Ritterlichkeit

Ritterlichkeit – eine Erzählung von Ernst Udet.

Die Jagdstaffel 15 zählt jetzt nur noch vier Flugzeuge, drei Vizefeldwebel und mich als Führer. Wir fliegen fast immer allein. Nur so können wir den Rahmen unseres Dienstes ausfüllen.

Es geschieht viel an der Front, es heißt, die drüben sollen eine Offensive vorbereiten. Die Fesselballons hängen jeden Tag in langen Reihen am Sommerhimmel wie eine Girlande von dickbäuchigen Wolken. Gut wäre es, wenn wenigstens einer von ihnen zerknallen würde, den andern zur Warnung und überhaupt.

Früh am Morgen starte ich, damit ich die Sonne im Rücken habe und aus der Sonne heraus auf den Ballon hinabstoßen kann. Ich fliege so hoch wie kaum zuvor. Fünftausend Meter zeigt der Höhenmesser. Die Luft ist dünn und eisig kalt.

Die Welt unter mir sieht aus wie ein ungeheures Aquarium.

Über Lierval rudet ein feindlicher Gitterschwanz herum. Wie ein winziger Wasserfloh schaufelt er durch die Luft.

Vom Westen her nähert sich rasch ein Punkt, zuerst klein und schwarz, dann schnell wachsend im Näherkommen: Ein Spad, ein feindlicher Jagdflieger, einsamer Einzeljäger wie ich, der hier oben auf Raub ausgeht. Ich rücke mich im Sitz zurecht; es wird Kampf geben.

In gleicher Höhe stoßen wir aufeinander zu, sausen haarscharf aneinander vorbei. Wir legen uns links in die Kurve. Das Flugzeug des andern glänzt hellbraun in der Sonne. Dann beginnt das Kreisen umeinander. Von unten mag das aussehen, als ob zwei große Raubvögel sich im Liebesspiel drehten; aber hier oben ist´s ein Spiel mit dem Tode. Wer den Gegner zuerst im Rücken hat, ist verloren; denn der Einsitzer kann mit seinen fest eingebauten MG.s nur nach vorn heraus schießen, hinten ist er wehrlos.

Manchmal brausen wir so dicht aneinander vorbei, daß ich ein schmales, blasses Gesicht unter der Lederhaube deutich erkennen kann. Am Rumpf zwischen den Flächen in schwarzen Buchstaben ein Wort. Als er zum fünftenmal an mir vorbeistreicht, so dicht, daß ich die Böen seines Propellerwinds mich hin und her schüttteln, kann ich´s erkennen: „Vieux“ steht da – vieux – der Alte. Das ist Guynemers Zeichen.

Ja, so fliegt nur einer an dieser Front. Guynemer, der schon dreißig Deutsche abgeschossen hat, Guynemer, der immer allein jagt wie alle gefährlichen Raubtiere, der von oben aus der Sonne heraus auf die anderen herunterstößt, sekundenschnell die Gegner abschießt und verschwindet. Ich weiß, es gibt einen Kampf auf Leben und Tod.

Ich drehe einen halben Looping, um von oben auf ihn hinabstoßen zu können. Er hat sofort begriffen und setzt gleichfalls zum Looping an. Ich versuche einen Turn, Guynemer folgt mir.

Einmal, aus der Kurve heraus, kriegt er mich für Sekunden zu fassen. Metallene Hagelkörner prasseln durchs rechte Tragdeck, schlagen hellklingend gegen die Streben.

Ich versuche, was ich kann: engste Kurven, Turns, seitliches Abrutschen. Aber blitzschnell hat er jede meiner Bewegungen erfaßt, und blitzschnell reagiert er auf jede. Allmählich merke ich, er ist mir überlegen. Nicht nur die Maschine da drüben ist besser, auch der Mann, der drin sitzt, kann mehr als ich. Aber ich kämpfe weiter.

Wieder eine Kurve. Einen Augenblick rutsch er in mein Visier hinein… Ladehemmung!

Mit der Linken halte ich den Knüppel weiter umklammert, mit der Rechten versuche ich durchzuladen. Umsonst – die Hemmung bleibt.

Einen Augenblick denke ich daran, im Sturzflug nach unten wegzudrücken. Doch es wäre aussichtslos bei einem solchen Gegner, er würde mir sofort im Nacken sitzen und mich zusammenschießen.

Wir kurven weiter umeinander herum. Ein wundervolles Fliegen, wenn der Einsatz nicht so hoch wäre. Noch nie habe ich einen taktisch so klugen Gegner gehabt. Für Sekunden vergesse ich ganz, daß der da drüben Guynemer ist, mein Feind. Es kommt mir vor, als übte ich mit einem älteren Kameraden über unserem Flugplatz. Aber das ist nur für Sekunden so.

Acht Minuten kurven wir umeinander herum; es sind die längsten acht Minuten meines Lebens.

Jetzt saust er, auf dem Rücken liegend, gerade über mich hinweg.

Ich habe einen Augenblick den Knüppel losgelassen und trommele mit beiden Fäusten auf das MG ein. Ein primitives Mittel, aber manchmal hilft das.

Guynemer hat diese Bewegung von oben beobachtet, er muß sie beobachtet haben, und jetzt weiß er, was mit mir los ist. Er weiß, daß ich seine wehrlose Beute bin.

Wieder streicht er, fast auf dem Rücken liegen, ganz dicht über mich hinweg. Da geschieht´s:

Er streckt die Hand aus und winkt mir, winkt ganz leicht und taucht im Sturzflug hinab nach Westen, in Richtung auf seine Front.

Ich fliege nach Hause, ich bin wie benommen. – –

Es gibt Leute, die sagen, Guynemer habe damals selbst eine Ladehmmung gehabt, andere, die behaupten, er habe gefürchtet, ich würde ihn aus Verzweiflung in der Luft rammen. Aber ich glaube ihnen nicht. Ich glaube, daß auch heute noch ein Stück vom ritterlichen Heldentum alter Zeiten lebendig geblieben ist, und deshalb lege ich diesen späten Kranz auf Guynemers unbekanntes Grab.

(Ritterlichkeit – Quelle: Kompaß 2, Ferdinand Schöningh Verlag, 1965)


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