Patria – Kapitel 1

Patria – Kapitel 1

„Spielst du noch immer Gitarre?“
„Schlägst du noch immer die Trommel?“
„Das tu´ ich. Die Trommel müssen sie hören. Die Trommel erobert die Welt. Aber mit deiner Gitarre kannst du die Fliegen zum Gähnen bringen.“
Frau Curran stand in der Türspalte und horchte. Sie lächelte halb lustig und halb traurig zu dem, was da drinnen die jungen Hausfreunde Thomas und Robert im kurzen Studentenfräcklein des Trinity College wieder einmal um ihr stilles Töchterchen herum lärmten und stritten.
„Tom, Tom, ich höre viel lieber Trommel“, meldete sich jetzt eine klare, leise Mädchenstimme.
„Natürlich, du mußt dich beizeiten an die Musik deines Cäsar gewöhnen, Frau Sara Emmet, Vizekönigin von Seiner Majestät irländischer Insel und Krone!“
„Moore“, herrschte die andere tiefere Knabenstimme den Spötter so laut und herrisch an, als geböte er bereits mit Reif und Zepter, „Moore, gib acht, wie du hänselst!“
Aber man hörte Thomas Moore lachen, und dieses Lachen plätscherte so munter und silberig durch den kleinen Saal, dass auch der junge Cäsar ruhig zu werden schien.
„Was bist du für ein Spaßvogel“, sagte er freundlicher. „Wir reden da von den schwarzen Wunden unseres Vaterlandes, wir reden von Lord Fitzgerald, der an vierzehn Säbelhieben im Kerker verblutete, bevor ihn der englische Henker am Pfahl aufziehen konnte – o Edward, herrlicher Edward!“
Schwärmerisch und mit einer Stimme voll Inbrunst flog das Wort durch die Stube. Wie ein großer Jammer fällt es sie ganz und machte sie totenstill und drängte sich dann, als wäre zu wenig Raum für alles, was in ihm an Marter und Heldenkränzen lag, zur Türe hinaus, wo immer noch die Mutter jenes klaren Mädchens stand und horchte. Sie hatte zu den Jünglingen eintreten und sagen wollen: „Spielt ihr schon wieder mit Pulver und Eisen? Singt doch liebe eine alte irische Ballade! Tom, gib eine aus deiner Brust, die ja wie eine Harfe nur singen und klingen kann! Da ist nicht gefährlich und tut doch auch wohl.“ – Aber jetzt kam das große Wort zu ihr hinaus und grüßte sie mit dem Gesicht jenes Helden, der unlängst Irland aus unleidlicher englischer Haft hatte befreien wollen. Aber mitten im Erlöserwerk, da er seine kurze Nachtruhe genoß, ward er von fünf Schergen überfallen. Nur mit dem Dolch neben dem Bett konnte er sich gegen sie verteidigen. Aber wie tat er das So gut und so furchtbar, dass die Angreifer endlich ihre Pistolen in seine Arme und Achseln schossen, um ihn bändigen und fesseln zu können. Und dieser Edward war nichts anderes als Irland selbst. Da lag es von unzähligen Peinigern umstanden, beleidigt, verspien und gemartert, und da es sich in der Verzweiflung erhob und zur Waffe griff, ward es lahm geschossen, ins Gefängnis geworfen und stechte dem elenden Knechtetod entgegen.
Frau Curran hatte nicht den Mut, gegen diese immer noch schwere und feierliche Erinnerung mit einem weiß Gott wie hübschen Liede anzukämpfen. Von Kind auf war ihr ja nie etwas anderes zu Gehör gekommen, als dass die irischen Männer ewig fechten und dulden, und dass die irischen Frauen sie zum Auszug tapfer ausrüsten und bei der Flucht kühn und schlau zu vestecken wissen. Pro Patria! – Keine rechte Irländerin, die dieses Prachtwort nicht mit prächtigen roten und grünen Schleifen in die Gürtel und Schärpen und Wämser der Mannen zu sticken vermochte!
Ihr Gemahl war der bekannte, schlagfertige irische Advokat Dr. Curran. Aber wie der junge Robert Emmet da drinnen im Saal oft mit seiner scharfen, hellen, spöttischen Lippe meine, mehr Jurist als Patriot, mehr Fachmann als Vaterlandsmann! – Vor ihm durften diese Studenten keinen Ton von Kampf hören lassen. Hier hatte Toms Gitarre das Wort, Emmet Trommel mußte schweigen. Aber Lady Curran stand auf seiten der Trommel, obwohl sie vor den dumpfen Schläger immer ein weibliches Grauen spürte. Der wunderbar herrschende Jüngling da drinnen hatte auch sie mit seinem strengen, heldischen Zauber gewonnen wie alle seine Kameraden. Aber nicht mit dem scharfen, unbeugsamen Willen allein, der aus seinen eisblauen Augen blitzte, und nicht mit dem so gewaltigen, jungen, frischen Wort allein, das aus seinem Munde wie aus einem Feuerkrater lohte, sondern am allermeisten damit hatte er ihr Herz bezwungen, weil er und Sara sich so dauerhaft seit den Kleinkinderschuhen liebten, rein und licht, wie zwei ganz nahe Sterne am Himmel, zwischen denen es kein Wölklein gibt, ja, die gar niemand zwischen sich durchlassen als das gewaltige, herrliche Himmelblau, beider Luft und Heim. Zwischen Roby ud Sara gab es wahrhaftig nichts, was so groß wie ihre Liebe war, außer eins: die Heimat. Und diese Heimat konnte sich keines von ihnen mehr denken ohne das andere, sein Gespan! Mehr! Roby sah in der schüchternen und doch so festen und klaräugigen Geliebten sein Irland, wie es vor der Gewalt still wird, sich duckt und verkriecht und doch nicht einen Augenblick aufhört, die großen wassergrauen Irlandsaugen offen zu halten und seinen Quäler damit mächtig anzuklagen und ihm zu sagen: Ich sterbe doch nicht! – Und noch viel inniger sah das Mädchen in dem reichen, vornehmen und schönen Burschen vor sich die Heimat, aber wie in einer sonnigen Vergoldung. Nicht demütig und gar nicht am Boden, sondern in seiner aufstehenden Größe, zersprengte Ketten zu Füßen, siegreich, herrschend, eine Nation für sch, Stirne gegen Stirne die Schwester von England und Schottland – Oder sie sah in dem lieben Jüngling die Heimat wie eine unsterbliche, heilige Märtyrin mit einer Dornenkrone aus purem Gold über die Meere hinausleuchten. Und das alte Europa verneigt sich beschämt, und das junge Amerika grüßt ehrerbietig, aber droben im Himmel sagen die purpurnen Heiligen: Sehr ihr da unten unsere glorreiche Schwester? – Und dieses irische Bild war fast schöner als das andere.
„Wenn Emmet Glück hat, ja, dann freilich -“ sagte Frau Curran einmal, ohne den Satz zu beenden.
„Mütterchen, das ehlt nicht“, trötete Sara und gab ihr einen Kuß auf die Lippe, als wäre das ein Siegel der Bestätigung.
„Aber wenn es ihn auf gefährliche Wege reitzt, wo er elend wird, wie alle unsere stürmischen Heilande, – Sara, wenn er ins Beil läuft?“
„Mutter, Mutter!“ beschwor das Jüngferchen, „ich gehöre immer zu ihm.“ – Und jetzt küßte sie die zitternden Lippen der früh-alten Frau zum zweitenmal. Aber diese zweite Kuß brannte wie Feuer. Da war mehr als zärtlich. Frau Curran vergaß diesen Kuß nie. Und von da an war sie unruhig und unsicher in ihrem Verhalten gegen die Jungen, einmal hingerissen von Emmets gewalttätigem, heiligem Zorn, einal von Besorgnissen ganz verdüstert und zerquält. Dann wieder bedrängt von einen oder vom andern, so dass sie sich am liebsten in einem uralten Skaldenang des liebenswürdigen Tom für ein Stündchen vergaß.
So schwankte die gute Frau jett weder und wollte ins Zimmer springen und Emmet die Hand drücken, weil er so schön vom Vaterland sprach, aber auch Tom um ein Lied bitten, damit das gefährliche Gespräch aufhöre, und blieb am Ende doch wieder in ihrer hagern irischen Frauenstatur und in ihrer mächtigen Unschlüssigkeit wie gebannt an der Schwelle kleben.
Horch, das sind Schritte durch den Gartenkies, – nein, es ist gottlob nur der Gärtner! – Der Gemahl führt ja zur Stunde in Werford den schönen, mutigen Prozess für die beraubten Waisen von Castle Niht, – er kann es nicht sein.
Drinnen hörte man nun den kleinen Dichter Thomas Moore sagen: „Roby, wenn du so redest, siehst du aus wie ein Erzengel. Aber du glaubst ja nichts. Für dich gibt es keinen Himmel. Wo soll da der Erzengel hin?“
„Irland ist sein Himmel! Aber ich hätte es lieber gehört, wenn du mich mit einem Adler statt mit einem geflügelten Geschöpf deines schwarzes Glaubens verglichen hättest“, klang es stolz zurück.
„Doch, doch, Robert“, ließ sich das Stimmchen Saras wieder vernehmen, „auch du sollst glauben. Nicht schwarz oder weiß – oder wie du es färbst! Einfach wie wir Christen glauben, wir zwei protestantisch, Tom katholisch, jeder ein altes Teil Kindesglauben. Aber du glaubst nichts mehr davon. Irland und Unglaube ist schlimmer als Irland und die Engländer!“
„Potztausend, bist du ein großes Kirchenlicht!“ spaßte Roby.
„Nie ist Irland groß gewesen“, sprach Sara eifrig fort, „als durch seinen Glauben. Wenn es nicht mehr glaubt, so ist es nicht Irland mehr.“
„Liebes, liebes Kind“, flüsterte die Frau an der Tür mit erglänzenden Augen.
„Du prächtiges Predigerfräulein“, lachte Robert gezwungen; „ich glaube, ich glaube viel! Ich glaube an die Freiheit unseres Volkes, ich glaube an seine helle Zukunft, ich glaube an den Untergang aller seiner eisgrauen Feinde, ich glaube und glaube immer – o glauben sie etwa nichts da drüben in Frankreich? Wie hätten sie ohne Glauben sich vom Schutt so vieler Sklavenjahrhunderte freimachen können, diese göttlichen Franzosen der Revolution! – Und weißt du, ich glaube auch stramm an dich, mein Schatz!“
„Bei Gott, du glaubst viel“, spottete Tom gemütlich, „das muß ich sagen. Du glaubst an die sehr schneidige Guillotine, nicht wahr? und an brillantes Köpfen von sieben bis sieben Uhr und so weiter im lustigen Ding. Das ist kein schwarzer Glaube, zugegeben, wie unsere strammen Großväter glaubten, wenn sie jeden Sonntag zur Kirche gingen und sich und ihren Enkeln dort wieder Mut und Geduld für ein Jahrhundert holten. – Das ist ein knallroter Glaube. Aber ich zweifle doch, ob Rot da besser hält als das liebe, alte Schwarz.“
„Was glaubst denn du noch, Mann aus dem urkatolischen Aungiersträßchen?“ versetzte Emmet scharf. „Thomas Moore, sag uns doch einmal deutlich, was glaubst du noch? – Du, ein braver Dublinerkatholik, dem die Mutter jeden Monat einen neuen Rosenkranz in de Hosensack steckt! Also, was glaubst du noch? – Sieh, Sara, wie er rot wird! Kein Wort weiß er dawider zu sagen. So sag´ ich es dir: an deine Gitarre und an deine Verse glaubst du, und daß unser Erin so schön und lieb als unglücklich ist, – aber dass es glücklich sein sollte, das glaubst du auch. Und weiter, dass die Wolken hübsch zum Schildern sind und die Sterne noch hübscher, jawohl, aber weiter hinauf gehst du nicht!“
„Doch, ich gehe weiter hinauf!“ entgegnete Moore fest. „Ich glaube an Gott! Ich würde ihm singen, wenn ich eine besere Gitarre hätte, als die da ist, – und ich liebe ihn und alle Menschen und vor allem meine Brüder, zum Beispiel so ein freches, grünes Genie, wie du eines bist, und so eine artige, kleine, veilchensüße Sara da und alle, alle und -“
„So reden die Dichter, hörst du, Sarah, alles neblig und wirr durcheinander! Nun, wegen mir brauchst du wirklich auch nicht mehr oder weniger zu glauben. Aber antwortest du deiner Mutter auch so poetisch, wenn sie dich am Patricktag frägt: Tom, bist du zur heiligen Kommunion gegangen?“
Es ward sehr still.
„Und wird sie mit so einer Rede wie vorhin zufrieden sein, sie, die urkatholische Werforderin?“
Erdrückendes Schweigen.
„Sag „Ja“, sag doch einmal „ja““, bat Sara inständig und zog Tom am Studentenfräcklein.
„Er kann´s nicht“, triumphierte Emmet mit prachtvollen blauen Siegeraugen. Und wirklich, Tom saß zusammengeduckt da, beide runden kleinen Hände in die Zargen der Gitarre grkallt, und sah mit seinem fettigen, herzigen Kindergesicht, worin zwei kleine Augen wie grausilberne, lustige Tröpflein schimmerten, und mit seinem frühen, dunklen Jünglingsflaum unter der breiten Nase gar kleinlaut in den Boden.

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