Fuchs und Krähe im Winter ist eine Erzählung von Wilhelm Scharrelmann.
Es war im Winter, und das Feld war so verschneit, dass selbst dem Fuchs, so genügsam ihn die schwere Zeit schon gemacht hatte, die Gedärme im Leibe zusammenschnürten. Nicht einmal eine armselige Feldmann war aufzutreiben, und wo nur Hunger und Kälte ein armes Geschöpf überwältigten, deckte es schon nach wenigen Augenblicken der rieselnde Schnee.
„Gibt es nicht bald anderes Wetter?“ rief der Fuchs einer Krähe zu, die mit aufgeplustertem Gefieder griesgrämig in einer Esche saß.
„Anderes Wetter?“ antwortete die Krähe höhnisch. „Guck doch den Himmel an, er ist so grau wie ein alter Sack, und du könntest längst wissen, was das zu bedeuten hat, sollte man meinen.“
„Hinge einem nur der Magen nicht o schief“, seufzte der Fuchs. „Aber die Kost wird jeden Tag schmaler, und wenn es damit so weitergeht, könnte man demnächst als Hungerkünstler auf die Märkte ziehen. Ich habe ja eine gute Nase für alles, was sich fressen läßt, und rieche einen Hasen, wer weiß wie weit. Aber was hilft mir das, nun Feld und Wald wie ausgestorben sind? Hätte ich nur ein Paar Augen wie die deinen mitbekommen! Ich habe dich schon so oft darum beneidet. Dazu verfügst du über ein Paar Flügel, die einen Falken beschämen können, und bis längst am Platze, wenn unsereiner ein gefallenes Stück nur erst von weitem riecht! Wie wäre es da, Gevatterin, wenn wir bei uns zusammentäten. Da wäre für uns beide gesorgt!“
Verwundert hatte die Krähe zugehört.
Wie? War es mit dem alten Räuber so weit gekommen, und er bot ihr seine Freundschaft an? Hatte er vielleicht vergessen, dass er im letzten Sommer drei ihrer Jungen erwürgt hatte, als sie, nur erst halb flügge, das Nest vor Ungeduld zu früh verlassen hatten und der Fuchs zufällig des Wegs gekommen war?
„Wir machen Halbpart, meine Gute“, setzte der Fuchs hinzu. „Du spürst die Beute auf und brauchst mir dann nur einen Wink zu geben. Du weißt, mein Zahn ist scharf, und du sollst nicht zu klagen haben!“
„Wir können es ja mal miteinander versuchen“, antwortete die Krähe arglistig. „Aber würdest du zum Beispiel auch mit einem jungen Rehbock fertig werden, wenn er, waidwund geschossen, nicht mehr auf seinen Läufen stände? Ich sah nämlich vorhin drüben, gar nicht so weit von hier, da, wo der Weg nach Hamburg geht, einen liegen und bin gewiß, er macht´s nicht mehr langem mehr! Es wäre ein gutes Fressen für uns beide, wenn du es wagtest, ihn anzugehen.“
Dem Fuchs lief das Wasser im Maul zusammen. „Dafür laß mich halt nur sorgen!“ rief er voll Ungeduld. „Zeige mir nur, wo er liegt!“
Aber die Krähe schien es nicht so eilig damit zu haben und ließ ihn noch ein wenig zappeln.
„Die Hälfte“, fragte sie, soll mir gehören? Doch welche Hälfte. Ich für mein Teil fresse nun einmal gern die Eingeweide. Da blieben dann für dich doch nur die Keulen und der Rücken?“
Der Fuchs hätte am liebsten einen Freudentanz begonnen. So eine Krähe war doch an Dummheit gar nicht zu übertreffen! Die besten Stücke sollten ihm gehören? Das wäre wirklich brüderlich geteilt, dachte er. Hätte er nur erst gewußt, wo es nach Hamburg? Er kannte sich ausgezeichnet in der ganzen Gegend aus – doch Hamburg lag wohl reichlich weit? War ihm der Name doch noch niemals vorgekommen. Dies Krähenvolk dagegen war heute hier und morgen dort. Jedoch, ihm sollte es gleich sein. Die Krähe flog ihm ja voran, da konnte es ihm nicht fehlen. Es sollte ja nicht einmal weit sein bis zu der Stelle, wo der Bock in der Heide lag.
„Dann wäre das abgemacht?“ rief die Krähe vom Baum herab.
„Hab ich dir nicht mein Wort gegeben?“ antwortete der Fuchs. „Was soll das lange Zögern? Wir werden niemals satt, wenn wir hier sitzenbleiben!“
„Dann komm und halt dich dran!“ schrie ihm die Krähe zu und schwang sich in die graue Winterluft. „Wir haben den Wind gegen uns und weiter als bis zu den nächsten Bäumen ist es ja nun doch.“
Sogleich schnürte der Fuchs hinter ihr drein und lief, als ginge es um sein Leben. Aber die Krähe war ihm doch bald so weit voraus, dass er sie kaum mehr sah.
„Wo bleibst du denn?“ rief sie, als sie zurückgeflogen kam und zu ihm herabstieß, um ihn anzutreiben. „Ja, wenn du auch weiterhin so trödeln willst, können wir uns beide unsere Mühe sparen, sah ich soeben doch den Förster schon unterwegs, um sich den Bock zu holen!“
„Siehst du nicht, wie ich laufe?“ schrie der Fuchs zu ihr hinauf. „Du hast gut reden! Deine Flügel schaffen nun einmal mehr als meine Beine!“
„Ach, Schnickschnack!“ rief die Krähe.
„Ich habe den ganzen Tag noch nichts gefressen!“ entschuldigte sich der Fuchs von neuem. „Da läuft sich´s nicht so leicht, wie du wohl meinst. Zu allem kommt der hohe Schnee! Freue dich, dass du dort oben freie Bahn hast!“
Aber die Krähe war schon wieder ein gutes Stück voraus, und der Fuchs hetzte hinter ihr drein, dass ihm die Zunge aus dem Maule hing.
„Sind wir denn immer noch nicht am Platze?“ rief er der Krähe zu, als diese abermals zu ihm zurückkam.
„Wenn du weiter so zotteln willst, sind wir zum neuen Jahr noch nicht so weit!“ antwortete diese und weidete sich an der atomlosen Mühe, die sich der Fuchs dort unten machte. „Also fix die Beine aufgehoben, alter Freund, und nicht gefackelt!“
Und wieder lief der Fuchs, als wären die Hunde hinter ihm, blieb aber bald von neuem zurück. Abgehetzt und mit fliegenden Flanken sank er zuletzt in den tiefen Schnee. Nein, was zuviel war, war zuviel, so gut er auch immer zu Fuß gewesen war.
„Ach nein, sieh an! Das nenne ich Schritt gehalten!“ verhöhnte ihn die Krähe, die soeben abermals zurückkam, um sich nach ihm umzusehen.
„Ich muß mich erst verschnaufen!“ antwortete der Fuchs.
„Nun meinetwegen!“ rief die Krähe in gut gespieltem Ärger. „Der Bock ist ohnehin für uns verloren! – Ich war soeben schon bei ihm und soll dich von ihm grüßen! Seine Läufe seien schon geheilt, und auf einen wie dich habe er schon seit langen gewartet!“
Jetzt endlich begriff der Fuchs.
Er war betrogen1 Noch dazu von einer Krähe! Dass er so dumm gewesen war, der alten Schwätzerin zu glauben!
Wütend und außer Atem kroch er unter einen halb verschneiten Erlenbusch.
„Na, warte nur!“ knurrte er und blinzelte der Krähe nach, die wieder heimwärts zu ihrem Schlafbaum flog und sich am liebsten vor Freude über ihre gutgelungene Rache in der Luft überschlagen hätte. „Du kommst mir schon noch einmal wieder in den Weg!“
Aber darauf wartete der Fuchs noch heute, und noch immer begrüßen ihn die Krähen im Felde mit höhnischem Gekrächze, wenn sie ihn zu sehen kriegen. Dass sie sich dabei hüten, ihm näher zu kommen, als gerade nötig ist, ist weiter nicht zu verwundern würde der Fuchs ihnen doch am liebsten allesamt den Hals umdrehen!
(Quelle: Vor den Toren, August Bagel Verlag, Düsseldorf, 1952)