Der Kornbauer ans Reblingen

Der Kornbauer aus Reblingen – eine mündliche Überlieferung.

Ein Bauer aus dem Dorfe Reblingen wollte einst eine Fuhre Getreide auf den Markt nach Kelbra bringen. Er fuhr dorthin, fand aber keinen Käufer und entschloß sich deshalb seine Ladung nach Nordhausen zu fahren. Noch war er keine halbe Stunde von Kelbra fort, da erhob sich auf einmal ein so gewaltiger Sturm, daß die stärksten Bäume sich kaum mit den Wurzeln in der Erde zu halten vermochten und der Bauer in dem ersten besten Dorfe anhalten mußte. Das Unwetter war bald vorüber, aber der Bauer ließ sich durch eine muntere Gesellschaft aufhalten, bis es anfing dunkel zu werden. Nun aber wollte er fort, und ließ sich nicht bereden den nächsten Morgen abzuwarten. Von dem starken Regen waren jedoch die Wege so schlecht geworden, daß die Wagenräder bis an die Achsen einsanken und die Pferde gar nicht vorwärts kamen. Die Sache wurde immer schlimmer und endlich blieb er mit seinem Wagen ganz fest sitzen. Als seine Anstrengungen, ihn wieder aus dem Moraste herauszubringen, vergeblich waren, zog er sein Messer, um die Stränge der Pferde abzuschneiden und wenigstens diese zu retten. Da sah er eine Laterne auf sich zukommen, wurde wieder hoffnungsvoll und dachte, daß er nun jedenfalls Hülfe finden würde. Aber als die Laterne nahe kam, gewahrte er, daß sie von einem ganz kleinen Manne getragen wurde, der kaum zwei Schuh hoch war und vorn und hinten einen Buckel hatte. Obwohl er sich von dem kleinen Unhold keine Hülfe versprach, redete er ihn doch an: „He da, guter Freund! wollt ihr mir nicht mit eurer Laterne ein wenig leuchten, daß ich meinen Wagen aus dem Sumpfe herausbringen kann?“ „Jch stehe gern jedem mit Rat und That bei, der meiner Hülfe bedarf!“ gab jener zur Antwort. Und damit gab er unserm Bauer die Laterne, setzte sich auf das Sattelpferd, schlug mit der Peitsche kräftig drauf los und brachte so in kurzer Zeit den Wagen aus dem Sumpfe wieder heraus. Fröhlich, wollte der Bauer seinem Helfer ein Trinkgeld geben; der aber wies es zurück und machte jenem obenein noch den Vorschlag ihm das Getreide zu verkaufen; er wolle ihm gern geben, was er dafür verlangte. Das war dem Manne eben recht und während das Männlem als Wegweiser nebenher trippelte, fuhr er mutig drauf los. Vor einem hohen Berge mußte er endlich halten und die Säcke hinauf auf das Schloß tragen, welches oben lag. Nachdem die Arbeit gethan war, führte ihn der Zwerg in ein großes Gewölbe, welches viele große Eisenkasten enthielt, die bis zum Rande mit Gold und Silber gefüllt waren. Zwar war unserm Reblinger die Sache nicht recht geheuer, indeß hoffte er Gelegenheit zu großem Reichtume zu finden. Das Männlein führte ihn nun zu einer Kiste, die lauter Goldstücke von demselben Gepräge enthielt und sagte: Nimm dir hier soviel Geld wie deine Ladung wert ist. Der Bauer nahm auch zunächst nur die Summe, welche er anfänglich gefordert hatte, that aber zuletzt noch, als der Zwerg sich einmal umwendete, einen tüchtigen Griff in die Kiste und wollte nun schnell wieder zu seinem Gefährt zurück. Da wird er von dem Zwerge aufgefordert, sich auch noch den Kaiser Friedrich anzusehen. Wiewohl nun der Bauer kein gutes Gewissen hat, nimmt er sich doch zusammen und spricht: Warum nicht, wenn es geschehen kann! Nun führte ihn das Männlein durch einen Gang, klopfte an eine große Thür, und als dieselbe aufsprang, sah der Bauer den Kaiser an einem steinernen Tische sitzen. Sein Bart war durch denselben gewachsen und reichte bis zur Erde. Der Kaiser aber fragte ihn, ob die Raben noch um den Berg flögen, und als der Bauer die Frage bejahte, wurde er traurig. Bei seiner Rückkehr nach Hause, die ohne weiteren Unfall erfolgt, erzählt der Bauer seine Erlebnisse seiner Frau und zeigt ihr die Goldstücke, die er von dem Zwerge erhalten hat; auch berichtet er derselben, daß er sich mehr genommen habe, als er anfänglich gefordert. Die Goldstücke führten das Bild des Kaisers Tiberius und die Worte „Halber Sekel.“ — Die Habgier des Bauern aber fand bald ihre gerechte Strafe; er hatte fort während Unglück: seine Felder verhagelten, sein Vieh starb, seine Gärten wurden durch Raupen und anderes Geschmeiß verwüstet, und er wurde in kurzer Zeit ein armer Mann. Nun machte er sich Vorwürfe wegen seiner Habgier, verfiel in Schmermut und starb, ehe ein Jahr vergangen war. Der kleine bucklige Mann aber ist der ehemalige Kellermeister des Kaisers Friedrich, welcher nach der Verzauberung desselben die Schätze im Kyffhäuser bewahrt, aber auch in der Gegend umherspukt und die Leute neckt und hänselt, wenn er ihnen auch nichts zu thun pflegt.


Quelle: Deutscher Sagenschatz, herausgegeben von Dr. J. W. Otto Richter, Verlag von Otto Mähnert, Eisleben, 1877