Puchsbaums Fall
I.
Um seinen Lehrer und Meister zu verdrängen, hatte Puchsbaum versprochen, in sehr kurzer Zeit einen zweiten Stefansturm zu bauen. Je mehr er aber darüber nachdachte, wie er seiner Zusage nachkommen möge, desto mehr fieng er an zu zweifeln, und es bemächtigte sich seiner Seele eine namenlose Unruhe. Wohl manchen Tag betrachtete er den vor Kurzem vollendeten Riesen und nicht selten stand er bis zur Stunde der Mitternacht vor dem wundervollen Gotteshause, an der Stelle, auf welcher der zweite emporsteigen sollte. Eben that er dieß wieder, und peinigende Gedanken ließen ihn lange nicht bemerken, was um ihn vorgieng. Als er endlich aufsah, erblickte er ganz in seiner Nähe ein altes Männlein, das ihn wehmüthig betrachtete. „Du erbarmst mir,“ begann die geheimnisvolle Erscheinung nun zu reden, „doch ich will dir helfen, und früher, als du zugesagt hast, soll der Bau vollendet sein. Dafür fordere ich nichts: nur darfst du während des ganzen Baues den Namen deiner geliebten Maria nicht nennen.“ Puchsbaum in seiner Noth versprach zu halten, was gefordert wurde, und der Vertrag war geschlossen. Am nächsten Tage begann der Bau und er gieng so rasch vorwärts, daß sich Alles darüber mit Recht verwunderte. Puchsbaum selbst, stolz über den Sieg, den er seinem Gegner und dem ungläubigen Magistrate gegenüber erkämpfen sollte, konnte kaum den Ausbruch der Freude unterdrücken. Jeden Abend überschaute er von dem höchsten Gerüste die Arbeit des Tages, und das Gelingen erfüllte seine Seele mit endlosen Plänen und Hoffnungen. Er kannte keine andere Seligkeit als die Vollendung des Turmes. So hatte er während des ganzen Baues noch nicht Zeit gewin- nen können, an seine Geliebte zudenken, viel weniger sie zusehen; als er aber eines Abends seine trunkenen Blicke auf die dunklen Pfade der Menschen niederwirft: siehe, da geht die Herrliche vorüber, er vergisst des Versprechens und ruft im Sturm der Freude : „Maria !“ Jn demselben Augenblicke stürzt das Gerüst, er fällt, und die Trümmer des gebrochenen Turmes bedecken seinen Leichnam. Eine rothe Gestalt erscheint und verschwindet wieder; aber das Hohngelächter der Hölle hallt weit über die Stadt hin.
Seit dieser Zeit hat man den Gedanken aufgegeben, einen zweiten Turm zu bauen ; der Magistrat ließ Schutt und Steine wegräumen; von dem Unglücklichen war keine Spur zu finden.
II.
Eine zweite Leseart der Sage von Puchsbaums Fall nimmt anstatt Pilgram den Peter von Brachawitz als Meister an. Dieser Altgeselle war nun dem jungen Puchsbaum über alle Maßen gram, weil Hanns jeden von ihm zwischen den Bauleuten angefachten Hader zu schlichten und zugleich die Gerüste so gut her zustellen wusste, daß Niemand vom Schwindel befallen wurde, wodurch der Bau ganz trefflich von Statten gieng. Und weil nun der tückische Altgeselle dem Hanns sonst aus keine Weise beikommen konnte, so beschloss er, im Gerüste eine Falle zu legen und den Jüngling hinein zu locken. Er stellte also einen trügerischen Pfosten und zeigte sich spät Abends im Mondschein auf dem Gerüste. Der stets wachsame Hanns hatte kaum bemerkt, daß sich Jemand noch so spät auf dem Turm befände, als er, um den Eindringling zur Rede zu stellen, hinaneilte und in seinem Eifer wirklich in die Falle gerieth. Als er stürzte, wurde die Gestalt des Altgesellen riesengroß, auf seinem Hute nickte eine rothe Hahnenfeder und er verschwand unter schneidendem Hohngelächter. Puchsbaum fiel tief herab, wurde aber entweder durch seinen Mantel, der sich gleich einem Fallschirm ausbreitete, oder durch die unteren Gerüste, an die sich der tückische Tram stieß, in so weit geschützt, daß er mit einem Beinbruch davon kam.
(Quelle: Österreichisches Sagenbuch von J. Gebhard, Verlag von Lauffer und Stolp, Pest, 1862)