Rothhautglauben

Rothhautglauben – eine Erzählung von Franz Hoffmann.

Little Dog, ein Indianer in Kanada, war eines Abends mit einem Pelzhändler zusammen, der kurz vorher von einer überseeischen Reise zurückgekommen war und wohl manches zu erzählen wußte, besonders aber, daß er weit überm Meer gewesen sei, und von dem Eindruck, den letzteres aus ihn gemacht, da er nichts gesehen, als Himmel und Wasser.

Der Rothe hatte lange auf die Worte des Weißen gehört, ohne ein Wort zu sagen oder auch nur eine Miene zu verziehen. Als nun der Weiße inne hielt, sagte jener: „Wohl, so weit war ich auch, bin auch gewesen, wo ich nichts gesehen als Himmel und Wasser.“ Der Weiße, neugierig, wo dieß gewesen , fragte den Indianer, der ihm von einer Reise erzählte, die er über die großen Seen des Landes gemacht habe. Der Weiße meinte nun, dieß sei etwas anderes, diese seien alle nichts gegen den Ocean, dessen Wasser salzig sei und aus dem man nacheinander viele Monate kreuz und quer fahren könne, ohne auch nur einem Strich Landes nahe zu kommen. Nun ward Little Dog ausmerksam und fragte schnell, „ob der Weiße hiebei auch zu jenem Rand der Welt gekommen sei und hinabgeschaut habe, wo nichts sei als ewige Nacht?“ Der Pelzhändler, die Frage nicht gleich richtig auffassend, fragte entgegen, wie er dies meine, woraus der Rothe seine Ueberzeugung auskramte, daß die Erde eine Grenze haben müsse, die aber Niemand leicht zu sehen bekomme, da eben das Feste überall von Meer umgeben sei, von welchem der Pelzhändler eben gesprochen habe. Es sei aber gewiß, daß die Welt nichts anderes sei als eine mächtige Scheibe, die von einer unermeßlich großen Schildkröte getragen sei. Der Weiße lächelte hierüber und suchte Little Dog in sokratischer Weise zu überfragen und von der Nichtigkeit dieser Ansicht zu überzeugen. Little Dog wußte allerdings aus des Weißen Frage, wer denn die Schildkröte halte, nichts zu sagen, als daß dieß kein Mensch zu wissen im Stande sei. —

Nach einigen Augenblicken Stillschweigens nahm nun der Weiße eine Büchsenkugel aus der Tasche, schnitt eine Kerbe rings herum und hing sie au einem Faden aus, indem er sie mit den Fingern beider Hände dem Lichte nahe drehte. Little Dog lugte und war die Ausmerksamkeit selbst, als der Weiße ihm erklärte, daß die Erde eine Kugel sei, die sich um das ewige Licht der Sonne drehe. Eine volle Drehung in 24 Stunden verursacht Tag und Nacht. Dieß verstand der Indianer vollkommen an der gedrehten Bleikugel, ja er schien sogar Gefallen daran zu finden, als ihm der Weiße aus ähnliche Weise den Wechsel der Jahreszeiten darstellte, indem er die Kugel dem Lichte näher und ferner drehte. Little Dog, der Weißen Ueberlegenheit in derlei Dingen vertrauend und gläubig hinnehmend, war von der Richtigkeit dieser Lehre vollkommen überzeugt, glaubte die beste Gelegenheit zu haben, über jenes gewisse tiefste Geheimniß ins Klare zu kommen und fragte, indem er das Gelernte klar wiederholte und aus des Pelzhändlers Finger wies : „Nun aber sag‘ mir, wer hält den Faden?“ —


(Quelle: Deutscher Jugendfreund, Verlag von Schmidt & Spring, 1878)