Das taube Mütterlein

Das taube Mütterlein
ein Gedicht von Friedrich Halm

Wer öffnet leise Schloß und Tür?
Wer schleicht ins Haus herein? –
Es ist der Sohn, der wiederkehrt
zum tauben Mütterlein.

Er tritt herein, sie hört ihn nicht;
sie saß am Herd und spann.
Da tritt er grüßend vor sie hin
und spricht sie „Mutter“ an.

Und wie er spricht, so blickt sie auf,
und, wundervoll Geschick –
sie ist nicht taub dem milden Wort,
sie hört ihn mit dem Blick.

Sie tut die Arme weit ihm auf,
und er drückt sich hinein;
da hörte seines Herzens Schlag
das taube Mütterlein.

Und wie sie nun beim Sohne sitzt
so selig, so verklärt –
ich wette, daß taub Mütterlein
die Englein singen hört.

entnommen:
Vor den Toren, Lesebuch für Rheinland-Pfalz, August Bagel Verlag Düsseldorf, 1952


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