Böser Markt – Johann Peter Hebel

Böser Markt – eine Erzählung von Johann Peter Hebel.

In der großen Stadt London und rings um sie her gibt es außerordentlich viel gute Narren, die an anderer Leute Geld oder Sackuhren oder kostbaren Fingerringen eine kindische Freude haben und nicht ruhen, bis sie dieselben haben. Dies bringen sie zuweg manchmal durch List und Betrug, noch öfter durch kühnen Angriff, manchmal am hellen, lichten Tag und an der offnen Landstraße. Einem geratet es, dem andern nicht. Der Kerkermeister zu London und der Scharfrichter wissen davon zu erzählen.

Eine seltsame Geschichte begegnete aber eines Tages einem vornehmen und reichen Mann. Der König und viele andere große Herren und Frauen waren an einem schönen Sommertage in einem großen königlichen Garten versammelt, dessen lange, gewundene Gänge sich in der Ferne in einem Wald verloren. Viele andere Personen waren auch zugegen, denen es nicht auf einen Gang und auf ein paar Stunden ankam, ihren geliebten König und seine Familie froh und glücklich zu sehen. Man aß und trank, man spielte und tanzte; man ging spazieren in den schönen Gängen und zwischen dem duftenden Rosengebüsch paarweise und allei wie es sich traf. Da stellte sich ein Mensch, wohl gekleidet, als wenn er auch dazu gehörte mit einer Pistole unter dem Rock, in einer abgelegenen Gegend an einen Baum, wo der Garten an den Wald grenzt, dachte: „Es wird schon jemand kommen.“

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Wie gesagt, so geschehen: kommt ein Herr mit funkelndem Fingerring, mit klingenden Uhrenketten, mit diamantnen Schnallen, mit breitem Ordensband und goldnem Stern, will spazieren gehn im kühlen Schatten und denkt an nichts. Indem er an nichts denkt, kommt der Geselle hinter dem Baum hervor, macht dem guten Herrn ein bescheidenes Kompliment, zieht die Pistole zwischen dem Rock und Kamisol heraus, richtet ihre Mündung auf des Herrn Brust und bittet ihn höflich, keinen Lärm zu machen, es brauche niemand zu wissen, was sie miteinander zu reden haben.

Man muß übel dran sein, wenn man vor einer Pistole steht, weil man nicht weiß, was drin steckt. Der Herr dachte vernünftig: „Der Leib ist kostbarer als das Geld; lieber den Ring verloren, als den Finger,“ und versprach zu schweigen.

„Gnädiger Herr,“ fuhr jetzt der Geselle fort, „wären euch eure zwei goldenen Uhren nicht feil für gute Bezahlung? Unser Schulmeister richtet die Uhr alle Tage anders, man weiß nie, wie man dran ist, und an der Sonnenuhr sind die Zahlen verwischt.“

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Will der reiche Herr wohl oder übel, so muß er dem Halunken die Uhren verkaufen für ein paar Stüber oder etwas, wofür man kaum ein Schöpplein trinken kann. Und so handelt ihm der Spitzbube Ring und Schnallen und Ordensstern und das goldene Herz, das er vorne auf der Brust im Hemde hattet Stück für Stück ab, um schlechtes Geld, und immer mit der Pistole in der rechten Hand. Als endlich der Herr dachte: „Jetzt bin ich absolviert, Gottlob!“ fing der Spitzbube von neuem an: „Gnädiger Herr, weil wir so gut miteinander zurechtkommen, wollet ihr mir nicht auch von meinen Waren etwas ab handeln?“

Der Herr denkt an das Sprichwort, daß man müsse zu einem bösen Markt ein gutes Gesicht machen, und sagt: „Laßt sehen!“ Da zog der Bursche allerlei Kleinigkeiten aus der Tasche hervor, die er vom Zweibatzenkrämer gekauft, oder auch schon auf einer ungewischten Bank gefunden hatte, und der gute Herr mußte ihm alles abkaufen, Stück für Stück um teures Geld.

Als endlich der Spitzbube nichts mehr als die Pistole übrig hatte und sah, daß der Herr noch ein Paar schöne Dublonen in dem grünen seidenen Geldbeutel hatte, sprach er noch: „Gnädiger Herr, wollet ihr mir für den Rest, den ihr da in den Händen habt, nicht die Pirole abkaufen? Sie ist vom besten Büchsenschmied in London und zwei Dublonen unter Brüdern wert.“

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Der Herr dachte in der Überraschung: „Du dummer Dieb,“ und kauft die Pistole. Als er aber die Pistole gekauft hatte, kehrte er den Stiel um und sprach: „‚„Nun halt, sauberer Geselle, und geh‘ augenblicklich voraus, wohin ich dich heißen werde, oder ich schieße dich auf der Stelle tot.“

Der Spitzbube aber nahm einen Sprung in den Wald und sagte: „Schießt herzhaft los, gnädiger Herr, sie ist nicht geladen.“ Der Herr drückte ab und es ging wirklich nicht los. Er ließ den Ladstock in den Lauf fallen, und es war kein Körnlein Pulver darin. Der Dieb aber war unterdessen schon tief im Wald, und der vornehme Engländer ging schamrot zurück, daß er sich also habe in Schrecken setzen lassen, und dachte an vieles.


(Quelle: Schätzkästlein des Rheinischen Hausfreundes, American Book Company, 1913)

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