Frühling in der Stadt – Erzählung von Arth. Schoke

Frühling in der Stadt – eine Erzählung von Arth. Schoke.

Kinder, der Frühling ist wieder in der Stadt. Habt ihr schon gesehen? Geht mal in die Anlagen, da merkt ihr ihn am besten. Schon hat er die Schneeglöckchen und Tulpen und Hyazinthen und Krokusse aus ihrem Winterschlaf geweckt. Überall gucken sie neugierig hervor An allen Sträuchern sitzen dicke Knospen, und der Rasen ist wieder grün und weich und glatt wie ein Plüschteppich. Da schaut, über die Beete gaukelt schon ein Schmetterling, und dort auf dem Wipfel pfeifen die Stare, des Frühlings fröhliche Musikanten.
Auf den Bänken sitzen überall alte Leute. Den ganzen Winter lang haben sie sich in ihren dumpfen Stuben so sehr nach dem Frühling gesehnt. Nun ist er da, nun ist ihnen wieder wohl im Freien. Wie sie sich die welken Gesichter und die blassen Hände von den warmen Sonnenstrahlen streicheln lassen! Wie glücklich sie dabei ausschauen! –
Auf dem Spielplatze aber wimmelt es von Kindern. Der Lenz hat sie alle aus den Häusern herausgetrieben; denn die Blumen, die Vögel und die Kinder sind seine liebsten Gespielen. Hei, wie sie springen und jauchzen und singen! Da spielen sie Ball, dort Haschen, dort Kreis. Hier die zwei kleinen Mädchen fahren stolz ihre Weihnachtspuppen zum ersten Mal spazieren. Am lustigsten aber ist es im Sandkasten. Da wachsen Häuser und Türme und Burgen und Dämme und ganze Gebirge wie Pilze aus der Erde, und die Sonne freut sich über die unermüdliche kleine Schar. –
Auch an den Schaufenstern könnt ihr merken, dass der Frühling wieder da ist. In die Blumenläden hat er Veilchen, Märzbecher, Narzissen und Weidenkätzchen gebracht und in die Zuckerwarengeschäfte die lustigen Osterhasen. In den Grünkramläden gibt es schon Spinat und Radieschen und allerlei grüne Kräuter.
Auf dem Stadtgraben hat der Lenz die schmutzige Eisdecke zerschmolzen. Nun spielen die dicken Karpfen wieder unter der Brücke, die weißen Schwäne rudern stolz vorbei, und am Bootshause schaukeln die frischgestrichenen Kähne. Und seht, dort rudern schon zwei Jungen auf dem sonnenhellen Wasser!
Sogar ei der Straßenbahn hat der Frühling angeklopft. Da haben sie die lustigen Sommerwagen aus den Schuppen gezogen und wieder angehängt. Und der Wagenführer hat seinen Pelz und die große Pudelmütze in den Schrank gesperrt; denn er dachte: „Sonst lacht mich die Sonne noch aus“.
Hei, Kinder, nun dauert´s nicht mehr lange, dann dürft ihr auch wieder barfuß gehen, und in vierzehn Tagen machen wir den ersten Schulausflug. –
Ja, ja, der Frühling ist wieder in der Stadt!


Quelle: Hänsel und Gretel, 29. Band, Winter 1926/27
Verlag für soziale Ethik und Kunstpflege, Berlin