Der kluge Sultan – Johann Peter Hebel

Der kluge Sultan – eine Erzählung von Johann Peter Hebel aus dem Buch Schätzkästlein des Rheinischen Hausfreundes.

Der kluge Sultan

Zu dem Großsultan der Türken, als er eben an einem Freitag in die Kirche gehen wollte, trat ein armer Mann von seinen Untertanen mit schmutzigem Bart, zerfetztem Rock und durchlöcherten Pantoffeln, schlug ehrerbietig und kreuzweise die Arme übereinander und sagte: „Glaubst du auch, großmächtiger Sultan, was der heilige Prophet sagt?“ Der Sultan, der ein gütiger Herr war, sagte: „Ja, ich glaube, was der Prophet sagt.“ Der arme‘ Mann fuhr fort: „Der Prophet sagte im Alkoran: Alle Muselmänner (das heißt, alle Mahomedaner) sind Brüder. Herr Bruder, so sei so gut und teile mit mir das Erbe.“ Dazu lächelte der Kaiser und dachte: „Das ist eine neue Art, ein Almosen zu betteln,“ und gibt ihm einen Löwentaler. Der Türke beschaut das Geldstück lang auf der einen Seite und auf der andern Seite. Am Ende schüttelt er den Kopf und sagt: „Herr Bruder, wie komme ich zu einem schäbigen Löwentaler, da du doch mehr Silber und Gold hast, als hundert Maulesel tragen können, und meinen Kindern daheim werden vor Hunger die Nägel blau, und mir wird nächstens der Mund ganz zusammen» wachsen. Heißt das geteilt mit einem Bruder?“ Der gütige Sultan aber hob warnend den Finger in die Höhe und sagte: „Herr Bruder, sei zufrieden und sage ja niemand, wieviel ich dir gegeben habe, denn unsere Familie ist groß, und wenn unsere andern Brüder alle auch kommen und verlangen ihr Erbteil von mir, so wird’s nicht reichen, und du mußt noch herausgeben.“ Das begriff der Herr Bruder, ging zum Bäckermeister Abu Tlengi und kaufte ein Laiblein Brot für seine Kinder, der Kaiser aber begab sich in die Kirche und verrichtete sein Gebet.


(Quelle: Schätzkästlein des Rheinischen Hausfreundes, American Book Company, 1913)


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