Der Karfunkel am grünen See – aufgezeichnet von Therese Pulszky
In den Karpatentälern finden wir häufig Seen von unergründlicher Tiefe. Keine Quelle rieselt ihnen zu, kein Bächlein fließt von ihnen ab; der See ist lautlos wie das Tal, das ihn umgibt und wenn die Wasser im Sonnenstrahle nicht verdunsteten, würden sie bald die enge Wiesenfläche überfluten, die an der einen Seite das Ufer bildet oder sich einen Weg durch die Felsenmauer suchen, gegen die die Wellen des Sees von Zeit zu Zeit mit monotoner Gleichförmigkeit anschlagen. Die Bewohner der Umgegend glauben, dass diese Seen mit den baltischen Meeren in Verbindung stehen, das ihre Bewegungen regelt und nennen sie deshalb „Meeresaugen.“ –
Trüben sich nun die Seen im Gebirge und kräuseln sich die grünen Wellen, ohne dass der Wind durch die Täler braust, so sagt das Volk, „auf dem Meere ist heute sicher wieder ein großer Sturm und vom Vater auf den Sohn geht die Sage über, dass diese Wasser von Zeit zu Zeit Schiffstrümmer und Waren ausgeworfen haben, die tausend Meilen weit von dort vom Meere verschlungen worden waren. Die rauen Felsenflächen rings um die Seen, die klare dunkelgrüne Farbe des Wassers, die unergründliche Tiefe desselben und die Schwierigkeit in diese Felsentäler zu gelangen, alles dies gibt diesen Seen einen mythischen Reiz und manche liebliche Sage knüpft sich an sie. Die reizendste derselben ist wohl folgende:
Am „grünen See“ gegen die Lomnitzer Spitze zu, hört selbst die dunkle Vegetation des Nadelholzes auf, spärliches Krummholz und fahle Moose geben uns nur eine ärmliche Idee von der üppigen Mannigfaltigkeit des Pflanzenreiches, nur selten erfreut eine jungfräuliche Alpenrose das Auge. Man hört hier kein Summen der Käfer und Bienen, nur selten verirrt sich ein Schmetterling hierher wo nur die Gämse von Felsecke zu Felsecke springt. Doch so öde auch diese Regionen waren, so waren sie doch durch ein Purpurlicht verklärt, das den Rand der Gewitterwolke oder die raue Spitze des Felsens färbte und milden Glanz über die Bergeslehne verbreitete, wenn die Sonne verschwand. Ein sanftes Rot malte sich dann am Himmel und bildete einen zarten Gegensatz gegen das tiefe Grün des Meeresauges.
Der Bauer in den Karpaten kannte die Ursache dieser himmlischen Erscheinung sehr wohl, er wusste es, dass eine Felsenkuppe hoch bis an die Grenze des ewigen Schnees in die Lüfte rage, an deren Spitze ein Karfunkel leuchtete. Des Tages über saugte der Edelstein den Glanz der Sonnenstrahlen ein und strahlte sie des Nachts über die ganze Gegend aus. So schön war dieser Edelstein, dass sein Ruf sich über die Welt verbreitete. Viele Könige hatten gehört von ihm und boten die Hälfte ihres Königreichs dem, der den berühmten Stein zu den Füßen des Thrones niederlegte. Der hohe Preis reizte manchen kühnen Mann, doch vergebens. Wie ein geschliffener Marmor bot der Fels keinen Anhaltspunkt für den kletternden Fuß. Niemand konnte sich dem Juwel nahen, das auf der Felsenkuppe lag, wohin der Flug des Adlers und des Pfeils nicht trägt; sein Purpurglanz erhellte fort und fort die einsamen Nächte des Felsentals, nicht die Prunkgemächer der Könige, – jeder Versuch missglückte ihn zu erreichen.
Ein Jäger hatte Jahre lang versucht die jungfräuliche Spitze zu ersteigen, seine Gelenkigkeit wetteiferte mit jener der Gämse, für ihn gab es keine Gefahr und doch blieb er immer fern von seinem Ziel. Zuletzt beschloss er mit seiner Büchse den Edelstein zu gewinnen, den er nicht unmittelbar ergreifen konnte. Er wollte es wagen auf die Gefahr hin ihn zu zertrümmern, er wusste es ja, dass selbst jeder Splitter von unschätzbarem Werte sei. Doch auch diese Bemühungen blieben erfolglos wie alle früheren, die Kugeln prallten ab vom Felsen, ohne seine Spitze zu erreichen und fielen abgeplattet zu Boden. Doch das Herz des Jägers hing an dem Besitz des Schatzes, er wollte sein Vorhaben nicht aufgeben und verkaufte seine Seele an den Teufel, für einen „Freischuss“ (Bedeutung Freischuss siehe Anmerkungen am Schluss des Beitrages).
In der Abenddämmerung eilte er zum Meeresauge, sein Blick war geblendet von dem goldenen Zwielicht rings umher. Er zitterte als er den Hahn spannte, doch er musste sein Ziel erreichen, er drückte los.
Die Kugel traf den Felsen genau an der Stelle wo der Edelstein saß, doch die Gewalt des Schusses war zu groß. Sie trennte wohl den Karfunkel vom Granit, aber sie riss ihn auch fort und statt auf den schmalen Felsenrand zu fallen, der sich zwischen der Kuppe und dem See hinzieht, stürzte der Edelstein in die Wellen und sank leuchten in die unergründliche Tiefe.
Die Finsternis schloss sich über ihm und im Meeresauge spiegelt sich seitdem nur der steile Fels, den kein Karfunkellicht mehr erleuchtet. Die Einsamkeit des fernen Tals wird nicht mehr durch die Habsucht der Menschen gestört, sein Schatz ist verschwunden.
Anmerkung zu Freischuss:
Der Aberglaube vom „Freischuss“ ist bei den Jägern in Ungarn wohlbekannt; wie in der deutschen Sage und Oper von C. M. Webers gewährt der Teufel dem Jäger sechs Kugeln, die nicht fehlen können, die siebente führt er, wohin es ihm beliebt.
Ich erinnere mich, dass man es mir im Saroser Comitate erzählte, wie ein Förster der Familie Ketzer um Mitternacht im Wald von Osalva den Teufel beschworen hatte, ihm einen Freischuss zu gewähren. Erschreckt durch die Erscheinung gespenstiger Gesichter taumelte er über die Linie des Zauberkreises, der er mit den Ladestock zu seinem Schutz gezogen hatte, in diesem Momente verschwanden alle Erscheinungen, doch alle Haare wurden dem Jäger vom Haupte gerissen, er kam als Kahlkopf nach Hause. Zwei ganze Tage lang sah er sprachlos in den Rauchfang hinauf, hoffend, dass er irgendwo seine verlorenen Locken entdecke, denn er wusste, dass wenn der Teufel ihn auch nur bei einem Haare festhielt, er verloren sei für immer. Am dritten Tage beschloss er in seiner Verzweiflung sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen, als er aber sein Gewehr laden wollte, fand er zu seiner größten Beruhig all sein Haar fest in den Lauf gerammt.
Quelle: Quelle: Sagen und Erzählungen aus Ungarn, Verlag von Franz Dunker, 1851