Lasst die Todten ruhen!

Lasst die Todten ruhen!

Auf dem Stefans Kirchhofe zu Wien, bei dem größerem Beinhause, wo die ausgegrabenen Todten-Knochen verwahret werden, brennet durch die Stiftung einer alten Wittwe zu Ehren eines darneben hangenden Ecce Homo Bildes eine Lampe. Wie nun die Kirchendiener meistens in derselben Gegend ihre Wohnungen haben, also ereignete es sich, dass einer derselben nach einem bei seinem Nachbar abgestatteten Besuche um 11 Uhr Nachts nach Hause gieng, dieser aber jenem bis zu seiner Hausthüre das Geleite geben wollte. Da sie über den mittelsten Kirchhof giengen, löschte ihnen von ohngefähr das Licht aus, weswegen der eine, welchem etwa der Wein zu Kopfe gestiegen war und ihn beherzter als den andern gemacht hatte, zu dem Beinhause sich verfügte, um sein Licht bei der genannten Lampe anzuzünden. Ja, obgleich sein Kamerad nicht darein willigen wollte, blieb er dennoch bei seinem Vorsatze, nannte jenen einen furchtsamen Hasen und brach zugleich in diese unbesonnenen Worte aus, da er sich eben dem Beinhause nahete: Habe ich denn keinen Schwager oder Freund allhier, der mir das Licht hätte können nachtra- gen, da ich es doch besser brauche als ihr, die ihr alle schon seid schlafen gegangen? Nachdem er dieses gesprochen, zündete er sein Licht an, löschte aber die Lampe mit einem Gelächter aus und wollte mit feiner Laterne wieder fortgehen. Allein er bekam einen wunderlichen Abschied, indem es dergestalt mit Knochen hinter ihm drein schmiss, daß er seine eigene angezündete Laterne an statt der ausgelöschten Lampe im Stiche lassen mußte. Sein Gefährte ergriff gleich beim Anfang dieser Unruhe die Flucht und ließ den unglücklichen Spötter allein zurück, welcher bei dem Scheine seines eigenen Lichts bis um 12 Uhr gleichsam mit einem ganzem Todten-Heer zu kämpfen hatte; so daß er auch für ausgestandener Angst halb todt auf dem Platz liegen bleiben mußte, bis er gegen Morgen von den Vorbeigehenden nach seiner Wohnung gebracht wurde. Und dieser Frevel, erzählt Eberhard David Hauber, brachte den Mann in schwere Krankheit und ihm endlich den Tod.
(Quelle: Österreichisches Sagenbuch von J. Gebhard, Verlag von Lauffer und Stolp, Pest, 1862)