Das Tischgebet

Das Tischgebet ist ein Gedicht von Friedrich Güll.

An der Tafel im Gasthaus „Zum Goldenen Stern“
waren beisammen viel reiche Herrn.
Vor ihnen standen aus Küch` und Keller
gar lieblich lockend die Flaschen und Teller.
Schon saßen sie da in plaudernden Gruppen,
die Kellner reichten die dampfenden Suppen,
und mehr noch begannen Gemüs und Braten
mit süßem Wohlgeruch zu laden.
Da kam zur Türe still herein
ein Fremder mit seinem Töchterlein
und setzte sich unten am langen Tisch,
um auch zu kosten vom Wein und Fisch.
Oben klirrten Löffel und Messer,
klangen die Gläser und scherzten die Esser. –
Da tönt auf einmal hell und fein
eine Stimme in den Lärm hinein,
wie wenn von fern ein Glöcklein klingt
wie wenn im Wald ein Vogel singt.
Und wie auch der Strom dier Rede rauscht,
still wird es rings, und jeder lauscht:
der Krieger, der von Schlachten erzählt,
der Kaufmann, der über die Zölle geschmält,
die Reisenden, die von Abenteuern
gesprochen und von Ungeheuern,
die Stutzer, die von Pferd und Wagen
und Hunden und Moden so vieles sagen.
Und wie sie schauen nach dem Orte,
von woher dringen die lieblichen Worte:
mit gefalteten Händen das Mädchen steht
und spricht sein gewohntes Tischgebet.
Und, wie beseelt von höherem Geist,
falten auch sie die Hände zumeist
und horchen alle recht mit Fleiße
auf des betenden Kindes Weise.
Drauf setzt es sich nieder mit stiller Freude
und achtet nicht auf all die Leute.
Die aber, ergriffen im tiefsten Innern,
mußten sich of noch daran erinnern,
und mancher hat wieder gebetet fortan,
wa er schon lange nicht mehr getan.

entnommen:
Vor den Toren, Lesebuch für Rheinland-Pfalz, August Bagel Verlag Düsseldorf, 1952


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