieb sich die Augen; denn er wußte gar nicht, wie ihm geschehen war. Mittlerweile mehrte sich der Menschenhaufe um ihn, und jeder ließ sich die Geschichte erzählen. Endlich rief ein Wirt, der auch hinzugetreten war: „Das ist doch wunderbar, der Tag muß gefeiert werden! Kommt mit in mein Haus, der Mann muß sich´s heut einmal wohl sein lassen!“
Gesagt, getan! Zwei nahmen den Dachdecker in die Mitte, der andere Haufe folgte, und im Jubel ging´s ins Wirtshaus, wo gezecht, gelärmt und „Lebehoch“ gerufen wurde bis in die späte Nacht. Der Dachdecker wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, auf fremde Kosten sich gütlich zu tun, aß und trank und hörte dabei nicht auf, immer wieder von neuem die Geschichte seines wunderbaren Sturzes zu erzählen. Des lieben Gottes, der seinen Engel über ihn wachen ließ, gedachte er dabei mit keiner Silbe; vielmehr erzählte er den Hergang so, als sei das nicht Gottes Beschirmung, sondern eine ganz besondere Geschicklichkeit und Besonnenheit von ihm selber gewesen, zuerst auf das Dach, dann auf den Lindenbaum und dann ganz allmählich von Ast zu Ast bis hinunter auf das Pflaster zu fallen; und zuletzt vermaß er sich sogar, wenn sich etwas Erkleckliches damit verdienen ließe, wolle er eigens das Kunststück noch einmal machen.
Von dem vielen Reden und Trinken ward er endlich müde, legte sich auf die Ofenbank und schlief ein. Als die letzten Gäste eben das Wirtshaus verlassen wollten, bemerkten sie, daß er allerlei ängstliche Gebärenden machte und ein banges Stöhnen ausstieß. Er fuhr mit den Händen in der Luft herum, als ob er sich an etwas halten wolle, dann schrak er wieder heftig zusammen. Es war offenbar, daß er den Fall noch einmal durchträumte, den er am Vormittage getan hatte, und die Gäste fanden eine große Belustigung darin, seine seltsamen Bewegungen anzuschauen, besonders als sie bemerkten, daß er jeden Augenblick von der Bank herunterfallen müsse. Endlich machte er wieder eine Bewegung und fiel wirklich unter schallendem Gelächter der Anwesenden von der Bank hinab in die Stube. Sie erwarteten, ihn nun aufwachen zu sehen; aber er blieb liegen, ohne ein Glied zu rühren, und als sie hinzutraten und ihn anfaßten, war er tot!
entnommen:
Vor den Toren, Lesebuch für Rheinland-Pfalz, August Bagel Verlag Düsseldorf, 1952