Der kleine Friedensbote – eine Erzählung von Karl Stöber
Ein Gerber und ein Bäcker waren einmal Nachbarn, und die gelbe und die weiße Schürze vertrugen sich aufs beste. Wenn dem Gerber ein Kind geboren wurde, hob es der Bäcker aus der Taufe, und wenn der Bäcker in seinem großen Obstgarten an die Stelle eines ausgedienten Invaliden eines Rekruten bedurfte, ging der Gerber in seine schöne Baumschule und hob den schönsten Stamm aus, den er darin hatte, eine Pflaume oder einen Apfel oder eine Birne oder eine Kirsche, je nachdem er auf diesen oder jenen Posten, auf einen fetten oder magern Platz gestelt werden sollte. – An Ostern, an Martini oder am Heiligen Abend kam die Bäckerin, welche keine Kinder hatte, immer mit einem großen Korb unter dem Arme, zu den Nachbarsleuten hinüber und teilte unter die kleinen Paten aus, was ihr der Hase oder der gute Märtel oder gar das Christkindlein selbst unter die schneeweiße Serviette gelegt hatten. – Je mehr sich die Kindlein über die reichen Spenden freuten, desto näher rückten sich die Herzen der beiden Weiber.
Aber ihre Männer hatten ein jeglicher einen Hund, der Gerber als Jagdliebhaber einen großen braunen Feldmann, der Bäcker einen kleinen schneeweißen Mordax. Beide meinten, die schönsten und besten Tiere in ihrem Geschlechte zu haben. Und da geschah es eines Tages, daß Mordax ein Kalbsknöchlein gegen den Feldmann behauptete. Denn er hatte wahrscheinlich vergessen, daß es nicht gut sei, einem großen Herrn etwas abzuschlagen. Vom Knurren km es zum Beißen, und ehe sich der Bäcker von seiner grünen Bank vor dem Hause erheben konnte, lag sein Hündlein mit zermalmten Genick vor ihm und der Feldmann lief mit dem eroberten Knochen und eingezogenem Schweife davon. Sehr ergrimmt und entrüstet warf der Herr des Ermordeten dem Raubmörder einen gewaltigen Stein nach. Aber was half´s? Die Handgranate flog nicht dem Hunde an den Kopf, sondern dessen Besitzer durch das Fenster, mitten auf den Tisch. Ohne zu fragen, woher der Schuß gekommen sei, riß der Gerber den zertrümmerten Fensterflügel auf und fing an zu schimpfen. Der Nachbar in der weißen Schürze und den aufgestülpten Hemdärmeln blieb nichts schuldig, Kinder und Leute liefen zusammen, und – hätte ich ihn nur sehen können! – Satan stand gewiß in einer Ecke der Gasse und blies mit vollen Backen in das Feuer. Der Bäcker verließ den Kampfplatz zuerst, ab nur, um seinen Nachbar bei Gelegenheit zu belangen. Die Sinne ging über den Zorn der beiden Männer unter, und am Tag darauf wurden sie vor Gericht geladen. Der Gerber wurde verurteilt, den totgebissenen Mordax mit einem Reichstaler zu büßen, da doch, ie er sich als Jagdliebhaber ausdrückte, der kleine Schäler nicht einen Groschen wert gewesen sei. Der Bäcker mußte für den zertrümmerten Fensterflügel nicht viel weniger bezahlen und sich mit seinem Widerpart in die aufgeworfenen Sporteln teilen.
Von nun an war zwischen den beiden Familien eine große Kluft geschaffen. Hinüber und herüber über die Gasse flog kein freundliches wort mehr. Ging die Gerberin links zur Kirche, so nahm die Nachbarin ihren Weg rechts; saß der Bäcker außen im Posthause in der Stube beim Bier, so nahm der Gerber seinen Platz im Kabinett. Für den ganz schuldlosen Teil, für die Kinder des Gerbers, gaben weder der Osterhase, noch der gute Märtel, noch das heilige Kind durch die Frau Patin etwas ab.
So ging es fast drei Jahre. einmal, am Ende es dritten, setzten sich der Gerber und eine Hausfrau nachmittags an den Tisch, um ihren Kaffee zu trinken. Aber als die Gerberin die Tischlade herauszog, war kein Wecken zum Einbrocken darin. Ihr kleiner Helm, der neben ihr auf den Zehen stand und auch hineinschaute, rief sogleich: „Mutter, einen Groschen! Ich hole das Brot!“ Dann wandte er sich in seiner kindlichen Eilfertigkeit an den Vater und sagte: „Heut aber lauf ich nicht lange umher, und wenn es beim Torbäcker kein Brot gibt, geh ich wieder einmal zu dem Herrn Paten hinüber.“ Der Gerber, der vielleicht die anklopfende Gnadenhand des Herrn spürte, sagte nicht ja und nicht nein darauf und ließ den kleinen Unmuß zieen. Im ersten Brotladen hatten die Wecken schon alle ihre Käufer gefunden, und Helm kam wieder zum Tore hinein, laut singend, wie es manchmel lebhafte Kinder mit ihren Gedanken zu machen pflegen, daß es die ganze Gasse hren konnte: „Heut geh ich zum Herrn Paten! Heut geh ich zum Herrn Patern!“ Ungehalten über den argen Schreihals, wollte sein Vater ihn wehren. Aber ehe er noch das verquollene Fenster aufbringen konnte, war der kleine Sänger schon zum Tempel hinein und – kehrte nach einigen Augenblicken als Friedensbote wieder zurück. Statt des Ölzweiges hatte er einen geschenkten Eierring in der Hand und rief über die Schwelle in die Stube hineinstolpernd: „Der Herr Pater läßt Vater und Mutter recht schön grüßen, und ich soll bald wiederkommen.“
Noch an dem nämlichen Abende wechselten die Nachbarsleute einige freundliche Worte über die Gasse, am folgenden saßen die weiße und die gelbe Schürze wieder auf der grünen Bank zusammen, am dritten zeigten die Weiber einander die Leinwand, zu der sie in den bösen drei Jahren oft mit ihren Tränen über den unseligen Zwist, den Faden genetzt hatten.
entnommen:
Vor den Toren, Lesebuch für Rheinland-Pfalz, August Bagel Verlag Düsseldorf, 1952