Don Gockelinos Ermordung – [Märchen]

Don Gockelinos Ermordung – ein Märchen von Guido Görres.


Unweit der Stadt Koblenz, fast der Burg Stolzenfels gegenüber, da wo die Lahn in den Rhein fließt, steht eine uralte Kirche, die Johanniskirche. Unweit derselben befindet sich ein Hof, und auf diesem Hof lebte ein Bauer, der hieß Michel Bückdenrück, und er hatte einen Knecht Hans Machmirsrecht. Aber Hans machte es seinem Herrn nicht recht; denn er stammte von den Siebenschläfern und war faul und blieb gern lange im Bette liegen. Nun war auf dem Hofe, wo Hans diente, ein Hahn, genannt Don Gockelino, der krähte schon in der ersten Frühe mit heller Stimme den Tag an. Don Gockelino war ein Enkel der gefürsteten Gräfin Gallina von Hennegau und wohledlen gestrengen Ritters Gockel Hahn von Hanau und Henneberg. Umstände und Verhältnisse hatten den Junker Gockelino genötigt, das kleine Ämtchen auf dem Bauernhof unerkannt zu versehen. Er war aber ein munteres ritterliches Blut von aufgewecktem Mut, und darum krähte er vor Sonnenaufgang schon seinen Morgengruß allum in die runde. Hörte der Bauer nun seine Stimme, dann rief er: Hans! steh auf, der Hahn hat gekräht. Der faule Hans faßte darum einen großen Zorn wider den wackern Don Gockelino, und mehr als einmal sprach er zu sich selber: Wenn dem hergelaufenen Unruhstifter doch nur einmal ein Gerstenkorn im Hals stecken blieb, dass er daran erstickte! Allein sein Wunsch ging nicht in Erfüllung. Gockelino ließ sich das Futter des Bauern wohl schmecken und wurde immer stattlicher und munterer, und somit gewann auch seine Stimme täglich an hellem durchdringenden Klange, so dass der faule Hans alle Morgen früh bei der Arbeit sein mußte. Seine Faulheit holte sich nun bei der Bosheit Rat, und er schwur dem armen Hahne den Untergang.
Es war eine mondhelle Nacht; alles schlief auf dem Bauernhof, auch der Hahn und sein Herr, der Bauer; nur Hans, der faule Knecht, konnte nicht schlafen, denn er hatte am Abend zuviel gegessen. Da fiel ihm wieder der Hahn ein; er nahm ein Messer und schlich sich hinab in den Hof zur Hühnersteige; dort saß der arme Junker Don Gockelino und, nichts schlimmes ahnend, träumte er von seinem berühmten Großvater, dem alten Ritter Gockel, wie er so meisterlich bei Turnieren und Festen des Reiches Heroldenamt versehn, und wie es ihm selbst nun so kümmerlich auf dem Bauernhof ergehe. Er hatte seinen Kopf zwischen den Flügeln versteckt, und Hans, das Messer in der Rechten, ersah sich eben eine Gelegenheit, wie er ihn mit der Linken am besten greifen Könnte! Da hörte er draußen eine klägliche Stimme; er fuhr erschrocken zurück, weil er glaubte, es möge jemand aufgestanden sein und ihn bei seiner bösen Tat entdecken; er zog sich in den Schatten der Stallwand zurück und horchte auf; da er sich aber alsbald versicherte, dass es nur eine Nachtigall sei, die da draußen in den blühenden Rosenbüschen singe, da sprach er mißmutig in sich hinein: Die weiß auch nichts Besseres zu tun, als die Menschen in ihrer Nachtruhe mit ihrem Singsang zu stören, hätte ich sie nur, ich wollte ihr die Zunge noch besser lösen. Damit ging er wieder auf sein schlafendes Schlachtopfer los; abermals fuhr er jedoch zurück; denn es war ihm, als habe er draußen eine dumpfe drohende Stimme vernommen; er horchte wieder auf, und siehe! es war die Turmuhr, die Mitternacht schlug; unzufrieden über seine eigne Furchtsamkeit, schlich er wieder näher heran; da pfiff etwas an seinen Ohren vorbei, berührte ihn wie mit kalter Hand an der Stirne, und es fiel herab wie ein Tropfen eines feurigen Regens. Erschrocken sah er in die Höhe, die schwarze Gestalt verfolgend; es war, wie er nun erkannte, eine Fledermaus, und als er auf den Boden sah, lag ein kleines Johanniskäferlein zu seinen Füßen, welches der Vogel hatte fallen lassen. Zum vierten Male ließ er sich jedoch nicht zurückhalten, er faßte den Schlafenden und schnitt ihm mit solcher Wut und Hast den Kopf ab, dass der Unglückliche nicht einmal einen Hilferuf ausstoßen konnte. Don Gockelino seufzte nur noch einmal aus tiefster Brust, verdrehte im Mondlicht die Augen, und der wachsamste aller Hähne war nicht mehr. Der listige Hans streute nun einige seiner schönen Schwungfedern im Hof herum, um seinen Herrn glauben zu machen, der Habicht oder ein Fuchs habe den Ermordeten geraubt, versteckte die Leiche in dem Heuschober und legte sich wieder aufs Ohr.
Aber was geschah? – Die böse Tat sollte schwer an dem Verbrecher gerochen werden, wie du sogleich hören wirst.
Am nächsten Morgen herrschte Totenstille auf dem Hof: der Hahn krähte nicht, der Buer erwachte nicht, Hans stand nicht auf; die Arbeit wurde nicht getan, das Feuer nicht angezündet, die Morgensuppe nicht gekocht, und so ging es den ganzen Tag; nichts geschah zu seiner Zeit: da wurde der Bauer Bückdenrück so recht Zornig und schalt seinen Knecht Machmirsrecht mit scharfen Worten. Am zweiten Tage ging es ganz ebenso, nur wurde der Buer noch zorniger und drohte dem Hans, ihn vom Hof zu jagen, wenn er sich nicht bessere. Allein was geschah erst in der dritten Nacht? – Wieder schien der Mond hell wie in jener unglücklichen Stunde; da war es auf einmal dem Hans, als höre er deutlich den Hahn Don Gockelino krähen; erschrocken sprang er vom Bett auf; denn er meinte, es dämmere der Tag, und lief, seinen Herrn zu wecken. Da dieser aber auf die Uhr sah, da war es eben erst Mitternacht, worüber natürlich der Herr sich aufs neue erzürnte, weil ihn sein fauler Knecht Machmirsrecht im besten Schlafe gestört hatte. Er gab ihm also eine Ohrfeige, und Hans ging wieder in sein Bett; allein es währte nicht lange, er hatte kaum die Augen geschlossen: da hörte er nicht nur den Junker Don Gockelino in herzzerreißendem Tone, wie er es in seinem Leben nie getan, krähen: nein! als er die Augen aufschlug, da stand der unschuldig Ermordete, von Flammen umgeben, mit glühenden Augen, offenem Schnabel, das Messer in der Brust, ganz wie er geleibt und gelebt, vor ihm; die schwarze Gestalt stürzte auf den Mörder, gegen ihn waren die Krallen gekehrt, seine Ohren durchdrang die Stimme des Ermordeten. da konnte es Hans nicht länger aushalten; er sprang, wie er war, auf und lief, ohne Schuhe und Strümpfe, von dem blutigen Geiste verfolgt, in die weite Welt hinaus. Und obschon sein Bild in allen Zeitungen und Wochenblättern bekanntgemacht wurde, so hat doch bis auf die heutige Stunde keine Seele irgendeine Nachricht von ihm geben können. Nur den Zipfel seiner Schlafmütze fand am andern Morgen ein Hirtenbube, der auf dem Felsen der Lurlei Geißen hütete, in einer Dornhecke auf einer überhängenden Felsenwand, nahe beim Ufer des Rheins.


Quelle: Neue Dichtermärchen, Münchener Jugendschriften 33, Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer, ohne Jahr