Bei stiller Nacht

(Autor: Friedrich von Spee )

Bei stiller Nacht zur ersten Wacht
Ein Stimm sich grund zu klagen;
Ich nahm in acht, was die dann sagt,
Tat hin mit Augen schlagen.

Es war der liebe Gottessohn,
Sein Haupt er hat in Armen,
Viel weiß und bleicher als der Mon,
Ein Stein es möcht erbarmen.

„Ach, Vater, liebster Vater mein,
Und muß den Kelch ich trinken?
Und mags dann ja nit anders sein,
Mein Seel nit laß versinken!“

„Ade, ade, zu guter Nacht,
Maria, Mutter milde.
Ist niemand, der dann mit mir wacht
In dieser Wüsten wilde?

Der schöne Mon will untergohn
Für Leid nit mehr mag scheinen;
Die Sternen lan ihr Glitzen stahn,
Mit mir sie wollen weinen.

Kein Vogelsang noch Freudenklang
man höret in den Lüften.
Die wilden Tier auch trauren mit mir
In Steinen und in Klüften.“

(Quelle: Deutsche Dichtung der Neuzeit, Verlag G. Braun, Karlsruhe, ohne Jahr)