Tiefenstein im Albtal – Erzählung aus Aurelias Sagenkreis, Schwarzwaldsagen und Schwarzwaldgeschichten.
Auf der Taten kühnen Fechter
Winkt hinab voll Bitterkeit
Die Ruine dort, der Zeit
Steinern stilles Hohngelächter.
(Nikolaus Lenau)
Dort, wo das wilde Albtal zu einem lieblichen Wiesengrund sich weitet, lag ehemals auf steilem Hügel die Burg Tiefenstein. Heute sieht man kaum mehr die Trümmer eines Schlosses, darin in alten Zeiten eines der mächtigsten Herrengeschlechter des oberen Landes gehaust hat. Die Geschichte weiß wenig von den Tiefensteinern zu erzählen, fast nur der schmähliche Untergang des stolzen Geschlechtes ist bekannt. Und die Geschichte dieses Untergangs bewahrheitet eben, wie tausend andere, das alte Sprichwort, daß die großen Fische stets die kleinen fressen.
I.
„Und bist du nicht willig, so brauch` ich Gewalt.“
(Goethe)
Um das zwölfhundertdreißigste Jahr saß auf dem Tiefenstein ein Freiherr Hugo mit zwei Söhnen und einem lieblichen Töchterlein. Wohl war der alte Ritte ein friedliebender Mann, der gar zu gerne der Jagd und dem Fischfang oblag, und sich so wenig, wie immer möglich, um der Welt schlimme Händel bekümmerte. Aber er hatte an seiner Grenze einen unruhigen, große Pläne schmiedenden, stets fehde- und beutelustigen Nachbar sitzen. Das war der Graf von Habsburg. Langsam und sicher hatte sich dieses Geschlecht von der alten Stammburg zu Altenburg aus verbreitet und seine Macht und Gerechtsame weit über die Grenzen des oberrheinischens Landes ausgedehnt. Fast mitten in der Habsburger Gebiet lab aber das Schloß Tiefenstein mit den weit sich ausdehnenden Herrschaftsrechten seiner Bewohner. Darum suchtes es die schlauen Grafen auch an sich zu bringen – und wählten dazu den bequemsten, freilich nicht ehrlichsten Weg: Sie kündigten unter nichtigen Gründen dem alten Hugo den Krieg an und führten ihn mit dem hartnäckigen Gegner so lange, bis der letzte Tiefensteiner unter dem Streitbeil der habsburgischen Knechte fiel.
Dort wo sich die Alb durch schroffe Felsen, gähe, waldumgürtete Halden hervorgedrängt, wo von den Seiten her aus tief eingefressenen Schluchten die wilden Waldbäche dem Flusse zuweilen, streifte durch Wald, Felsen und Wildbachschlucht der junge Freiherr Ulrich von Tiefenstein. Endlich blieb er bei einem jähen Hundegebell stehen und zog sich vorsichtig hinter einen riesigen Felsblock zurück, von wo er den schmalen Pfad überschauen konnte. „Er kommt, er kommt, der kühne Jäger,“ murmelte er zwischen den Zähnen, indes er einen Pfeil in die Armbrust legte und die Waffe schußfertig bereit machte. „Heute hat er in den Wäldern meiner Ahnen den Rehbock gejagt, gestern hetzte er meinen Vater, meinen Bruder, halb zu Tode, gleich als wären sie Tiere des Waldes, aber bei Gott! das war seine letzte Jagd auf dieser Welt!“ Jetzt erschien der Erwartete. Eine hohe, männlich schöne Gestalt, auf dem freien Antlitz den Ausdruck des Heldenmutes und eisernen Willenskraft. Schon legte Ritter Ulrich den tödlichen Bogen auf den stolz daher Schreitenden an. Da zog ihm eine fremde Hand den Arm nieder. „Willst du zum Meuchelwörder werden?“ fragte eine sanfte Mädchenstimme. „O bedenke Ulrich, wenn du den Grafen tötest, so ist auch unsere Liebe aus und tot für immer.“
Der Tiefensteiner sah sich überrascht um: „Wie kommst du hierher, Mechtildis?“ fragte er halb zürnend das Mädchen.
„Denke, ich sei vom Himmel gesandt, dein gutes Gewissen zu retten,“ entgegnete sie. – Indessen ging der Graf von Habsburg am Felsen vorbei.
II.
Seit jenem Tage waren viele Tage verflossen. Ulrich von Tiefenstein hatte Mechtildis als sein liebes Weib in die väterliche Burg geführt und Glück und Freude herrschten wieder einige Zeit in den Hallen des Schlosses. Aber der ländergierige Gegner ruhte nicht und kündigte, wie ehemals dem Vater, jetzt auch dem jungen Freiherrn den Krieg an.
Durch das Tal der Alb kamen die habsburgischen Kriegsknechte in ungeheuren Scharen, alles vor sich her verwüstend und verbrennend, nun seit zehn Jahren zum viertenmal vor die Burg gezogen, an ihrer Spitze Graf Rudolf, der später ein großer Kaiser geworden ist. Aber die Tiefensteiner wehrten sich mannlich, und manch` einen der kühnen Belagerer erlegten die im Schloß durch wohlgezielten Pfeilschuß. Herr Ulrich stand bekümmert oben auf der Warte des hohen Turmes und blickte in den wilden, tobenden Schwarm der Feinde und in die greuliche Zerstörung hinaus, welche dieselben in seinem Gute angerichtet. Da kam Mechtildis ebenfalls auf die Warte, und wie sie das bekümmerte Antlitz ihres Gemahls ersah, wollte sie ihn mit liebenden Worten trösten. Aber der Ritter fuhr sie ziemlich rauh an: „Du allein bist schuld an unserem jetzigen Elend! Warum hindertest du mich, wie ich eins vor vielen Jahren den Mann, der uns verdirbt, vernichten wollte!“
„Es ist besser, unsere zeitlichen Güter verderben, als daß du durch Meuchelmord deine ewige Seligkeit verloren hättest“, entgegnete die fromme Frau. – Als bald darauf Hunger und große Not im Schlosse entstand, starb eines Morgens des Ritters Weib und er stand starr vor Schmerz und Schrecken vor der Entschlafenen. Alles, was er schon verloren, dünkte ihm nichts gegen diesen größten Verlust eines liebenden Weibes.
Schon gedachte er notgedrungen die Burg dem Feinde zu übergeben, als dieser, das Schloß für unbezwingich haltend, mitsamt seinen wilden Streitern abzog, doch drohend, daß er bald wieder kommen werde.
Der Freiherr von Tiefenstein fluchte ihm in ohnmächtigem Groll.
III.
Ich ruf` die Jugendzeit zurück;
Erinnerung ist mein größtes Glück.
Der Tyroler und sein Kind.
Wieder waren Jahre vergangen. Herr Ulrich war ein alter Mann geworden und noch waren die letzten Kämpfe mit den Habsburgern nicht ausgekämpft. Ein starker Sohn war ihm erwachsen, der geschworen, des Hauses Schmach und Ubill an dem stolzen Feinde zu rächen. Aber auch seine Kraft reichte nicht hin, den Übermächtigen zu bezwingen, und im wilden Sturme nahm er die alte Feste, das Tiefensteiner Stammschloß. Der greise Ulrich floh in höchster Not, alt, schwach und verlassen. Im Gebirge und Wald, weit hinten am tosenden Urbach, wo einst im wüsten Felsenrevier der Bildsteinfluh einer seiner Ahnen einen schmucklosen Turm erbaut, war nun des Freiherrn letzter Zufluchtsort. Von dort aus seh er in dunkler Nacht die Brandröte von seiner alten Burg, die der Habsburger zerstörte. Das war aber nicht das Schlimmste, was in jener Nacht vorging. Beim wilden Mauerkampf zu Tiefenstein fiel der Sohn des alten Ritters. Um Mitternacht brachten dem Alten einige fliehende Knechte die Schreckensnachricht. Der gebeugte Man fiel weinend auf die Knie und betete für die Seele seines toten Sohnes. –
Später verkaufte er, was ihm an Gerechtsamen noch geblieben und verließ den einsamen Turm im Walde nicht mehr. Nur in nächster Nähe streifte er durch das wüste Revier. Oft saß er tagelang auf einem Felsblock am schäumenden Urbach und blickte gedankenvoll in das rasche Wellengetrieb. Da konnte man oft sehen, wie plötzlich ein wilder Schmerz über sein gefurchtes Gesicht zuckte; oft auch verklärte ein mildes Lächeln des Greisen Züge. Das war eben, wenn alte Erinnerungen durch seine Seele zogen. Wenn er an das erlittene Unrecht dachte, fuhr ein wilder Zorn durch ihn, doch machte ihn bald wieder die Erinnerung an sein liebendes Weib und die Hoffnung einer Wiedervereinigung mit ihr in der ewigen Seligkeit glücklich und fröhlich.