Mutter und Kind – Text von Bruno Tanzmann.
Kind: Liebe Mutter, hast du mich auch so lieb als wie mein Brüderchen, das an dir trinkt?
Mutter: Habe ich dir nicht immer Gutes getan?
Kind: Liebe Mutter, darf ich dich um etwas fragen?
Mutter: So rede doch!
Kind: Liebe Mutter, ist´s wahr, dass mich der Klapperstorch gebracht hat?
Mutter: Sieh nur, wie aus den dichten Zweigen die reifen Birnen golden glänzen. Quellenfeuchter Boden hat ihre Wurzeln genährt, und die sonnigen Lüfte haben ihre Blüten befruchtet!
Kind: Ja, liebe Mutter! Aber bin ich wirklich aus dem Teich, wo nachts immer die Frösche herüber quaken?
Mutter: Hör nur, wie die treuen Schwalben aus dem Nestchen unterm Dache zwitschern. Zweimal hatten sie Mätzchen, und werden nun bald wieder scheiden!
Kind: Ich habe sie gern, liebe Mutter! Aber sag mir, bin ich wahrhaftig vom Himmel durch den schwarzen Schornstein dir in den Schoß gefallen?
Mutter: Mein Kind, wie könnte ich dich dann so lieben!?
Kind: Liebe Mutter!
Mutter: weißt du noch wie die Kuh, die Grauschecke, um ihr Kälbchen blökte, als es zum Schlachten mußte? Das Mäuschen draußen in den Feldern sammelt unermüdlich Halme und Körner nur für die Jungen ein. Auch die goldne Ähre hat Kinder, die Körner, und schützt mit den Grannen sie vor den Vögeln. Und der scheue Fuchs im Walde, dem man die Jungen nahm, folgte ihnen bis ins Haus und wurde zahm. Und der wilde Löwe, der wird fromm, der stumpfe Wallfisch klug, wenn er seine Jungen retten kann. Die schwache Henne kämpft mit dem Raubvogel um ihre Kücklein, bis sie in ihrem Blute stirbt! Und würde ich für dich mein Liebling, nicht auch sterben?
Kind: Liebe Mutter!
Mutter: Nun Kind, so denk einmal ernst darüber nach, ob ich dich so lieb haben könnte, wenn du mir nur geschenkt würdest? Wenn du mir ohne Anteil aus Leib und Seele, ohne Leid und Liebe zufielst?
Kind: Nein, Mutter!
Mutter: Du bist die Frucht alle meiner Liebe zu deinem teuren Vater! Gott aus seinen Himmelsewigkeiten hat sich in unser Herz gesenkt zu neuem Leben und segnete uns mit dir, mein Kind!
Kind: Mit mir, liebe Mutter?!
Mutter: Der Zeig über uns trägt die Birne nur an sich und hält sie doch fest im Sturm, bis sie reif ist, ich aber habe dich in mir getragen. Auf jeden Wohllaut in den Lüften lauscht ich, ich tauchte mit meiner Seele ein ins ganze Menschenleben, ließ die Gedanken durch das Weltall schweifen, und ich hab bei jedem Schritt gejauchzt, gebebt, voll Sorg und lichter Hoffnung um dein Reifen, bis ich im tiefsten Schmerz, mit dem Tode ringend, von mir dich trennte. Da warst du draußen auf der Welt, und dann hab ich dich gesäugt, wie jetzt dein Brüderchen da. Die Engel sangen und die Erde tönte um mich. Ach Kind, war das schön!
Kind: O liebe Mutter!
Mutter: Nicht mir hab´ ich dich, o mein Kind, geboren, sondern dem ewigen Gott, der alles Leben ist. Ihm gehört das deine ich bin nur die Glückliche, die es ihm darbringen darf! Bete zu ihm.
Kind: O liebe Mutter!
Mutter: Nicht so stürmisch, Kind, dein Brüderchen ist eingeschlafen!
(Waltersdorf bei Zitta, Bruno Tanzmann)
Quelle: Am Lebensquell
(verlegt bei Alexander Köhler, Dresden, 1919)