Die wandelnde Glocke – eine Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe.
Es war ein Kind, das wollte nie
zur Kirche sich bequemen,
und sonntags fand es stets ein Wie,
den Weg ins Feld zu nehmen.
Die Mutter sprach: „Die Glocke tönt,
und so ist dir´s befohlen,
und hast du dich nicht hingewöhnt,
sie kommt und wird dich holen.“
Das Kind, es denkt: „Die Glocke hängt
da droben auf dem Stuhle.“
Schon hat´s den Weg ins Feld gelenkt,
als lief es aus der Schule.
Die Glocke, Glocke tönt nicht mehr,
die Mutter hat gefackelt.
Doch welch ein Schrecken! Hinterher
die Glocke kommt gewackelt.
Sie wackelt schnell, man glaubt es kaum.
Das arme Kind im Schrecken,
es läuft, es kommt als wie ein Traum,
die Glocke wird decken.
Doch nimmt es richtig seinen Husch,
und mit gewandter Schnelle
eilt es durch Anger, Feld und Busch
zur Kirche, zur Kapelle.
Und jeden Sonn- und Feiertag
gedenkt es an den Schaden,
läßt durch den ersten Glockenschlag
nicht in Person sich laden.
entnommen:
Vor den Toren, Lesebuch für Rheinland-Pfalz, August Bagel Verlag Düsseldorf, 1952