Der Bergmann und der Mönch – Sage nach Johann Gustav Gottlieb Büsching.
Ein stiller, frommer Bergmann stieg einst am dritten Osterfeiertage zum Kyffhäuser hinauf. Da fand er oben bei dem alten Wartturme einen Mönch sitzen, dessen langer, weißer Bart ihm bis auf die Knie reichte und der in einem großen Buche las. Als der Mönch den Bergmann sah, schlug er das Buch zu und sagte freundlich zu ihm: „Komm mit mir zum Kaiser Friedrich; der wartet schon eine Stunde lang auf uns und der Zwerg hat mir schon die Springwurzel gebracht!“ Dem Bergmann überlief es eiskalt, doch der Mönch sprach ihm Köstlich zu, und weil er an Bergfahrten gewöhnt war, so ging er mutig mit und versprach dem Mönche auf sein Verlangen, keinen Laut hören zu lassen, es möchte kommen, was da wolle. Sie gingen auf einen freien Platz, der ringsum von einer Mauer umschlossen war. Hier zog der Mönch mit einem Stabe einen großen Kreis und schrieb wunderbare Zeichen in den Sand, dann las er lange und laut Gebete aus dem großen Buche, die der Bergmann nicht verstand, und schlug endlich mit seinem Stabe dreimal auf die Erde und rief: „Thue dich auf!“ Sogleich entsteht unter ihren Füßen ein dumpfes Getöse, wie bei einem fernen Gewitter, es erzittert unter ihnen die Erde und der Bergmann sinkt sammt dem Mönche, der seine Hand gefaßt hat, mit dem durch den Kreis begrenzten Erdboden in die Tiefe hinab. Dann treten sie von dem Boden herunter und derselbe steigt sofort wieder langsam in die Höhe. Nun waren sie in einem großen Gewölbe. Der Mönch schreitet festen Schrittes voran, der Bergmann folgt zitternd hinterher. So gehen sie durch einige Gänge, bis es anfängt ganz dunkel zu werden, aber in einem grimmigen Kreuzgange finden sie eine ewige Lampe hängen und der Mönch steckt zwei Fackeln an für sich und seinen Begleiter. Sie wandern weiter und kommen an ein großes eisernes Thor. Hier spricht der Mönch ein Gebet, hält die Springwurzel an das Schloß und ruft: „Thue dich auf!“ und sogleich springen alle Schlösser und Riegel unter Krachen von selbst auf. Beide stehen nun in einer runden Kapelle. Der Boden darin war spiegelglatt wie Eis und die Decke und die Seitenwände des Gewölbes flimmerten beim Scheine der Fackeln, denn große Zacken von Bergkrystall und Diamanten hingen herab und dazwischen noch größere von gediegenem Golde. In der einen Ecke stand ein goldener Altar, in der anderen ein goldenes Taufbecken mit silbernem Fuße. Der Mönch winkte seinem Begleiter, grade in der Mitte stehen zu bleiben und gab ihm in jede Hand eine Fackel; er selbst ging an eine silberne Thür, klopfte dreimal mit seinem Stabe an und die Thür sprang auf. Da erblickte der Bergmann einen großen, prachtvoll ausgeschmückten Saal, der von taufend Kerzen erleuchtet war und dessen Decke und Wände zauberhaft glänzten. In der Mitte aber saß auf einem goldenen Throne der Kaiser Friedrich, wie er leibte und lebte, mit einer goldenen Krone auf seinem Haupte, mit dem er fortwährend nickte und dabei seine großen Augenbraunen zusammenzog. Sein langer, roter Bart war durch den Steintisch, der vor ihm stand, hindurchgewachsen und reichte ihm bis auf die Füße herab. Dem Bergmanne verging bei diesem Anblicke hören und sehen und er stand starr und erstaunt da. Der Mönch aber hatte sich dem Kaiser genähert, war auf seine Knie vor ihm niedergesunken und hatte einige Worte gesprochen, die der Bergmann nicht verstand; der Kaiser aber hatte eine Bewegung mit der Rechten gemacht, worauf sich der Mönch wieder erhob, zwei Stäbe ergriff und sich eilig aus dem Saale entfernte. Sofort schloß sich die Silberthür von selbst und auch das eiserne Thor fiel, als sie, ohne ein Wort zu sprechen, die Kapelle verlassen hatten, unter großem Gerassel wieder zu. Als sie durch den Kreuzgang hindurch in die vordere Höhle gelangt waren, senkte sich langsam der kreisrunde Boden wieder herab, beide traten darauf und wurden sanft zur Oberfläche der Erde zurückgeführt. Nun gab der Mönch dem Bergmann die beiden Stäbe und sagte: „Hier hast du einen Lohn für deinen Gott wohlgefälligen Wandel!“ Ehe sich der Bergmann von dem wunderbaren Abenteuer erholt hatte, war er allein, und nun ging er wieder den Berg hinab. Erst als er unten angekommen war, betrachtete er die Stäbe genauer und gewahrte, daß sie von gediegenem Golde waren. Jetzt war er mit seiner zahlreichen Familie aus aller Verlegenheit und dankte dem Kaiser Friedrich noch oft im Herzen für das ihm erwiesene Gute.
Quelle: Deutscher Sagenschatz, herausgegeben von Dr. J. W. Otto Richter, Verlag von Otto Mähnert, Eisleben, 1877