Wie der Zundelfrieder im Pferdehandel Unterricht gibt

Wie der Zundelfrieder im Pferdehandel Unterricht gibt ist eine Erzählung von Johann Peter Hebel.

Solange der Krieg dauerte und bei den starken Lieferungen auch noch etwas zu machen war, gefiel es dem Zundelfrieder beim Verpflegungswesen gar wohl, und er brachte es bald soweit, dass ihn seine Kollegen zuletzt für ihren Meister erkannten, und wenn einer in Verlegenheit war, so hieß es gleich: „Geh zum Frieder, der versteht den Rummel.“ Kam auch oft nicht viel in die Magazine, so hatte doch der Frieder desto mehr auf dem Papier. „Man muß“, pflegte er zu sagen, „den Leuten doch nicht die Haut gar abziehen. Es ist genug, wenn sie nur etws liefern. Man kann´s ja um eine kleine Erkenntlichkeit schon machen, dass man meint, sie hätten mehr geliefert.“ Auf diese Art hatte der Frieder immer alles vollauf und lebte alle Tage in Floribus. Hatte er viel, so brauchte er viel und ließ es auch andere mitgenießen. Aber als bei wiederkehrendem Frieden des Liefern ein Ende nahm, da wollte es ihm nicht mehr behagen, und bald war die im Krieg erworbene Summe durchgebracht. Was sollst du dich so plagen, dachte er bei sich selbst, hast du doch Kopf genug, dich in der Welt auf eine leichtere Art durchzubringen! Ohne sich länger zu bedenken, suchte und erhielt er seinen ehrlichen Abschied und ein Zeugnis seines Wohlverhaltens. Und nun ging er fort in die Weite Welt, und es war ihm wohl, dass er sein freies Leben wieder führen konnte. Eines Tages kam er abends müde in der Kronen zu Thalhausen an mit dem Vorsatz, wie er auch schon ehemals getan hat, sich beritten zu machen und dem Wirt ein gutes Pferd abzuhandeln.

„Guten Abend“, sagte er beim Eintreten in die Wirtssstube, „ich werde hier übernachten und zu Nacht essen.“

„Das kann schon sein“, erwiderte die Wirtin, „was befehlen Sie zu essen?“

„Ich esse gern viel und gut“, antwortete der Frieder, „vorher aber bringt mir einen Schoppen Elfer.“

Still und finster saß er am Tische, dass der Wirt, der sonst nicht eher Ruhe hatte, als bis er wußte, wer und woher jeder ei ihm einkehrende Fremde sei, im Anfang das Herz nicht hatte, die gewöhnlichen Fragen an ihn zu tun.

Endlich wagte er die Frage: „Der Herr ist ohne Zweifel ein Herr Vorgesetzter vom Zollwesen oder gar der oberste davon?“ Dieses schloß er nicht sowohl aus dem ehrlichen Gesicht als vielmehr aus dem Schnauzbart und aus dem Säbel, den er trug. Aber zum größten Verdruß für den neugierigen Wirt sagte der Frieder weiter nichts auf seine Fragen als: „Herr Wirt, kann ich bald essen?“

Der Wirt klagt seine Not der Frau in der Küche, und diese tröstet ihn: „Narr, er hat eben Hunger, deswegen mag er nicht reden; er wird schon gesprächiger werden, wenn er gegessen hat.“

Das Essen kommt auf den Tisch, und der Fremde ißt mit großem Appetit. Mit dem Käplein unterm Arm und mit fragendem Blicke steht der Wirt unten am Tische und meint, der Fremde werde ihm doch einmal Bescheid geben, wer er wäre; aber als dieser keinen Laut von sich hören läßt, so macht der Wirt einen neuen Versuch, endlich etwas von ihm herauszubringen.

„Ohne Zweifel“, fängt er wieder an, „werden Sie müde sein, denn dergleichen vornehme Herren gehen selten zu Fuß, sondern fahren lieber in der Chaise oder reiten. Sie würden wohl auch fahren oder reiten können, wenn Sie wollten?“

Wer abermals nichts darauf sagte als: „Herr Wirt, noch einen Schoppen“ – das war der Frieder. Je geheimer dieser tat, desto gespannter wurde die Neugierde des Wirts, und auch die Wirtin, so wenig neugierig sonst die Weiber sind, drang sehr in ihren Mann, doch alles zu versuchen, dem fremden Herrn die Zunge zu lupfen. Aber alle Versuche waren vergeblich. Endlich macht sich die Wirtin an den Herrn. Mein Mann ist nicht pfiffig genug, dachte sie, und wenn ich nicht wäre, so würde den Tropf nicht weit kommen. Wirklich war sie auch viel gescheiter als ihr Mann, aber für den Zundelfrieder doch nicht gescheit genug. Nachdem sie ihre Geschäfte besorgt hatte, setzte sie sich unten an den Tisch und erzählte dem Fremden, wieviel sie zu schaffen und zu besorgen hätte, dass das ganze Hauswesen auf ihr läge und ihr Mann fast eine Null wäre. Endlich kommt sie auf den Hauptpunkt und denkt, es könnte ihr nicht fehlen, das zu erfahren, was sie gerne wissen mochte.

„Hat Ihnen das Essen geschmeckt?“ fuhr sie fort. „Sie werden zu Hause eine bessere Küche haben? Hätte ich´s gewußt, dass wir heute einen so vornehmen Herrn würden zu bewirten haben, so hätte ich mich besser vorgesehen. Haben Sie, um Vergebung, auch eine Frau und Kinder? Oh, wie werden diese jetzt mit ihren Gedanken Sie begleiten und sich freuen, wenn Sie wieder heimkommen! Sind Sie schon lange von Hause weg? Ohne Zweifel haben Sie wichtige Geschäfte zu besorgen?“

Umsonst, Frieder blieb stumm. Endlich gähnte er und sagte: „Frau Wirtin, ist das Bett für mich gerüstet?“ Nun sah sie wohl ein, dass nichts herauszubringen wäre, und ging verdrießlich vom Tische weg, um zu sehen, ob das Bett und alles in die Ordnung wäre, und traurig saß der Wirt in einer Ecke, weil er mit ungestillter Neugierde zu Bett gehen mußte.

Auf einmal geht dem Fremden das Maul auf. „Herr Wirt“, fragte er, „sind Frau und Gesinde im Bett? Wenn alle weg sind, so will ich ihm wohl sagen, wer ich bin, aber er muß mir vorher schwören, es niemand weiterzusagen.“ Wer war froher als der Wirt! Gerne schwor er und versprach das strengste Stillschweigen.

„Ich bin ein Pferdedieb“, sagte nun der Frieder.

„Potz, Element, Sie ein Pferdedieb“, erwiderte der Wirt. „Das ist ein gefährliches Handwerk, denn bei uns werden dergleichen Leute gehenkt.“ – „Herr Wirt“, fuhr Frieder fort, „warum habt Ihr denn vor zwei ahren den Juden nicht an Euern Galgen gehenkt und seid umsonst einen halben Tag im Regen gestanden, der Vogt mit der ganzen Gemeinde und der Schulmeister mit der gesamten Schulugend?“

„Es war eben kein Jude zum Henken da“, antwortete der Wirt.

„Das ist´s eben, was ich sagen wollte“, entgegnete der Frieder. „Säuft nicht Euer Vogt mit dem Bürgermeisster alle Tage einen Rausch auf Unkosten der Gemeinde? Warum werden sie nicht gestraft? Darum, weil sie ihre Kunst verstehen. Tausend Diebe laufen in der Welt herum, und manche davon stehen in Ehre und Ansehen. Warum henkt man sie nicht? Darum, weil sie nicht so dumm sind, sich ertappen zu lassen. Wer das Diebshandwerk nicht versteht, der gebe sich nicht damit ab, und wenn einer gehenkt wird, so geschieht´s ihm recht. Warum griff er seine Sache so dumm an? Im Anfang ging es mir auch etwas hinderlich, und beinahe wäre ich ins Zuchthaus gekommen, wenn ich nicht aus meinem Gefängnis mich befreit hätte.“

„Warum“, fragte der Wirt, „hat man Sie damals eingesperrt?“

„Ich habe“, antwortete der Frieder, „im kalten Winter 1788 Schnee gedörrt und ihm im Sommer darauf als Salz verkauft. Ich trieb die Sache zu plump und wurde beim sauren Bier erwischt und in den Turm geschmissen.“

Das ist etwas für mich! dachte der Wirt bei sich. Er war Salzstadler, umd kaum hatte er etws vom Schneedörren gehört, so stieg bei ihm der Gedanke auf, das Ding zu probieren, doch nahm er sich´s vor, um nicht so leicht entdeckt zu werden, den gedörrten Schnee zur Hälfte mit Salz zu vermischen.

„Ich meine aber“, sagte der Wirt zum Frieder, „ein solcher Salzhandel wäre einträglicher und leichter als ein Handel mit Pferden.“

„Das meint Er nur so, Herr Wirt, aber es ist nicht so“, sprach der schlaue Gesell, „denn ehrlich kosstet das Schneedörren doch viel Holz, welches beim freien Pferdehandel gar nicht nötig ist; zweitens geht´s gar zu langsam beim Salzhandel und nur pfundweise; aber wenn ich ein gutes Pferd erbeute, so habe ich auf einmal mehr Profit, als wenn ich einige 1000 Pfund Salz an den Mann bringe; drittens versuchen gar viele Mäuler das verfälschte Salz, und so kann man auch leichter verraten werden als beim Pferdehandel, wenn man nur diesen gut versteht, und ich kann mich rühmen, dass mich keiner darin übertrifft. Habe ich nicht schon einen Reiter aus Spaß das Pferd unter dem Hintern wegpraktiziert, dass er nach Hause laufen mußte! Doch hat er das ihm genommene Pferd zu seiner Freude an seiner Haustüre angebunden gefunden. Wenn ich einen die Kunstgriffe lehre, die man dabei anwenden muß, so will ich ihm dafür garantieren, dass er nie erwischt werden soll.“

„Dürfte man“, sagte der Wirt, „diese Kunstgriffe nicht auch wissen? Man trägt doch nicht schwer daran, wenn man sie auch nicht zu brauchen im Sinne hat.“

„Diese will ich ihm sagen“, antwortete der Frieder, „Aber er weiß, umsonst ist der Tod, und ich glaube doch, dass es nicht zuviel wäre, wenn er mir meine heutige Zeche nachließe und noch drei Louisd´ors für den Unterricht bezahlte. Ich verlange das Geld erst alsdann, wenn ich ihm die Probe abgelegt habe, dass ich die Kunst aus dem Fundament verstehe.“

„Die Zeche wollte ich wohl daran wenden“, entgegnete der Wirt, „aber noch drei Louisd´ors dazu, das ist doch zuviel, und ich möchte doch für mein Leben Gern nur aus Spaß das ging lernen.“

„Höre Er, Herr Wirt“, fuhr der Frieder fort, „ich will es bei ihm nicht so genau nehmen. Ich sehe, dass er ein verschmitzter, durchtriebener Kamerad ist, mit welchem ich mit der Zeit Kippes machen könnte, darum nehme ich keinen nstand, ihn unter dem Beding in meine Kunst einzuweihen, mir den Profit vom ersten Pferd, das wir miteinander stehlen, allein zu überlassen und mir dieses durch einen deutschen Handschlag zu versprechen.“

„Hier haben Sie meine Hand“, sprach der Wirt, und nun fing der Zundelfrieder mit seinem Unterricht folgendermaßen an: „Wenn man ein Pferd nehmen will, so muß man vor allen Dingen Suchen, mit guter Manier in das Haus zu kommen. Ist man im Hause, so ist´s leicht, in den Hof zu kommen und von da in den Stall. Man wählt dazu die Zeit, wo die Leute im ersten Schlafe liegen, und braucht ja kein Licht dabei.“

„Aber“, unterbricht ihn der Wirt, „wie kann man denn ohne Licht den Stall finden? Und wenn man ihn auch findet, so könnte man leicht eine Schindmähre statt des guten Pferdes erwischen.“

Zundelfrieder löschte nun augenblicklich das Licht aus und sagte: „Das will ich Ihm zeigen. Folge Er mir in größter Stille nach, hinaus in den Hof!“

Und so ging der Schüler seinem Meister nach.

„Hier ist der Pferdestall“, sagte der Frieder. „Wäre er verschlossen, so hätte ich wohl einen Dietrich bei mir, womit ich aufschließen könnte.“

Sie gehen in den Stall, und der Frieder betastet ein Pferd nach dem anden. Auf einmal rief er: „Herr Wirt, dieses ist das beste unter allen seinen Pferden.“

„Es ist so“, antwortete der Wirt, „aber um Himmels willen, wie haben Sie das in der Finsternis wissen können?“

„Das ist leicht zu erfahren“, sprach der Lehrer. „Ob ein Pferd viel oder wenig Luder auf dem Leibe, ob es gut geschenkelt oder gewachsen ist, kann man zur Not durch das Betasten erkennen, aber ein sicheres Kennzeichen eines gutes Pferdes ist, wenn es sein Futter rein auffrißt. Deswegen muß man die Raufe und den Futtertrog visitieren. Sind diese leer, so vergreift man sich selten, wenn man es auswählt. Hier ist also das Pferd, das genommen werden soll. Nun merke er sich´s, Herr Wirt, wo Ordnung in einem Stalle ist, da hängt gewöhnlich der Zaum an der Wand hinterm Pferd, wie ich´s hier finde. Zur Fürsorge aber muß man immer einen Zaum mit sich führen. Jetzt kommt alles darauf an, das Pferd ohne Geräusch aus dem Hof zu bringen. Vor allen Dingen muß man das Hoftor in der tille öffnen, wich ich´s jetzt auch hier tun will. „

Als Zundelfrieder vom Hoftor zurückkam, das nun offenstand, sprach er: „Hier habe ich Lumpen im Sacke, diese werden nun dem Tier um die Hufeisen gewickelt, damit man dessen Tritte höre.

Nun schwang sich Zundelfrieder auf das Pferd und ritt den Hof auf und ab, ohne dass man das Traben des Pferdes hören konnte.

„Herr Wirt“, sagte er, als er ganz nahe zu ihm hinritt, „wie gefällt ihm das Ding, habe ich das bedungene Lehrgeld verdient?“

Der Wirt lachte herzlich über ie Gewandtheit seines Lehrmeisters, der für alles Rat wußte.

„Ich bereue nicht, was ich versprochen habe“, sagte er.

„Auf diese Art kann man einem sein Pferd ganz nahe an seinem Fenster vorbeireiten, ohne dass er etws merkt.“

Zundelfrieder ritt heriauf noch einigemal im Hofe hin und her, auch einmal zum Hoftor hinaus und kam wieder, und der Kronenwirt lachte darüber, dass ihm der Bauch wehe tat.

Endlich ritt der Reiter abermals zum Hoftor hinaus, aber er kam nicht wieder, und der Wirt lachte nicht mehr, desto mehr lachte der Zundelfrieder, dass er auf eine ehrliche Art zu einem Pferd gekommen war, „denn“, sagte er zu sich selbst, „hat er mir nicht das erste Pferd, das wir miteinander nehmen würend, allein zu überlassen versprochen? Am schlimmsten war der Kronenwirt daran! Doch trstete er sich bei seinem Verlust mit dem vorhabenden Salzhandel! Seiner Frau hat er es nicht entdeckt, wer der fremde Herr war und wie er bei ihm in die Schule gegangen und ein teures Schulgeld bezahlt hat; aber sooft er an dem Thalhauser Galgen vorüberging, dachte er an seinen teuren Lehrer.

(Quelle: Kalendergeschichten, Harenberg Kommunikation, 1984)