Einst reisten zwei arme Gesellen über das Riesengebirge, das zwischen Schlesien und Böhmen liegt und auf dem der Berggeist Rübezahl seine neckischen Streiche treibt. Als nun die beiden so in trübseligen Gedanken über ihre Not dahinzogen, sahen sie eine prächtige Kutsche vorüberfahren, die von etlichen Pagen begleitet war. Sie schlossen also, dass ein vornehmer Herr darin sitze, der wohl für ihre Armut eine kleine Gabe übrig habe, eilten hinzu und baten demütig um einen Reisepfennig, dessen sie höchst bedürftig seien. a sprang ein vornehmer Herr aus dem Wagen, schnitt mit dem Messer aus dem Gebüsch zwei Stöcke ab und überreichte sie ihnen mit den Worten: „Damit nehmt für diesmal vorlieb! Ihr werdet euch schon daran erholen und wieder auf die Beine kommen.“ Die Gesellen nahmen die Stöcke und bedankten sich höflichst; denn sie getrauten sich nicht, das Geschenk eines so vornehmen Herrn zurückzuweisen. Hierauf stieg Rübezahl – denn er war jener vornehme Herr – wieder in den Wagen und fuhr eilends davon.
Die beiden Wanderer humpelten langsam ihres Weges und schwatzten von ihren Stöcken und dem vornehmen Herrn, bis endlich der eine ganz verdrießlich sagte: „Ei, was soll mir der Stock! Ein solcher Herr hätt´ uns was Besseres verehren sollen als ein Stück Holz, das ich mir selbst abschneiden konnte.“ Damit warf er geringschätzig den Stock von sich. Sein Gefährte tadelte ihn deshalb. „Ich wenigstens“, entgegnete er, „will den meinigen behalten; wer weiß denn, wozu er gut ist!“ Unter solchen Reden kamen sie endlich über das Gebirge und gingen in die nächstgelegene Herberge. Als der Gesell nun, der seinen Stab behalten hatte, diesen betrachtete, siehe, da hatte sich der schlichte Stock in lauter gediegenes Gold verwandelt. Als das der andere sah, sprach er: „Halbpart, Bruder!“ Aber jener entgegnete: „Nein, Bruder, warum hast du deinen Stock hochmütig weggeworfen?“ Da lief der Bursch, was er konnte, und gedachte seinen Stock wiederzufinden; aber nach langen Suchen mußte er leer und trübseelig zu seinem Gefährten zurückkehren.
(Volksgut)
Quelle: Vor den Toren, August Babel Verlag, Düsseldorf, 1952