Steinregen in Mähren – Johann Peter Hebel

Steinregen in Mähren – eine Erzählung von Johann Peter Hebel.

Sonntag den 22. Mai 1808 sind in Mähren Steine vom Himmel gefallen. Der Kaiser von Österreich ließ durch einen sachkundigen Mann Untersuchung darüber anstellen. Dies ist der Erfund:

Es war ein heiterer Morgen, bis um halb sechs Uhr ein Nebel in die Luft einrückte. Die Leute von Stannern waren auf dem Wege in die Kirche und dachten an nichts. Plötzlich hörten sie drei starke Knalle, daß die Erde unter ihren Füßen zitterte, und der Nebel wurde auf einmal so dicht, daß man nur zwölf Schritte weit zu sehen vermochte. Mehrere schwächere Schläge folgten nach und lauteten wie ein anhaltend Flintenfeuer in der Ferne oder wie das Wirbeln großer Trommeln. Das Rollen und das Pfeifen, das zwischendrein in der Luft gehört wurde, brachte daher einige Leute auf den Gedanken, jetzt komme die Garnison von Telisch mit türkischer Musik. Aber während sie vor Verwunderung und Schrecken einander ansahen, fing in einem Umkreis von ungefähr drei Stunden ein Regen an, gegen welchen kein Mantel oder Maltersack über die Achseln schützt. Eine Menge von Steinen, von der Größe einer welschen Nuß bis zu der Größe eines Kindskopfs, und von der Schwere eines halben Lotes bis zu sechs Pfund, fielen unter beständigem Rollen und Pfeifen aus der Luft, einige senkrecht, andere wie in einem Schwünge. Viele Leute sahen zu, und die Steine, welche sogleich nach dem Fallen aufgehoben wurden, waren warm. Die ersten schlugen nach ihrer Schwere tief in die Erde. Einer davon wurde zwei Fuß tief herausgegraben. Die spätern ließen es beim nächsten bewenden und fielen nur auf die Erde. Jhrer Beschaffenheit nach sind sie inwendig sandartig und grau und von außen mit einer schwarzen, glänzenden Rinde überzogen. Die Zahl derselben kann niemand angeben. Viele mögen in das Fruchtfeld gefallen sein und noch in der Erde verborgen liegen. Diejenigen, welche gefunden und gesammelt worden, betragen an Gewicht 2 1/2 Zentner. Alles dauerte 6 bis 8 Minuten, und nach einigen Stunden verzog sich auch der Nebel, so daß gegen Mittag alles wieder hell und ruhig war, als wenn nichts vorgegangen wäre. Dies ist die Begebenheit. Was es aber mit solchen Steinen, die vom Himmel fallen, für eine Bewandtnis habe, daraus machen die Gelehrten ein Geheimnis, und wenn man sie fragt, so sagen sie, sie wissen es nicht.


(Quelle: Schätzkästlein des Rheinischen Hausfreundes, American Book Company, 1913)