Der Zauberspiegel

Auf dem Schlosse Lapotka lag ein alter Turm, von dem mancherlei wunderbare Sagen umherliefen; da aber die Tür aus dicken eichenen Bohlen und stark mit Eisen beschlagen, so viel man wußte, seit Menschengedenken nicht geöffnet war, so wußte auch niemand darüber rechten Bescheid zu geben. Am allgemeinsten war aber die Erzählung, dass ein vormaliger Besitzer der Burg in einem schwarzen, noch in diesem Turm vorhandenen Gemache vor Alters Zauberei getrieben habe, sein Geist noch dort umherwanke und zuweilen in der Mitternachtsstunde die Tur des Turmes mit schrecklichem Getöse geöffnet würde.

Franz, der muntere Sohn des Besitzers hatte sich daher nie diesem Turm ohne ein besonderes Grauen genahet, aber von seinem Vater, gegen den er einst in seinen Jünglingsjahren den Wunsch äußerte, dass doch dieser häßliche Turm, der die ganze Burg verunstalte, abgebrochen werden möchte, die bedenkliche Antwort erhalten, dass er vielleicht selbst dereinst die Sache anders beurteilen würde. Ihn hatte, nach dem Wunsche seiner Mutter, ein frommer Priester erzogen; aber dieser war, von den Menschen oft getäuscht und schändlich hintergangen, mit der Welt unzufrieden, in den Mönchsstand getreten. Franz wurde durch ihn für die Wissenschaften gebildet, hegte Achtung für Frömmigkeit und Tugend; aber Mißtrauen und Argwohn gegen die Menschen gingen durch die täglichen Äußerungen des Lehrers allmälich auch in die Seele des Zöglings über. Jetzt war er, um seine Erziehung zu vollenden, einige Jahre lang aus dem väterlichen Hause abwesend, als ihn von seinen Reisen ein Brief des Vaters eiligst zurückrief, weil dieser, der täglich stärker die Abnahme seiner Gesundheit fühlte, ihn noch vor seinem Ende zu sprechen wünschte; um so mehr, da Schwedens König Karl der 12te bei Narva und an der Duna gesiegt hatte und Polens Grenzen bedrohete. Franz gehorchte dem väterlichen Befehl, nahete sich der Heimat mit dem herzlichsten Wunsche, ihn noch am Leben zu finden. Mit ängstlich pochendem Herzen fuhr er durch das Schloßtor, suchte die Erfüllung seines Wunsches, dass der Vater noch lebe, auf jedem Gesichte zu lesen.

Da kam ihm der alte Ignaz entgegen. „Gott sei Dank!“ rief er, „noch lebt unser Herr, er ist aber sehr schwach.“

„So eile, den guten Vater,“ sagte Franz, „auf meine Erscheinung vorzubereiten.“

„Er wußte ja, dass ihr heute kommen würdet,“ sagte Ignaz, „drum gehet doch nur zu dem Kranken.“

Franz konnte freilich nicht begreifen, woher sein Vater eine so bestimmte Nachricht erhalten hätte; doch eilte er zu dem Bette des Kranken, der ihn mit herzliche Freude empfing und sogleich forderte, mit ihm allein gelassen zu werden.

„Meine Vermögensumstände,“ fing der Kranke an, „sind äußerst zerrüttet; aber mein Jugendfreund, der Starost Drebinski, hat mir die Hand seiner schönen und reichen Tochter für dich zugesagt. Sie ist noch jung, ihr Herz ist frei, suche ihre Liebe und ihres Bruders Freundschaft, beide wirst du erhalten und hierdurch unser Geschlecht, das dem Erlöschen nahe ist, zu neuem Glanz empor heben. Vielleicht auch, dass dein Mutterbruder, wenn gleich zwischen uns Feindschaft entsprang, diese nicht gegen dich fortsetzt.“

Der Greis schien sehr erschöpft, die Sprache ward ihm schwer. Doch ermannte er sich noch.

„Ein wichtiges Geheimnis,“ sagte er mit kaum vernehmbarer Sprache, „muss ich dir noch anvertrauen, welches, zweckmäßig benutzt, dich zum höchsten Glücke führen kann. Dort im Turme – Ignaz“ –

Er sank in Ohnmacht. Zwar erwachte er noch einmal und wollte sprechen, aber die Sprache mangelte bereits dem Sterbenden und nach wenigen Stunden war er nicht mehr. – Franz liebte seinen Vater von ganzen Herzen und der Gedanke an den teuren Verstorbenen füllte eine Zeitlang seine ganze Seele. Er fand die Geschäfte seines Vaters in der höchsten Verwirrung und von manchen konnte ihn zwar Ignaz, der Verwalter des Gutes und der Vertraute seines Vaters, einige Auskunft geben, aber bei manchen war dieses nicht der Fall, besonders bei einem äußerst wichtigen Rechtshandel und Ignaz, von dem er vergeblich einige Auskunft zu erhalten gesucht hatte, sagte endlich: „Vielleicht könnt ihr hierber nur etwas durch den Spiegel erfahren.“ – Franz sah ihn mit Erstaunen an und da ergab es sich dann endlich, dass Ignaz glaubte, der Sterbende hätte den Sohn völlig von dem Familiengeheimniß unterrichtet. Als er aber erfuhr, dass dieses unterblieben wäre, versprach er, um Mitternacht ihn mit allem gehörig bekannt zu machen.

Das geheimnisvolle Benehmen, welches Ignaz durchaus beobachtete, der sich nicht bestimmter erklären wollte, dies zum Teil nicht tun zu können versicherte, macht die Neugierde des feurigen jungen Mannes in einem hohen Grade rege. Er erinnerte sich der letzten Worte des sterbenden Vaters und erwartete daher mit Sehnsucht die Mitternacht. Sie erschien; mit ihr Ignaz. In einen Mantel gehüllt, eine Laterne in der einen, einige große Schlüssel in der andern Hand, so trat er ins Zimmer. Auf sein Verlangen mußte sich auch Franz in einen Mantel hüllen. „Denn ich wnsche, dass, wenn uns jemand sieht, man uns für Gespenster halte.“ Und so gings nach dem Turme, dem Franz, bei den Erinnerungen aus seinen Jugendjahren, sich nicht ohne geheimen Schauder nahete, welchen noch das widrige Knarren, das die Tür beim Öffnen erregte und die dumpfe Kerkerluft, die ihm aus dem Turme entgegen drang, zu vermehren schien.

„Was,“ fragte er, „soll ich hier?“

„Folgt nur, ihr werdet sehen!“ sprach Ignaz.

Er öffnete eine zweite Tür, sie traten in eine verfallene Kapelle, er öffnete eine Falltür und stieg hinab. Franz stutze einen Augenblick, doch seine Erwartung war gespannt, er folgte. Es war ein Leichengewölbe. Zwischen zwei Reihen vermoderter Särge und umherliegenden Gebeinen naheten sie sich einer eisernen Tür und traten durch diese in ein kleines Gewölbe, dessen Wände mit schwarzen Decken behängt waren. Auf dem Boden lag ein schwarzer Teppich, auf diesem stand ein kleiner Altar, auf welchen zwischen zwei schwarzen Kerzen ein Totenkopf, vor diesem ein Buch in schwarzem Bande, lag.

„Was soll das alles?“ fragte Franz.

„Ich vollziehe den Auftrag eures verstorbenen Vaters, der mir auf den Fall erteilt wurde, wenn er eure Ankunft nicht erleben sollte.

„Aber die Sache selbst?“

„Vernehmet, was ich aus dem Munde des Verstorbenen weiß. Einer eurer Vorfahren, ein frommer Greis, wallfahrtete mit seinem Sohne nach Jerusalem; sie fielen auf der Rückreise Seeräubern in die Hände, wurde zu Alexandrien als Sklaven verkauft. So lange sie noch beieinander waren, schütze den Sohn die Frömmigkeit des Vaters gegen Verzweiflung; allein der Greis unterlag den ungewohnten Beschwerden. Der Sohn, ohne Führer, ohne Freund, an Genüsse und Bequemlichkeit gewöhnt, jetzt im Jünglingsalter, ohne Aussicht jemals von der drückendsten Sklaverei erlöset zu werden, bekam durch Zufall die Bekanntschaft eines Koptischen Mönchs, der ihn loskaufte und bei dem er einige Jahre zubrachte. Was sie beide trieben, ist Gott und den Heiligen bekannt; allein eurer Ahnherr kam glücklich zurück, ward reich und geachtet. Er errichtete bei seinem Familiengewölbe dieses kleine Gemach und hinterließ seinen Nachkommen, um ihnen die Zukunft zu enthüllen, den Zauberspiegel, dessen Gebrauch dieses Buch lehret.“

„Wo ist den dieser Spiegel?“ fragte Franz.

„Hütet euch, den Schleier davon abzunehmen; ist nur unter den im Buche angezeigten Bedingungen erlaubt. Übrigens will ich auch alles, soweit es ohne Gefahr geschehen kann, zeigen.“

Er zog einen Vorhang auf. Franz bebte zurück: In einer Höhlung der Wand stand eine Mumie. Sie hielt in beiden Händen den Spiegel, den ein schwarzer Schleier, worin mit Gold unbekannte Zeichen gestickt waren, verhüllte.

„Nur ein Abstämmling dessen, der dieses Gemach anlegte, darf in den Spiegel blicken Ihr wisset nun alles, war mir anvertraut ist; das Buch wird euch das Übrige lehren.

„O,“ sagte Franz mit Wehmuth, „nun weiß ich, warum meine gute fromme Mutter so oft im stillen weinte; ihre Freundinnen nannten es Schwermut, weil sie niemanden die Ursache ihrer Tränen angab. Wahrscheinlich war sie mit diesem gräßlichen Familiengeheimnisse bekannt.“

„Ihr habt Recht,“ antwortete Ignaz, „und euer edler Oheim, der, eh´ er, damals ein junger Mann, einige Jare vor eurer Geburt, mit König Johann Kasimir, Polen verließ, von eurer Mutter, als er von ihr Abschied zu nehmen herkam, nachdem er die strengste Verschwiegenheit zugesagt hatte, von allem unterrichtet wurde, erhielt selbst von eurem Vater das Versprechen, dass er diesen Zauberspiegel zerstören wollte, glaubte, dass es erfüllt wäre, erhielt, ich weiß nicht durch welchen Zufall, die Nachricht vom Gegenteil und daher entstand die Spannung zwischen ihm und eurem Vater.“

„Nun dann, so will ich aus Achtung für meine verstorbene Mutter dieses abscheuliche Gerät zerstören.“

„Haltet ein; denn selbst dieses kann nur unter den im Buche vorgeschriebenen Umständen stattfinden.“

„So nimm dann dieses schändliche Buch mit und lass uns diesen gräßlichen Ort verlassen.“

Franz warf das mitgenommene Buch in einen Schrank; allein alle jene Unruhen, die das Einrücken der Schweden in Polen verlaßte, die vielen Prozesse, das Herandringen der Gläubiger fesselte bald seine ganze Aufmerksamkeit. Er fühlte bald, sich nicht durch eigene Kraft erhalten zu können, nur die ihm von seinem Vater vorgeschlagene reiche Heirat schien ihm das einzige noch übrige Rettungsmittel zu sein. Er eilte zu Drebinski und ward als der Sohn eines alten Freundes mit Herzlichkeit empfangen.

„O, wie lieb,“ sagte er, „ist mir gerade jetzt euer Besuch, damit ihr noch die Bekanntschaft meiner Tochter machen können, die, weil bei den jetzigen Unruhen das Land kein schicklicher Aufenthalt für ein junges Frauenzimmer ist, nach Warschau abgegehet und meine dort wohnende Schwester, mit einem schwedischen Passe versehen, ist bereits hier, um sie nach Warschau abzuholen.

Franz wurde schon durch diese Anrede mit froher Hoffnung erfüllt. Jetzt trat Rosalie in´s Gemach, ihre seltene Schönheit wirkte auf ihn im ersten Augenblicke; aber ihre kindliche Unschuld, die edle Einfalt ihrer Sitten, die Herzlichkeit, die sie in jedem Augenblick gegen ihren Vater äußerte, bezauberten ihn ganz. Sie zu besitzen, schien ihm bald das höchste Glück zu sein, das für ihn auf Erden erreichbar wäre. Mit liebreichem Wohlgefallen betrachtete Drebinski den Eindruck, den die Reize seiner schönen Tochter auf den Sohn seines Freundes machten. Dieser wußte sich auch den Beifall der Kastellanin Mozarski zu erwerben und der junge Mann, von allen, die ihr lieb und wert waren, gepriesen, ward daher auch bald der schönen Rosalie nicht gleichgültig. Franz bemerkte dies, die Erinnerung aller seiner Leiden verschwand, seine Phantasie zauberte ihm paradiesische Aussichten vor und so verstrichen einige glückliche Tage seines Lebens. Aber am Abende vor der Abreise schien das vorher so frohe Gespräch zu stocken. Mit trüben Blicken sah Franz auf Rosalie, er hatte dem Vater seinem Wünsche erklärt, der ihm aber keine bestimmte Antwort erteilt, sondern alles von der Wahl seiner Tochter abhängig erklärt hatte. Mit niedergeschlagenem Blick, den sie nur zuweilen auf den schönen jungen Mann zu richten wagte, saß Rosalie, indes mancher leise Seufzer den schönen Busen hob, an des Vaters Seite. Beide beobachtete die Kastellanin mit sanftem Lächeln, indem sie zugleich ihrem Bruder manchen bedeutenden Blick zuwarf. Da erhob sich der alte Drebinski von einem Lehnstuhl.

„Liebe Rosalie,“ sagte er mit sanfter Stimme, „gern möchte ich dich noch vor meinem Ende an der Hand eines Mannes erblicken, der deine Liebe und Achtung verdient.“

Sanft errötend küßte Rosalie des Vaters Hand, dieser fuhr fort:

„Sieh, dieser wackere junge Mann ist der Sohn meines Jugendfreundes; ich versprach dem sterbend kranken Vater, wenn dein Herz nicht entgegen wäre, deine Hand für seinen Sohn. Ich will deiner Wahl nicht vorgreifen, aber wenn ich euch dereinst miteinander vereint zufrieden und glücklich sehen sollte, so würde dies die letzten Tage meines Lebens aufheitern.

Eine Träne zitterte im Auge der gerührten Rosalie, sie reichte schweigend ihre Hand an Franz, dieser drückte sie an sein Herz und dann den ersten Kuß auf ihre Lippe. Der Vater blickte dankend gen Himmel, die Kastellanin weinte Freudenzähren. Die Abreise wurde jetzt noch um ein paar Tage verschoben, das junge Paar fühlte sich so überschwenglich glücklich. Die Vollziehung der Heirat wurde beschlossen, sobald das Getümmel des Krieges vorüber wäre. Franz dachte jetzt an nichts, als an seine Rosalie und bot unermüdet jede Kraft auf, seinen gesunkenen Wohlstand zu ergänzen.

So vergingen einige Monate, da starb Drebinski. Wird, dachte Franz, Rosalie, die mir nur gemäß dem Wunsche ihres Vaters ihre Hand zusagte, jetzt, gewiß ihrer Schönheit wegen überall vergöttert, zu Warschau, vielleicht von Männern umgeben, hinter denen ich in jeder Hinsicht zurückstehe, auch mir jetzt noch ihre Liebe schenken? Dieser Gedanke verfolgte ihn unaufhörlich. Er schrieb an Rosalie, glaubte, in ihrer Antwort nicht mehr die vorige Zärtlichkeit zu bemerken und erhielt in dieser zugleich die Nachricht, dass ihr Bruder, der sich seit einigen Jahren in Frankreich aufgehalten hätte, auf der Rückreise begriffen wäre.

„O ihr Heiligen!“ rief Franz, indeß die Tränen über seine Wangen rollten, „wird dieser Bruder, dem ich ein gleichgültiger Unbekannter bin, nicht vielleicht alles aufbieten, mir, dessen zerrüttete Vermögensumstände nicht unbekannt sind, die Hand seiner Schwester zu entziehen? Dieser Gedanke peinigte ihn schrecklich. Er wollte sich durch Arbeit zerstreuen, setzte sich an den vom Vater ererbten Schreibtisch. Beim Durchsuchen der Papiere bemerkte er eine verborgene Schublade. Sie enthielt Briefe seines Oheims, der, nachdem er Polen verlassen hatte, in französische Kriegsdienste getreten war und dort eine ansehnliche Stelle bekleidete. Jeder der Briefe enthielt die Forderung, das bewußte Gemach und den Zauberspiegel zu zerstören, der letzte aber die Versicherung, dass er, wenn dies nicht innerhalb drei Monate durch ein Zeugnis des Vater Dominicus erwiesen würde, sein ahnsehnliches Vermögen Wittwen und Waisen, im entgegengesetzten Falle aber einzig dem Sohne seiner Schwester hinterlassen würde. Dieser Brief war schon vor zehn Jahren geschrieben; doch erwachte die Hoffnung, vielleicht noch durch die Güte seines Oheims wohlhabend und hierdurch Rosaliens würdiger zu werden.

Er klingelte, auf sein Verlangen erschien Ignaz.

„Kennst du den Vater Dominicus?“

„Es war der Beichtvater eurer lieben seligen Mutter.“

„Lebt er noch?“

„Er ist Prior im benachbarten Kloster.“

Franz eilte dahin und wurde freundlich empfangen. Dass sein Vater sich mit Magie beschäftigte und dass seine fromme Mutter und ihr Bruder alles aufgeboten hatten, ihn von dieser abscheulichen Beschäftigung abzulenken, nur dies wußte Dominicus, die nähern Umstände waren ihm unbekannt; doch konnte er, da sich Franz nach seinem Oheim erkundigte, ihm die Nachricht erteilen, dass dieser als französischer General noch beim Ausbruch des letzten Krieges gelebt hatte und er versprach, wenn Franz an seinen Oheim schreiben wollte, den Brief zu befördern. Franz schrieb sogleich, versprach die Zerstörung des verruchten Gemachs und ergriff nun das Buch in der Absicht, sich mit der Art und Weise bekannt zu machen, wie diese Zerstörung ohne alle Gefahr vorgenommen werden könnte. Er fand im Anfange die Zeremonien beschrieben, mit welchen der Schleier vom Spiegel genommen werden sollte und die Zauberworte, die vor der Einsahung in den Spiegel ausgesprochen werden mußten. Auch sollte dasjenige, worüber man vom Spiegel Bescheid forderte, als Frage auf die bei diesem Buche befindlichen weißen Blätter und nachher auch jederzeit die Antwort, welche der Spiegel gegeben, aufgezeichnet werden. – Neugier trieb ihn, die letzte Frage, die sein Vater an den Spiegel getan hätte, zu lesen. Sie hieß: „Hat mein Sohn Reichtum zu hoffen?“ Der Spiegel zeigte eine aufgehäufte Menge von Geldsäcken. Franz fühlte eine augenblickliche Freude, aber bald erwachte auch wieder sein Mißtrauen. Zu hoffen? welche unbestimmte Frage! Zu erhalten? hätte es heißen müssen.

In diesem Augenblicke kam schwedische Einquartierung. Franz verschloß sein Buch und eilte sie zu empfangen. Die Offiziere eines ganzen Regiments kamen auf sein Schloß. Franz, voll Unruhe im Herzen, saß stillschweigend und in sich gekehrt, desto froher machte der ungarische Wein die Schweden beim Mittagsmahl. Die älteren Offiziere vergaßen ihre Jahre und neckten die jüngern mit ihren Liebschaften zu Warschau.

„Lilienström,“ sagte der Eine, „ist noch ganz traurig, er kann die schöne Rosalie nicht vergessen!“

„Warum sollte ich es leugnen?“ sagte Lilienström, ein schöner junger Mann. „Sie ist das schönste Mädchen, das ich jemals sah und huldigt ihr nicht ein jeder?“

Die übrigen Offiziere stimmten in diesen Ton ein. Der Name Rosalie wirkte peinlich auf Franz; doch ermannte er sich und fragte am anscheinender Gleichgültigkeit: „Wer ist denn die gepriesene Schöne?“

„Rosalie Drebinski!“ antwortete einer der Schweden.

„Wenn ich nicht irre,“ fuhr Franz fort, „so hat sie einen Bräutigam.“

„Ihr Vater,“ antwortete einer der halbtrunkenen Schweden, „soll ihr einen Bräutigam aufgebürdet haben; aber es müßte mit einem Wunder zugehen, wenn die anwesenden Liebhaber nicht den abwesenden verdrängen sollten.

Man lachte dabei allgemein. Die Tafel wurde aufgehoben. Franz, von der schrecklichsten Unruhe ergriffen, brachte die folgende Nacht schlaflos hin. Oft lief ihm der Gedanke durch den Kopf, sich beim Zauberspiegel Rat zu holen; aber sein Schutzengel hielt ihn zurück, der Gedanke ward nicht Vorsatz. Nach ein paar Tagen zogen die Schweden ab und Franz blieb allein mit seiner Herzensangst und seinem Argwohn. Mancherlei Pläne durchkreuzten sich in ihm, er wollte nach Warschau reisen, Rosalien beobachten, sein Andenken bei ihr erneuern; aber da fehlte das erforderliche Geld zur Reise, besonders aber um in Warschau selbst mit Anstand zu erscheinen. Ignaz ward zu Rate gezogen und meinte, der Spiegel würde wohl am besten raten. Oft erwachte jetzt der Gedanke an diesen Spiegel, aber immer noch reifte er nicht zum Entschluß.

Jetzt kam ein Besuch, es war der ehrwürdige Dominicus. Franz liebte und ehrte den Greis. Oft stand er im Begriff, ihm sein ganzes Herz zu entdecken; aber Dominicus selbst schien so niedergeschlagen, äußerte sich so bedenklich, dass der Mensch Gott vertrauen, nur von diesem sein Glück erwarten und nicht gleich wegen einer gescheiterten Hoffnung verzweifeln oder trostlos werden müßte.

„Um Gotteswillen!“ rief Franz, der totenbleich wurde und wie ein Espenlaub zitterte, „ehrwürdiger Vater, erbarmet euch meiner, verheimlicht mir nichts, mein Herz sagt es mir ja bereits: Rosalie ist ungetreu!“

„Nein, mein Sohn!“ antwortete Dominicus, „von Rosalie ist mir nichts bekannt, sondern vor wenig Tagen sandte ich euren Brief nach Frankreich, hoffte fröhliche Botschaft zu bringen und komme jetzt mit einer Trauerpost: gestern erhielt ich einen Brief aus Paris, euer Oheim ist im Treffen geblieben. Von seinem Vermögen wird mir nichts geschrieben, sondern bloß, dass ich von dem Adjudaten des Verstorbenen, einem Polen, der sich in sein Vaterland zurückbegeben hätte, das Nähere wohl schon erfahren haben würde. – So schmerzlich auch diese Nachricht war, so fühlte sich doch Franz für den Augenblick in etwas erleichtert; denn er hatte sich ein größeres Unglück gedacht. Aber der Gedanke, von dem Schicksal verfolgt zu sein und auch bald die Zertrümmerung seiner letzten Hoffnung zu hören, nagte ihm ängstlich am Herzen. Eine Fieberhitze trieb ihn umher, er wußte nicht, was er tun, wo er Ruhe finden sollte. Da stieß er auf Ignaz. Ihm klagte er seine Not. „Wie,“ rief er, „soll ich diese Ungewißheit, diese Höllenangst los werden?

„Wenn ihr bloß Gewißheit haben wollt, so könnt ihr sie augenblicklich haben.“

„Ich verstehe dich; nur dann, es werde auch, was da wolle – das Schicksal ruft. So komm.“

Er stürzte mit ihm nach dem Turme. Es blitzte in der Ferne, eine Eule wimmerte, er achtete nicht darauf. Nach Vorschrift des Buches enthüllte er den Spiegel und forderte Antwort auf die Frage: ob Rosalie außer ihm auch noch für einen anderen Mann Anhänglichkeit fühle? Er blickte in den Spiegel, Rosalie, in Begleitung einer Kammerfrau, welche ein Licht trug, trat im Nachtkleide eiligst durch die Tür in ein Zimmer, indeß durch eine andere Tür ein junger Offizier eintrat und beide sanken einander voll Zärtlichkeit in die Arme. Der wütende Franz wünschte nähern Aufschluß, allein der Spiegel konnte nur in jeder dritten Nacht einmal befragt werden.

Am folgenden Morgen sah Franz so bleich, so verstört aus, dass Dominicus dieses für eine Folge der ihm mitgeteilten Nachricht hielt und seine Abreise, um ihn zu trösten und zu beruhigen, auf einige Tage aussetzte. Er forderte, dass Ignaz nach einem Arzte schicken sollte, der solches aber ablehnte und so erschien die dritte Nacht und der Spiegel sollte die Frage entscheiden: ob Rosalie fortdauernd mit dem Offizier in Verbindung und in welcher sie noch in diesem Augenblicke stehe? Beide erschienen in einem Reisewagen von zwei Reitern begleitet. Die Ungetreue, die Meineidige! rief Franz, sie läßt sich entführen. – Sein Zustand grenzte an Wahnsinn; alle Trostgründe der Religion bot Dominicus, der den eigentlichen Grund dieser Verzweiflung nicht kannte, vergeblich auf. Zuweilen schien er gerührt, schnell aber ergriffen wieder Mut und Verzweiflung sein Herz. Da wandte sich Dominicus zu einem Bilde des Herrn am Kreuz, das im Gemache hin. „Allbarmherziger!“ rief er, „sende du ihm Trost und rette seine arme Seele.“ Franz rannte wild im Zimmer umher, dachte nur daran, wie er aufs neue den Spiegel befragen, sich an seinem Nebenbuhler rächen und dann sein Leben durch Selbstmord endigen wolle.

Da rollte ein Wagen vor die Tür, ein Bedienter trat ins Zimmer.

„Fertige sie ab, ich will niemanden sprechen, bin krank, nicht zu Hause.“

Der Bediente kam mit der Antwort zurück: die Besuchenden beständen darauf, den Herrn zu sprechen.

„Ehrwürdiger Vater, ich bitte euch, schafft sie mir vom Halse.“

Dominicus ging. Er fand einen jungen Offizier und eine junge Dame und erkannte sie beim ersten Anblick, es war Rosalie und ihr Bruder. Er erklärte ihnen, dass Franz sich nicht wohl befände und verbereitet werden müßte und damit dies geschehen konnte, erzählte dann Drebinski: „Ich trat in französische Kriegsdienste und fand bald an meinem Landsmanne, dem französischen General Strikowski, dessen Adjudant ich wurde, eine väterlichen Freund. Einige Jahre vergingen, da forderte mein Vater, dass ich wegen seiner zunehmenden Altersschwäche meinen Abschied fordern und die Güter annehmen sollte. Mein Ehrgefühl hinderte mich, solches vor dem Ende des Feldzuges zu tun. Da erhielt ich auch einen Brief meiner Schwester, welche mir ihre Verlobung meldete. Ihr Bräutigam war der Neffe meines guten Generals, uns beiden machte die Nachricht unendliche Freude. Antworten konnte ich nicht, denn wir standen dem Feinde gegenüber und in einer Schlacht, die nach wenig Tagen vorfiel, ward der edle Strikowski tdlich verwundet. Er ernannte seinen Neffen zum Erben seines ansehnlichen Vermögens und machte es mir zur Pflicht, den Nachlaß zu ordnen. Ich erfüllte dies, nahm, da der Feldzug indeß beendigt war, meinen Abschied und eilte in´s Vaterland. Um Mitternacht kam ich zu Warschau an, mein Wagen hielt vor dem Hause meiner Tante, alles schlief; nur Rosaliens Kammerfrau hörte mein Pochen; ich nannte meinen Namen, unbeschreiblich war die Freude des Wiedersehens. Ich bat meine Schwester, den Neffen des Mannes, der sich so viele Verdienste um mich erworben hatte, baldmöglichst durch ihre Hand glücklich zu machen. Sie gewährte meine Bitte, begleitete mich auf meine Güter und, da der Weg uns vorüberführt, auch hierher.“

Dominicus vergoß Freudentränen, alles war ja, wie er glaubte, glücklich beendigt. Er eilte zu Franz, allmälig wollte er ihm alles mitteilen, aber sein Herz trieb ihn, bald entdeckte er alles. Er staunte, bei Franz mehr Schrecken als Freude zu bemerken. Händeringend blickte dieser gen Himmel, warf sich jetzt vor dem Kreuze nieder und Tränen strömten seine bleiche Wange herab. Minuten wurden für Rosalien zu Stunden, sie konnte sich nicht länger gedulden und eile zu Franz; beim Öffnen der Tür erblickte sie den Knieenden.

„Gute fromme Seele!“ rief sie aus, „mein Dankgebet steige zugleich mit dem Deinigen zu Gott empor!“ Sie warf sich neben ihm auf die Knie, – immer bleicher ward Franz und sank ohnmächtig nieder. Er wurde in´s Leben zurückgerufen, da küßte er Rosaliens Hände und benetzte sie mit Tränen. „O du Engel voll Güte!“ rief er aus, „ich bin deiner nicht wert.“ Mit Zerknirschung gestand er jetzt den Vorgang mit dem Zauberspiegel und dessen boshafte Täuschung.

„Wo ist dieses verruchte Werkzeug?“ rief Drebinski, „der Verstorbene hat mir dessen Zerstörung zur Pflicht gemacht.“

„Dazu sind,“ sagte Franz, „laut Vorschrift des Buches, wenn es ohne Gefahr geschehen soll, Monate erforderlich.“

„Wer an den glaubt,“ sagte Dominicus, „welcher der Hölle die Macht nahm, darf ihre Drohung nicht scheuen.“

Ignaz mit einigen wurde herbeigerufen. Sie eilten in das unterirdische Gemach, Dominicus griff nach dem Zauberspiegel, aber fest hielt ihn die Mumie und schien ihn mit rollenden Augen anzublicken, indeß von allen Seiten ein gräßliches Geheul ertönte; aber Dominicus entriß ihr den Spiegel und warf ihn in Stücke. Alles, was sich in dem Gemache befand, ließ er verbrennen und warf auch das Buch in die Flammen. Allein Schrecken und Wut, Freude und Beschämung hatten so schnell und mächtig auf Franz gewirkt, dass er einem Trunkenen glich. Am folgenden Morgen fieberte er heftig, der herbeigeholte Arzt erklärte seinen Zustand für höchst gefährlich und Franz verschied nach drei Tagen mit einem Herzen voll Reue unter dem Gebete des frommen Dominicus.

Auf Rosaliens sanftes gefühlvolles Herz, die den Entschlafenen zärtlich geliebt hatte, machte dieses alles den heftigsten Eindruck. Die Welt hatte für sie allen Reiz verloren, sie wählte den Schleier und war noch im hohen Alter als Äbtissin des Klosters allen Schwestern ein Beispiel von Tugend und Frömmigkeit. – Drebinski aber vermählte sich glücklich und erzählte noch oft seinen Enkeln, die er dann vor Aberglauben warnte, diese Geschichte. „Danket,“ sagte er oft zu den Seinen, „der ewigen Weisheit, die den Gesichtskreis des Sterblichen beschränkte und die Zukunft gewiß aus Liebe verbarg. Send nimmer so vermessen, diese entschleiern zu wollen, sondern suchet, bei ruhiger Ergebung in den Willen der Vorsehung, nur durch Frömmigkeit und Tugend euer höchstes Glück.“

(Quelle: Legenden, Volkssagen, Gespenster- und Zaubergeschichten, Ruffschen Verlagshandlung, Halle und Leipig, 1818)