Eine sonderbare Wirtszeche

Eine sonderbare Wirtszeche, Erzählung von Johann Peter Hebel

Manchmal gelingt ein mutwilliger Einfall, manchmal kostet´s den Rock, oft sogar die Haut dazu. Diesmal aber nur den Rock. Denn obgleich einmal drei lustige Studenten auf einer Reise keinen roten Heller mehr in der Tasche hatten – alles war verjubelt -, so gingen sie doch noch einmal in ein Wirtshaus und dachten, sie wollten sich schon wieder hinaushelfen und doch nicht wie Schelmen davonschleichen, und es war ihnen gar recht, daß die junge und artige Wirtin ganz allein in der Stube war.

Sie aßen und tranken guten Mutes und führten miteinander ein gar gelehrtes Gespräch, als wenn die Welt schon viele tausend Jahre alt wäre und noch ebensolang stehen würde, und daß in jedem Jahr, an jedem Tag und in jeder Stunde des Jahres alles wieder so komme und sei, wie es am nämlichen Tag und in der nämlichen Stunde vor sechstausend Jahren auch gewesen sei. „Ja,“ sagte endlich einer zur Wirtin, die mit einer Strickerei seitwärts am Fenter saß und aufmerksam zuhörte, „ja, Frau Wirtin, das müssen wir aus unsern gelehrten Büchern wissen.“ Und einer war so keck und behauptete, er könne sich wieder dunkel erinnern, dass sie vor sechstausend Jahren schon einmal dagewesen seien, und das hübsche freundliche Gesicht der Frau Wirtin sei ihm noch wohlbekannt. Das Gespräch wurde noch lange fortgesetzt, und je mehr die Wirtin alles zu glauben schien, desto besser ließen sich die jungenSchwenkfelder (Anm.= Bummler) den Wein und Braten und manche Brezel schmecken, bis eine Rechnung von 5 Gulden 16 Kreuzern auf der Kreide stand. Als sie genug gegessen und getrunken hatten, rückten sie mit der List heraus, worauf es abgesehen war.

„Frau Wirtin“, sagte einer, „es steht diesmal um unsere Betzen nicht gut; denn es sind der Wirtshäuser zu viele an der Straße. Da wir aber an Euch eine verständige Frau gefunden haben, so hoffen wir als alte Freunde hier Kredit zu haben, und wenn´s Euch recht ist, so wollen wir in sechstausend Jahren, wenn wir wiederkommen, die alte Zeche samt der neuen bezahlen.“ Die verständige Wirtin nahm das nicht über auf, war´s vollkommen zufrieden und freute sich, dass die Herren so vorlieb genommen, stellte sich aber unvermerkt vor die Stubentüre und bat, die Herren möchten nur so gut sein und jetzt einstweilen die 5 Gulden und 16 Kreuzer bezahlen, die sie vor sechstausend Jahren schuldig geblieben seien, weil doch alles schon einmal so gewesen sei, wie es wiederkomme. Zum Unglück traten eben der Vorgesetztes des Ortes mit ein paar braven Männern in die Stube, um miteinander ein Glas Wein in Ehren zu trinken. Das war den gefangenen Vögeln gar nicht lieb. Denn jetzt wurde von Amts wegen das Urteil gefällt und vollzogen: Es sei aller Ehren wert, wenn man sechstausend Jahre lang geborgt habe. Die Herren sollten also augenblicklich ihre alte Schuld bezahlen oder ihre noch ziemlich neuen Oberröcke in Versatz geben. Dies letzte mußte geschehen, und die Wirtin versprach, in sechstausend Jahren, wenn sie wiederkommen und besser als jetzt bei Batzen seien, in alles, Stück für Stück, wieder zuzustellen.

Dies ist geschehen im Jahr 1805 am 17. April im Wirtshaus zu Segringen (Anm. vwh: Dorf in Bayern).

Quellenangabe zu „Eine sonderbare Wirtszeche“

Schatzkästlein – Fünzig Erzählungen von Johann Peter Hebel
Verlegt bei Hermann Schaffstein, Köln, 1921


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