Weihnachten, ein Gedicht von Arno Holz
Und wieder nun läßt aus dem Dunkel
die Weihnacht ihre Sterne funkeln.
Die Engel im Himmel hört man sich küssen
und die ganze Welt riecht nach Pfeffernüssen…
So heimlich war es die letzten Wochen,
Die Häuser nach Mehl und Honig rochen,
die Dächer lagen dick verschneit
und fern, noch fern schien die schöne Zeit.
Man dachte an sie kaum dann und wann.
Mutter teigte die Kuchen an
und Vater, dem mehr der Lehnstuhl taugte,
saß daneben und las und raucchte.
Da plötzlich, eh man sich´s versah,
mit einemal war sie wieder da.
Mitten im Zimmer steht nun der Baum!
Man reibt sich die Augen und glaubt es kaum…
Die Ketten schaukeln, die Lichter wehn,
Hergott, was gibt´s da nicht alles zu sehn!
Die kleinen Kügelchen und hier
die niedlichen Krönchen aus Goldpapier!
Und an all den grünen, glitzernden Schnürchen
all die unzähligen, kleinen Figürchen:
Mohren, Schlittschuhläufer und Schwälbchen,
Elefanten und kleine Kälbchen,
Schornsteinfeger und trommelnde Hasen,
dicke Kerle mit roten Nasen,
reiche Hunde und arme Schlucker
und alles, alles aus purem Zucker!
Ein alter Herr mit weißen Bäffchen
hängt gerade unter einem Äffchen.
Und hier gar schält sich aus seinem Ei
und kleiner, geflügelter Nagedei.
Und oben oben erst in der Krone!
Da hängt eine wirklich, gelbe Kanone
und ein Husarenleutnant mit silbernen Tressen –
ich glaube wahrhaftig man kann ihn essen!
In den offenen Mäulerchen ihre Finger,
stehn um den Tisch die kleinen Dinger,
und um die Wette mit den Kerzen
puppern vor Freuden ihre Herzen.
Ihre großen, blauen Augen leuchten,
indes die unsern sich leise feuchten.
Wir sind ja leider schon längst „erwachsen“,
uns dreht sich die Welt um andre Achsen,
und zwar zumeist um unser Büro.
Ach, nicht wie früher mehr macht uns froh
aus Zinkblech eine Eisenbahn,
ein kleines Schweinchen aus Marzipan.
Eine Blechtrompete gefiel uns einst sehr,
der Reichstag interessiert uns heut mehr;
auch sind wir verliebt in die Regeldetri
und spielen natürlich auch Lotterie.
Uns quälen tausend Siebensachen.
Mit einem Wort, um es kurz zu machen,
wird sind große, verständige, vernünftige Leute!
Nur eben heute nicht, heute, heute!
Über uns kommt es wie ein Traum,
ist nicht die Welt heut ein einziger Baum,
an dme Millionen Kerzen schaukeln?
Alte Erinnerungen gaukeln
aus fernen Zeiten an uns vorüber
und jede klagt: Hinüber, hinüber!
Und ein altes Lied fällt uns wieder ein:
O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!
Weihnachten – Quelle: Die schönsten deutschen Kindergedichte, gesammelt von Herbert Heckmann und Michael Krüger, Hanser-Verlag