Klein-Kiekelmatz – Märchen von R. Zoozmann

Klein-Kiekelmatz – Märchen von R. Zoozmann.

Oben am Waldrand hockte auf dem Wurzelknorren einer riesigen Tanne ein Wichtelmännchen und blickte auf das weite Bild zu seinen Füßen, auf das Dörfchen mit roten und grauen Dächern und auf die fleißigen Bauern.
„Was gibt´s?“ sprach er zu sich selber; „ob du einmal hinuntersteigst und den Menschen deine Hilfe anbietest? Ich bin ja zwar nur der Klein Kiekelmatz, und meine Kraft ist nicht groß, aber ich möchte mich doch gar zu gern nützlich machen und das Korn einfahren helfen. Mir macht es Freude, und den Bauern sollte es nicht schaden. Was kann da groß sein – ich versuchs´s halt mal!“
Und Klein-Kiekelmatz stieg den Berg hinab. Er war so groß wie einjährig Kind, hatte ein altkluges Gesicht, das unter einem grünen Hute pfiffig und gutmütig in wie Welt schaute, und etwas krumme Beinchen, die aber gar flink laufen konnten, und auf diesen Beinchen trudelte er sich geschwind den Bergeshang hinab, sprang über Wurzeln und Steine, dass es aussah, als ob da ein Wieselchen oder Eichkätzchen hinhuschte.
Bald war er unten, bald hatte er sich einen Bauern ersehen, der ihm der meisten Hilfe bedürftig schien, da er mehrere Wagen zu beladen hatte und seine Knechte und Mägde sich tüchtig tummeln mußten, wenn sie bis Sonnenuntergang die vielen Kornlasten wollten eingefahren haben. Klein-Kiekelmatz faßte mit beiden Ärmchen in die Halme und raffte so viel zusammen, als eben ein jährig Kindchen fassen kann.
„Da, Bauer“, sprach er, „hast du ein paar tüchtige Arme voll; laß mich dir helfen, dann geht es schneller, und du kriegst bis zum Einbruch der Dunkelheit alles in die Scheune.“
„Hahaha!“ lachte der Bauer und stütze sich auf seine Heugabel – „du wärst mir der Rechte, du Knirps! Mach´ dich nicht lächerlich mit deinen paar Hälmchen, Kiekelmatz, und scher´ dich von dannen! Marsch, fort, dass du nicht zertreten wirst, du Maulwurf, du Taps, du Gernegroß und Wichtigtuer!“ Und damit faßte er ihn mit seiner Heugabel und warf ihn in großem Bogen auf den vollen Wagen, dass em armen Wichtelmann Hören und Sehen verging und er von Herzen froh war, als er nach der gewaltigen Luftfahrt mit heilen Gliedern in einem Ährenbund gelandet war. Der reiche Thoms lachte aus vollem Halse, und seine Knechte und Mägde stimmten mit ein. Dann gingen sie wieder an ihre Arbeit und kümmerten sich nicht weiter um Klein-Kiekelmatz. Der aber zerdrückte ein Tränlein in seinem Auge und kletterte schnell von dem Wagen herab.
„Was tut´s?“ sprach er zu sich selber; „du bist an den Unrechten geraten. Der reiche Thoms mit seinen vielen Knechten und Mägden braucht deine Hilfe freilich nicht. Da drüben sehe ich den guten Klaus, der hat nur ein winziges Stückchen Land, dem ist deine Hilfe gewiß willkommen.“
Gedacht, getan. Er trippelte zum Bauer Klaus hinüber, faßte mit beiden Ärmchen in die Halme und raffte so viel zusammen, als eben ein jährig Kind fassen kann.
„Da, Bauer,“ sprach er, „hast du ein paar tüchtige Arme voll; laß mich dir helfen, dann geht es schneller, und du kriegst bis Sonnenuntergang alles in die Scheuer!“

Klein-Kiekelmatz - Zeichnung von R. Zoozmann

„Vergelt´s Gott, Klein-Kiekelmatz,“ entgegnete Klaus; „jede Hilfe bringt Segen, die gern gegeben wird. Lebe nur alle Hälmchen, die du sammelst, hier auf ein Häufchen zusammen, und wenn du ein Bund fertig hast, werf´ ich´s mit meiner Gabel auf den Wagen. Aber streng´ dich nicht zu sehr an, Kiekelmätzchen; Eile mit Weile kommt auch ans Ziel.“
Das Wichtelmännchen war hoch erfreut über diese freundlichen Worte des guten Klaus. Und nun hättet ihr sehen sollen, wie er sich tummelte, hin und her lief gleich einem Wieselchen und Halm auf Halm zusammentrug. Seine Kraft schien zu wachsen; hatte er erst nur ein Dutzend Hälmchen tragen können, so griff und trug er mit der Zeit immer mehr, und Haufen auf Haufen entstand unter seinen fleißigen Händchen.
Die Sonne war noch lange nicht verschwunden, als die Arbeit beendet war.
„Du bist ein wackeres, liebes Kerlchen,“ sprach Klaus zu ihm. „Du hast deine Arbeit gut und fleißig verrichtet, und eine Liebe ist der andern wert. Jetzt fährst du mit mir nach Hause und nimmst an unserm Abendbrot teil. Und ein Bettchen ist auch für dich bereitet, denn du wirst rechtschaffen müde sein nach dem schweren Tagewerk.“
Klaus stieg also auf den Wagen, hob den Kiekelmatz zu sich empor und setzte ihn neben sich auf eine Garbe, so daß er nicht herunterpurzeln konnte. Wie freute sich Klein-Kiekelmatz, hoch oben im duftigen Korn thronen zu können. Und nun ging es ins Dorf.
„Schau, liebes Weib,“ sagte der Bauer; „wir haben einen fleißigen kleinen Knecht gehabt, der uns schnell die Arbeit hat beenden lassen. Das ist Klein-Kiekelmatz, das Wichtelmännchen vom Walde droben. Richte schnell das Abendbrot, denn wir sind beide hungrig.“
„Wo ist er denn? Ich sehe ihn gar nicht“, sprach die Frau.
„Hier ist er,“ sagte der Bauer, „halte deine Schürze auf, dass er nicht zu Schaden kommt.“ Und damit legte er der Bäuerin das Wichtelmännchen in die aufgehaltene Schürze. Frau Klaus freute sich ihres Gastes, hieß ihn herzlich willkommen und führte ihn in die Stube, wo sie schnell das schon bereitete Abendessen auftrug.
Kiekelmätzchen wurde auf ein Stühlchen gesetzt, bekam sein Tellerchen Suppe, Brot und Wurst, und als es Nacht wurde, brachte ihn die Bäuerin in die Kammer, wo ein Bettchen für ihn bereit stand.
„Da ihr so gute Leute seid,“ sprach das Wichtelmännchen, „will ich ein ganzes Jahr bei euch bleiben und euch dienen.“
Und so geschah es. Klein-Kiekelmätzchen machte sich von früh bis spät nützlich. Er lernte die Kuh melken und den Garten bestellen, er sammelte Reisig und spaltete Holz, er striegelte das Pferd und wusch und kämmte die Kinder, er duldete kein Fleckchen an Diele und Wand, er putzte und scheuerte Tisch und Bänke, er machte das Feuer an und kochte – und alles, was er tat, schlug dem guten Klaus zum Segen aus. Als das Jahr um war, hatte sich des Bauern Wohlstand vermehrt; statt einer Kuh hatte er drei; statt eines Pferdes hatte er zwei, die Hühner legten viel mehr Eier, die Schweine waren rund und fett, die Scheune bekam einen Anbau, Klaus konnte noch Acker und Wiese hinzukaufen – kurzum: es war alles gediehen durch die gute Mithilfe des Klein-Kitzelmätzchens, und der reiche Toms sah mit Neid, dass der arme Klaus bald ebenso reich war wie er selber.
Klaus hatte zum Abschied ein neues Wams lassen, einen grünen Hut und ein Paar blitzblanke Stiefelchen; Geld lehnte das Wichtelmännchen ab. Und so zog es, dankbar und schweren Herzens von den guten Bauersleuten entlassen, eines schönen Morgens wieder von dannen in den heimatlichen Berg zurück zu seinem Wichtelvolke. Dem guten Bauer Klaus und seinem ganzen Hause ging es aber auch ferner gut; denn der Segen der kleinen Wichtelmänner hält so lange an, als man sich dessen würdig zeigt. Man soll auch die kleinste Hilfe nicht verschmähen, die gern erteilt wird, und soll auch den Schwachen nicht verachten, der sich nützlich machen will. – Mancher ist schon durch einen Klein-Kiekelmatz ein großer Herr geworden.


Aus „Hänsel und Gretel“, Winter 1926/27, Verlag für soziale Ethik und Kunstpflege.