Seppel, der Junghase ist eine Erzählung von Svend Fleuron.
Die Junghasen waren kaum einen Monat alt und glichen kleinen Erdklumpen. Von dem Kopfe sah man nur die Seher; es sah aus, als sei auf jeder Seite ein Rauchtopas in den Erdklumpen hineingesteckt worden. Das lange, eigentümliche Hasengesicht mit der tiefen Scharte in der Schnauze fehlte noch gänzlich; man hätte sie ebenso gut für ein paar wohl gebaute Bulldoggwelpen halten können.
Aber mit jedem Tage wuchs es an ihnen: Schnurrhaare, Zähne, Körper, Löffel, die kurzen Vorderläufe, die langen Hinterläufe, das kleine Hasengesicht dazu!
Ihre Umgebung wuchs noch rascher; da konnten sie nicht Schritt halten. – Das Korn auf den Feldern, das Gras auf den Wiesen und in Gräben, Saat und Pflanzen schossen empor. Der Roggen verbarg schon die Kiebitze, der Wind durchwogte ihn in langen Wellen, so schwer und dunkel war er. Die Sommersaat breitete ihren hellen, reinen, jungen Schimmer über die frisch mit der Ringelwalze bearbeiten Felder aus. Schien die Sonne, dann lagen die Äcker in goldgrünem Glanze da. Die Kiebitze brüteten in ihrem sicheren Schoße, der Maulwurf warf eine bröckelige Erdhügel auf, und Seppel, der die Sonne liebte, scharrte sich in ihnen oft sein Tageslager.
Früher hatte Seppel über alle hinwegspringen können; nun musste er darunter wegkriechen oder mitten hindurch, er konnte nicht mehr überall umhersausen, musste vielmehr oft geduldig und in kurzen Sätzen davon hoppeln. Und das verursachte Mühe und Anstrengung; er lernte Pfade und Wegraine schätzen. Die Erde aber, die ihn in ihre fruchtbaren Arne nahm, das Versteck, das ihn allen Blicken entzog, wurde ihm, je weiter das Frühjahr vorschritt, immer lieber; die Tage waren wie ein Traum, die Nächte ein liebliches Abenteuer. Es war eine Lust zu leben, sich als Herrscher zu fühlen, über alles, was da festwurzelnd und an den Ort gebunden war.
Ein gut Teil Schlauheit war Seppel angeboren, außerdem hatte er Schnelligkeit und eine nie versagende Wachsamkeit geerbt; sein Bruder Huppel hatte Scheu, Vorsicht und List mit auf den Weg bekommen, während der robuste Patt höchstens mit einer gewissen Mischung aller dieser Eigenschaften abgespeist worden war. Aber gewisse vorzügliche Gaben hatte die Natur ihnen allen in die Wiege gelegt: Munterkeit, Lebhaftigkeit und einen unvergleichlichen Appetit!
Sie waren sonst nicht viel zusammen, die kleinen Langohren. Von Natur waren sie Einzelgänger und hockten tagsüber jede in seinem Lager und oft weit voneinander getrennt. Nur hin und wieder, meist am späten Abend oder bei erstem Morgengrauen geschah es, dass sie zusammentrafen. Wenn sie sich auf ihren Fahrten den Übermut aus den Beinen gelaufen hatten, setzten sie sich dann manchmal zu dreien in vertrautem Kreise zusammen und unterhielten sich in ihrer Zeichensprache miteinander mit Blume und Löffeln.
Seppels Blume war wie ein Krebsschwanz, zum Auf- und Niederwippen, auf der einen Seite weiß, schwarz auf der anderen, kurz, flach und dick; Patts und Huppels Blume sah nicht anders aus.
Wenn die Lebenslust sie übermannte oder wenn sie vor Eifer oder Zorn bebten, besorgte die Blume die Unterhaltung. Galt es hingegen, Gemütsstimmungen verwickelter Art Ausdruck zu geben, so traten die Löffel in Tätigkeit. Einen Löffel vor und den anderen zurück hieß: Es geht mir gut, ich lasse mir das Essen schmecken. Den einen Löffel hoch, den anderen gesenkt besagte: Ich bin im Zweifel und weiß nicht recht, welcher Weg der richtige ist. Beide Löffel in die Luft gestreckt und ein wenig nach hinten gelegt war der Ausdruck vollkommenster Gleichgültigkeit. Aneinandergelegt, aber halb nach vorn geneigt gab Erstaunen kund oder sagte etwa: Du Idiot! Endlich beide Löffel senkrecht in die Höhe gesteckt wie zwei ragende Hörner bedeutete: Überall lauert Gefahr, sei aufmerksam, hüte dich!
Seppel konnte die Zeichensprache seiner Rasse am besten von den dreien, und er konnte weit mehr Abwechslung hineinbringen als die anderen Jungen. Er war freilich auch beständig unterwegs und fegte die ganze Nacht umher; er sah und hörte vieles und hatte darum immer eine Menge zu erzählen.
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Jetzt war Seppel so groß wie ein Kätzchen, hatte aber noch immer ein wenig von seiner Junghasenwolle hinter den Löffeln sitzen. Wie sah er sonst aus? Grau war seine Grundfarbe – grau wie die entsamten Stengel und die welken Halme des Grases. Über der grauen Grundwolle aber schufen braune, gelbe, schwarze und weiße Deckhaare einen eigentümlich gesprenkelten und doch seltsam gedämpften Farbton. Seine Rückstreifen war von dunkler Erdfarbe, die Seiten aber heller, so wie das frischgepflügte Stoppelfeld. Seine Keulen trugen die Farbe des novemberlichen Grabenrandes, und über Stirn, Nasenbein und Backen wuchsen graubraune Büschel wie welke Tümpelränder und Grenzhecken. Nur die Löffel hätten ihn verraten können, wenn er sie aufrichtete. Ihre Rückseite glänzte wie der silberne Vollmond; aber am Tage drückte er sie fest an sein graue Wams, nur des Nachts bewegten sie sich frei über der klug gewölbten Stirn. Des Mondes Glanz lag auf ihnen; denn nur der Mond sah ihn mit emporgestreckten Löffeln – aber ihre kohlschwarzen Spitzen erinnerten an die dunklen Nächte.
Er war auch nicht mehr so unerfahren, sondern wusste schon zu unterscheiden und legte eine gewisse Urteilsfähigkeit an den Tag. Er konnte jetzt auch flüchtig werden, dass es nur seine Art hatte.
Meist machte er sich des Nachts Bewegung und ließ den weichen, wolligen Pfoten weiten Spielraum. Vom frühen Abend bis zum ersten Morgengrauen lärmte er umher, lauschte und schnupperte sich vorwärts – und bei dem geringsten Laut sofort davonzustürmen und sich beizeiten unsichtbar zu machen. Nacht für Nacht maß er ein Reich ab; die langen Sprungläufe waren eine Messinstrumente – und mit Hilfe dieser Läufe und seiner feinen Sinne legte er Hecke und Graben, Tümpel und Rain in seinem Gedächtnis fest. Er ging gründlich zu Werke und begnügte sich nicht nur damit, den Anfang der Hecke, die Mündung des Grabens zu verzeichnen – nein, jedes Ding musste er in seiner ganzen Ausdehnung kennen; er musste seine Nase an jeden Stein, jeden Busch stecken, musste mit seinen Pfoten jeden Quadratzentimeter Erde betreten haben. Über sein ganze kleines Reich musste er bis in seine Einzelheiten Bescheid wissen. Er machte sich Merkmale für alles das, was ihm von besonderer Bedeutung war: die Lage der menschlichen Wohnungen in Verhältnis zu Grenzscheide und Acker und im Verhältnis zueinander, die Durchfahrten in Hecken, Überführungen über Gräben und Stege, über Bach und Fließ. Und Wege und Pfade der Menschen nicht zu vergessen! Er durchforschte das alles gründlich, maß es aus und verzeichnete es auf seine Weise in seinem Hirn.
Seppel kannte fast das ganze Kirchspiel. Auf einen nächtlichen Fahrten sah und hörte er alles, was am Tage auf den Feldern geschehen war. Hier war Dung gestreut worden, dort hatte man mit Jauche gegossen; hier war die Erde Acker für Acker umgepflügt, dort hatte die Egge ihre Spuren gezogen, war die Trommelwalze niedergegangen. Auch die Feldgeräte der Menschen lernte er kennen. Die Neugierde trieb ihn zu jedem einzelnen hin: zum Pfluge, der in der Furche stak oder im Mondlicht auf der Seite lag und schlief; zur Egge, die während des Schlafes gewöhnlich ihre tausend Beine in das Erdreich gebohrt hatte; zur Walze, die immer in der gleichen Stellung schlief, in der sie ging.
Die Wälle und Gräben waren seine Pfade. Er lief aber weder oben auf ihnen noch unten drin, kaum an ihnen entlang. Er war erfahren genug, um zu wissen, dass in diesen dichten Verstecken Fuchs und Wiesel lauerten. Und trotzdem verstand er es, sie auszunutzen; sie waren ihm sichere Führer auf einen nächtlichen Ausflügen.
In jedem Gehöft wohnte ein Hund, und im Berghof selbst wohnten sogar viele; oftmals setzte er sich des Nachts hin, um dem verschiedenen Gebell der Hunde zu lauschen und dadurch hinter ihr Wesen und ihre Gemütsart zu kommen.
Seppel musste weit umherstreifen in den Nächten; denn er brauchte sehr kräftige und verschiedenartige Nahrung und eine Mannigfaltigkeit an Kräutern, von denen viele die reinsten Heilmittel gegen die Krankheiten waren, die auch zu einen zahlreichen Feinden zählten. Er war sehr wählerisch und fraß nur die allerfeinsten Blattkeime, weshalb auch Gras und Saat sehr bald seinen Zähnen entwuchsen. In höchster Eile nahm er seine Mahlzeit zu sich, jagte in linken, energischen Sprüngen von Äsungsplatz zu Äsungsplatz, fand mit großer Schnelligkeit die Pflanzen, die er am liebsten äste, hatte mit drei, vier Bissen den Mund gefüllt, warf dann die Löffel zurück und witterte mit der Nase in den Wind, während er kaute und mümmelte. Bellte es plötzlich von einem Hofe her oder erklang Rufen und Lärmen, so schoss er im selben Augenblick die langen Löffel in die Luft, die Kiefer hielten inne, er wendete die Seher nach jener Richtung und lauschte. Und er bedurfte nur weniger Sekunden gespannter Aufmerksamkeit, um sich über die Natur der Geräusche klar zu werden, ob sie für ihn ernst werden könnten, ob sie womöglich Gefahren bargen; dann warf er wieder die langen, verräterischen Lauscher an seinen Hals zurück und füllte da Geäse aufs neue. Es galt immer, mit den Sinnen in engster Verbindung aufs neue. Es galt immer, mit den Sinnen in engster Verbindung zur nächsten Umgebung zu stehen.
War es dann gesättigt, so ging er weiter, nach jedem dritten, vierten Sprung gründlich sichernd. Er verharrte auf der Spitze der Hügel, und an Kreuzwegen saß er lange und machte Kegel. Mit starren Sehern und gespitzten Löffeln lauschte er das Land ab und zog die Luft sichernd mit der Nase ein.