Die Schöpfung des Bodensee´s – Gedicht von Gustav Schwab
Als Gott der Herr die dunkeln Kräfte
Der werdenden Natur erregt,
Und zu dem schöpfrischen Geschäfte
Die Wasser und den Grund bewegt:
Und als sich nun die Tiefen senkten,
Die Berge rückten auf den Platz,
Die Ebnen sich mit Bächen tränkten,
In See’n sich schloß der Wasser Schatz:
Da schuf sich auch die Riesenkette
Der Alpen ihrer Thäler Schoos,
Da brach der Strom im Felsenbette
Aus seinem Eispalaste los.
Er trat heraus mit freud’gem Schrecken,
Er wallet hell in’s offne Land,
Und ruht in einem tiefen Becken
Als blauer See mit breitem Rand.
Und fort von Gottes Geist getrieben
Wogt er hinab zum jungen Meer,
Doch ist sein Ruhesitz geblieben,
Und Wälder grünen um ihn her;
Und über ihm hochausgebreitet
Spannt sich der heitern Lüfte Zelt,
Es spiegelt sich, indem sie schreitet,
Die Sonn‘ in ihm, des Himmels Held.
Und wie nun auf den weiten Auen
Des ersten Sabbaths Ruhe schlief,
Ließ sich der Bote Gottes schauen
Im lichten Wolkenkranz und rief.
Da scholl gleich donnernden Posaunen
Des Engels Stimme durch den Ort,
Es horchten Erd‘ und Fluth mit Staunen,
Und sie vernahmen Gottes Wort:
„Gesegnet bist du, stille Fläche,
Vor vielem Land und vielem Meer!
Ja rieselt fröhlich nur, ihr Bäche,
Ja ströme, Fluß, nur stolz einher!
Ihr hüllet euch in einen Spiegel,
Der große Bilder bald vereint,
Wenn Einer, der der Allmacht Siegel
Trägt auf der Stirn – der Mensch, erscheint.
Erst lebt ein dumpf Geschlecht, vergessen
Sein selbst, im Walde mit dem Thier;
Dann herrscht ein Fremdling stolz, vermessen,
Ein Sieger mit dem Schwerte hier;
Er zimmert sich den Wald zu Schiffen,
Eröffnet Straßen, baut ein Haus;
Dann hat ihn Gottes Hand ergriffen,
Und schleudert ihn zum Land hinaus.
Und führt den Stamm mit goldnen Haaren,
Mit blauem Aug‘ an’s Ufer her;
Er hat noch Nichts vom Herrn erfahren,
Sein Gott ist Eiche, Fluß und Meer;
Doch schläft im tüchtigen Gemüthe
Noch unerweckt des Ew’gen Bild,
Ein Strom der höchsten Kraft und Güte
In seinen vollen Adern quillt.
Der Himmel wird ihm Boten senden,
Die sagen ihm von Gottes Sohn,
Die bauen mit getreuen Händen
In dichten Wäldern seinen Thron.
Dort wird das Licht des Geistes leuchten,
Von dorther der Erkenntniß Quell
Der Erde weites Feld befeuchten,
Dort bleibt’s in tiefem Dunkel hell.
Dann werden sich die Haine lichten,
Wie sich der Menschen Herz erhellt,
Dann prangt ein Kranz von goldnen Früchten
Um dich, du segensreiches Feld!
Die Rebe strecket ihre Ranken
In deinen hellen See hinein,
Und schwer beladne Schiffe schwanken
In reicher Städte Hafen ein.
Und Die des Höchsten Krone tragen,
Statthalter seiner Königsmacht –
An diesen Ufern aufgeschlagen,
Sonnt oft sich ihres Hofes Pracht.
Und Völker kommen aus dem Norden
Und aus dem Süden, See, zu dir;
Du bist das Herz der Welt geworden,
O Land, und aller Völker Zier!
Drum sind dir Sänger auch gegeben,
Zwei Chöre, die mit deinem Lob
Die warme Frühlingsluft durchbeben,
Wie keiner je sein Land erhob:
Das eine sind die Nachtigallen,
Auf Wipfeln jubelt ihr Gesang,
Das andre sind in hohen Hallen
Die Ritter mit dem Harfenklang.
Wohl ahnst du deinen Ruhm, du wallest
Mit hochgehobner Brust, o See!
Doch daß du dir nicht selbst gefallest,
Vernimm auch deine Schmach, dein Weh!
Es spiegeln sich die Scheiterhaufen
Der Märtyrer in deiner Fluth,
Und deine grünen Ufer traufen
Von langvergossnem Bürgerblut.
Sei nur getrost! du blühest wieder,
Du wischest ab die Spur der Schmach,
Und große Sagen, süße Lieder,
Sie tönen am Gestade nach.
Zwar dich verläßt die Weltgeschichte,
Sie hält nicht mehr an deinem Strand
Mit Schwert und Wage Weltgerichte,
Doch still Genügen wohnt am Rand.
Der Hauch des Herrn treibt deine Boote,
Dein Netz soll voll von Fischen seyn,
Dein Volk nährt sich von eignem Brote,
Und trinkt den selbstgepflanzten Wein.
Und unter deinen Apfelbäumen
Wird ein vergnügt Geschlecht im Glück
Von seinem alten Ruhme träumen;
Wohlan, vollende dein Geschick!“
Der Engel sprach’s, der Sabbath endet,
Der Schöpfung Werktag hebt sich an,
Es rauscht der See, die Sonne wendet
Ihr Antlitz ab, die Wolfen nahn;
Die Stürme wühlen aus den Schlünden
Den trüben Schlamm an’s Licht herauf,
Der Strom hat Mühe sich zu münden,
Und sucht durch trägen Sumpf den Lauf.
Doch webt und wirkt im innern Grunde
Der schwer arbeitenden Natur
Das Wort aus ihres Schöpfers Munde,
Sie folgt der vorgeschriebnen Spur.
Von Licht verklärt, von Nacht verhüllet,
Sein bleibt das Wasser, sein das Land,
Und was verheißen ward, erfüllet
Der Zeiten Gang auf Fluth und Strand.
(Quelle: Badisches Sagenbuch, August Schnetzler, Verlag von Creuzbauer und Hasper, Karlsruhe, 1846)