Das ist leicht – das ist schwer

Vortrag von Otto Reutter.

Treu zu sein mit sechzig, siebzig,
Wo man schon ganz ausgeliebt sich,
Sowieso nichts mehr erreicht.
Das ist leicht.

Doch treu sein mit zwanzig, dreißig,
Wo das Herz noch jung und fleißig –
Dann nicht schau´n nach andern mehr,
Das ist schwer.

Vater sagt zum Söhnchen: Eben
Hat der Storch was abgegeben,
Hat ´ne Schwester dir gereicht.“
Das ist leicht.

Doch das Söhnchen sagt: „Mein Bester!
Warum zeigst du bloß die Schwester?
Bring doch mal den Storch hierher.
Das ist schwer.

Vor den Wahl was versprechen
Und nachher sein Wort zu brechen,
Wenn man erst sein Ziel erreicht,
Das ist leicht.

Doch im Eifer nicht erkalten –
Nicht nur vorher Reden halten,
Sie auch halten hinterher,
Das ist schwer.

Nur bei uns zu späh´n nach Waffen
Und sie selbst nicht abzuschaffen,
Da ist Frankreich drauf geeicht.
Das ist leicht.

Doch auch selber abzurüsten,
Und sich dann hier einzunisten –
Ohne Pulver und Gewehr –
Das ist schwer.

Wer den Harem tat besuchen,
Sah dort früher die Eunuchen.
Einer werden, ei, micht deucht:
Das ist leicht.

Doch jetzt nach des Harems Ende,
Sind sie frei – sie ring´n die Hände,
Möchten werden wie vorher,
Das ist schwer!

Fremd zu sein – vom Osten kommen –
Hier vom Staat wird´s Geld genommen,
Bis Millionen man erschleicht,
Das ist leicht.

Doch als Deutscher was erreichen,
´nen Minister zu erweichen,
Dass er dir zehn Mark bescher´,
Das ist schwer!