Der Schwarzspecht

Der Schwarzspecht – eine Erzählung von Hermann Löns.

Langsam bummelt der alte Hegemeister dem hohen Kiefernbestande zu. Seine langen Stiefel und die Manchasterhosen sind bald silbern überpudert. Dem Alten lacht das Herz im Leibe, wie er über den großen Windbruch sieht. Silber, alles von Silber, jede Schmiede, jeder Brombeerbusch und alle Birken, die gestern noch goldene Blätter schwenkten. Aber morgen regnet es, wenn es nicht schneit; sonst würden die Goldfinken nicht so viel locken, und sonst meldet sich der Schwarzspecht nicht so oft.

Wie eine gläserne Zauberglocke klingt es aus dem Altholze: kliäh, kliäh, kliäh, und noch einmal: kliäh. Ganz unirdisch, ganz märchenhaft hört sich das an, wie ein Laut aus einer anderen Welt. Und hinterher geht es trrr, trrr, trrr, und das ist das Rotkopfes Regenruf. Wenn der Schwarzspecht seinen klirrenden Ruf häufig erschallen läßt, dreht sich die Witterung. –

Da schnurrt es hart und laut über die Lichtung hin, dass die drei Rehe einen Augenblick die Häupter heben; ein großer schwarzer Vogel kommt im Bogenflug dahergestoben und bleibt an einem mächtigen Fichtenstumpfe kleben. Vorsichtig hebt der Förster das Glas und richtet es auf den Specht. Ist das nicht ein Prachtvogel? Wie der Schnabel blitzt, wie sich von dem nachtschwarzen Gefieder die feuerrote Kopfplatte abhebt! Eine wahre Herzensfreude ist es, das zu sehen.

Einige Male hat der schwarze Vogel hin und her geäugt; jetzt geht er an die Arbeit. Ein Schlag und ein handbreites Stück Rinde fliegt dahin. Noch ein Hieb und wieder poltert ein Borkenfetzen herunter. Jetzt rutscht der Specht zu Seite. Bei jedem Hieb leuchtet der hellrotbraune Splint des Stumpfes, von der Rinde befreit, auf, und jedesmal blitzt es aus dem Schnabel des Vogels hervor und blitzt zurück. Das ist die lange, nadelscharfe, mit Widerhaken bewehrte Zunge, die eine Larve, einen Käfer, eine Spinne anspießt und in den Schnabel hineinzieht.

„Kliäh, kliäh“, ruf der feuerköpfige Waldzimmermeister nun und schwing sich plötzlich ab und wie ein Höllengelächter klingt, allmählich verhallend, sein Regenruf aus dem Astholze. –

Der Förster geht weiter. Den ganzen Tag läutet und lacht der Specht heute; denn der Wetterumschlag sitzt ihm im Geblüte. Unstet treibt er sich von Wald zu Wald umher, schält hier eine tote Kiefernstange und spießt all das Ungeziefer, das im Splinte sitzt, entrindet da den Stamm einer alten Fichte, die der Blitz totgeschlagen hat und in der es von den feisten Bockkäferlarven wimmelt, hackt weiterhin den Stumpf einer Birke auseinander, dass die Fetzen nur so umherfliegen und begibt sich dann zu einer hohen Fichte, die im Innern krank geworden ist. Dort hat er anfangs nach Käferlarven gehämmert; aber da er schon satt war, hackte er zum Vergnügen ein tiefes, kreisrundes Loch in den Stamm und das will er sich jetzt zu einer Schlafhöhle vertiefen. Fleißig arbeitet er, alle Augenblick den Leib aus dem Loche ziehend und umherspähend, ob nicht irgendeine Gefahr droht; dumpf schallen die kurzen Schläge durch den Wald und die rostrote Nadelspreu am Boden ist bunt gemustert von den Absplissen, die der Schnabel des Spechtes losgehauen hat.

Mittlerweile hat er aber wieder Hunger bekommen. Laut lacht er auf und fliegt den morschen Stumpf einer Birke ab. Eisenhart ist die dicke Borke, aber stahlhart ist der Schnabel des Spechtes; handgroße Rindenfetzen spellt er los und darauf lange, breite Holzstücke und die feisten Schneckenlarven, die sich im Mulm und Moder ganz sicher fühlten, werden eine um die andere aufgespießt und verschlungen. Dann aber lockt ihn der Eichenüberhälter auf der Rodung. Kerngesund sieht der Stamm aus, doch der Specht weiß, dass dort genug zu holen ist. In jeder einzelnen Runzel der Rinde sitzt eine Larve der schmalen, goldgrünen Prachtkäfer. Hieb auf Hieb füht der schwarze Vogel gegen die Rinde, hageldicht fallen sie, aber so geschickte, so genau berechnet, dass auch nicht mehr Rinde abgemeißelt wird, als nötig ist, um die Larven freizulegen. Eine volle Stunde arbeitet der Specht und feuerrot leuchtet jetzt der vor kurzem noch stumpfgraue Stamm in der Sonne.

Bald hier, bald da klingt das Läuten und Lachen des Spechtes, jetzt im Birkenbusche, dann im Kiefernaltholz, nun im Stangenorte und schließlich in den Fichten. – Endlich, als die Krähen ihren Schlafplätzen zurudern und die Goldhähnchen schon tief in den Fichten wispern, strebt er einen hohen, glattschäftigen Kiefer mitten im alten Bestand zu und verschwindet in der kreisrunden Öffnung, die schwarz in dem roten Stamme gähnt.

So treibt er es einen Tag um den andern, ganz gleich, ob die Sonne scheint oder der Schnee stiebt, ob Plattfrost das Land hart macht oder Regenschauer es erweichen; ihm ist jedes Wetter recht, er findet immer Fraß genug, er braucht nicht zu hungern wie die Meisen, wenn der Rauhreif alle Zweige umspinnt und wie die Drosseln, wenn Hartschnee den Boden bedeckt; für ihn ist der Tisch allezeit gedeckt, denn überall gibt es morsche Stümpfe, kranke Stangen und faule Bäume, in denen Larven, Puppen und Käfer überwintern. – Ein Vergnügen ist es ihm, halbfußtiefe Löcher in die befallenen Stämme zu meißeln; hier und da im Bruche finden sich anbrüchige Bäume, die von oben bis unten so durchlöchert sind, dass sie wie Orgelpfeifen aussehen.

Und da er sich überall dort, wo er sich einige Zeit aufhält, Schlafhöhlen zimmert, so sorgt er dafür, dass allerlei Vögel, denen es in den durchforsteten Wäldern an Nistlöchern fehlt, im Frühjahr sole vorfinden, die Hohltaube und der Wiedehopf, die Schllente und der Raufußkauz, die Blauracke und der Star; und auch die Waldfledermäuse sind ihm zu Danke verpflichtet, da er auch ihnen Wohnstätten bereitet.


Quelle: Deutsche Lesebuch, Dritter Band, Verlag G. Braun, Karlsruhe, 1964