Patria – Kapitel 2

Patria – Kapitel 2

Robert stand vor den Sitzenden hin, faßte Tom mit der schönen, straffen Hand, die wie zum Winken und Signalgeben geschaffen schien, unterm Kinn und richtete das armselige Gesichtlein zu sich auf. Herrisch flammte er ihn an. Alle Gluten seines heißen, kämpferischen Wesens schüttete er ihm gleichsam ins weiße, wächserne, noch so ungemodelte Antlitz, dass es Tom ganz heiß wurde. Und dazu sagte er langsam und reichgestimmt wie ein Cello: „Lieber Junge, was wir da glauben, ist ja einerlei. Das Vaterland braucht Schwerter, nicht Rosenkränze und nicht Quäkerpsalmen. Möge jeder mit seinem Gott fertig werden, wie er es am besten kann! Ich achte den Glauben hoch und den Unglauben hoch, wenn nur ein jeder von den Zweien auf eigenen Füßen steht. Aber du, du, so ein Schwankender! Was spielt du hoch für eine Fledermausrolle zwischen deinem Himmel und unserer Erde! Geh ganz hinauf zu den Vögeln oder bleib ganz unten bei uns bodenfrohen Zweibeinlern!“
Nun erbleichte das Kind mit dem Jünglingsflaum. Seine weichen Tropfenaugen glitzerten härter, es kam Bewegung in dieses mollige Gesicht. Seine schönen, breiten, immer blassen Lippen schützten sich – er wollte sich aus de zwei fürchtbaren Freundeshänden befreien und hielt den Hals störrig steif.
„Nicht so!“ gebot Emmet und preßte ihn noch fester, fast wie ein Folterer. „Die Gläubigen und die Ungläubigen knnen dem Vaterland helfen. Aber die Zwitter nicht, verstehst du!“
„Roby, lieb Roby“, flehte Sara und suchte mit ihren langen, weißen, klaubenden Fingern Tom aus den eisernen Zwingen zu erlösten. „Roby -“
„Was geht dich das an, Sara!“ schalt Robert heftig und drückte Toms rundes Antlitz mit beiden unbarmherzigen Händen zwischen Stirn und Kinn immer enger zusammen. „Ich will ihn ja härter machen! Hart muß der Irländer heute sen, sehr hart!“
Sein weinheller Mund mit den scharfen, spitzen, weißen, auseinanderstehenden Zähnen sprach dieses „hart“ so wahrhaft und wunderbar aus, als wäre es auf diesen Lippen erfunden worden. Die blauen Augen waren jetzt nicht wie der Himmel anzuschauen, wenn er mit allen Sonnen lacht, sondern wenn er mit gezückten, grünen Blitzen droht.
„Robert“, rief Sara nun entschieden, „laß ihn los! Ein schöner Bereier, wenn du selber ein Tyrann wirst. – Sag nie mehr dieses wüste Wort „hart“! Nie! oder ich lauf davon!“
„Hart, hart, hart!“ wiederholte Emmet klirrend und funkensprühend, als riebe er sein eisernes Wesen an etwas anderem Eisernem. Mit der Linken zerrt er das Jüngferchen an sich. Seine Kraft reicht völlig gegen beide aus. „Hart, hart, hart! ihr müßt mich hören, ihr müßt mich leiden, ihr müßt mir -“
„Kinder, Jungens, meine Herren!“ – Frau Curran rauschte mit großen Schritten auf die verknäuelte Gruppe zu.
Sogleich ließ Emmet seine zwei Gefangenen los und machte eine edelmännische Verbeugung vor der Hausherrin. Aber er wurde nicht rot. Sein schmales, straffes, bronzefarbenes Gesicht, über dem das kurze, feine, wachsgelbe Haar wie ein Lichtschein lag, zeigte weder Überraschung noch Geniertheit. Mit großer Kaltblütigkeit lächelte er leis und sagte:
„Verzeihen Sie, Lady, wird sind eben immer noch die ungezogenen Flegel vom Trinity College.“
„Das sind wir vielleicht“, schrie Tom und sprang bebend vor Zorn mit der Gitarre vom Klappstühlchen auf; „aber wenn ich auch ein noch so heilloser Flege wäre, katholisch bin ich doch und will ich bleiben. Und ich werde wieder beichten und kommunizieren! Und vielleicht sattle ich mein juristisch bepacktes Rößlein um und trabe direkt in ein Kloster oder in ein theologisches Seminar. Dir zu leid! so steht´s! Und ich liebe das Vaterland so stark wie du!“
Er rümpfte und blähte das kugelige, fieberrote Gesicht und war sprudelvoll, dass man nur horchen und mit keinem kleinsten Sätzlein zukommen konnte. Dazu zupfte und zerrte er bei jedem kräftigeren Wort an den vier langen Saiten, dass es unwirsch herausbrummte. „Tu doch nicht immer“, zürnte er weiter, „als ob Irland dir ganz allein gehöre und nur du es lieben dürftest! O, ich möchte es einmal messen, wer es höher liebt! Ich bin gestern beim Kellanhügel gewesen, wißt, wo sich das Allentflüßchen wie ein junges, noch unschuldiges Schlingelchen herumwindet und silbergraue Weiden den ganzen Tag einander nichts als dunkle, alte Sagen zuflüstern. O, das war schön!“ – Tom wurde immer weicher und sinniger und fuhr in unberechenbrer Dichterweise fort: „Und oben bin ich auch gewesen und habe von der Kuppe die Wiesen von Kealred und die Wälder von Saffy und Fedlei, Rieger, Dundho Beklathy und hundert andere stolze alte Gemeinden gesehen. Auch die Kellanruine habe ich betrachtet, wie sie mit den drei geborstenen Fenstern in den Spiegel hinunterschaut. Und ich wollte, es wärde Mitternacht gewesen, wo Lichter darin aufgehen und Schatten vorbeihuschen und Clan Alassuren, der alte Mann, mit einer zwölfzackigen Krone in die Fluren hinunterwinkt. Und unser schönes, einziger, heiteres irisches Meer habe ich zuletzt gesehen, das schönste von allen. Wo gibt es ein solches Meer! – Es ist nicht blau wie bei Neapel und nicht grün wie oben bei den Schottländern und nicht grau wie gegen die Norweger hinauf. O, es ist gemischt aus Erde und Himmel und Wolken zu einer unsagbar feinen geheimen Farbe, die kein Maler nachpinseln kann. Es ist die Farbe der Märchen und der alten Kirchenfenster und der frommen, tapfern Irländerinnenaugen. O wie lieb ich das alles -“
Ohne zu wissen, wieso er zu diesem Satze kam und warum er´s tat, griff er klangselig mit seinen runden, behenden Fingern in die Gitarre, und ohne etwas anzublicken als das, was er, dieser Stube entrückt, im Geiste sah, nämlich hohe, köstliche Dinge aus seinem Poetenkönigreich, sang er jetzt davon mit seinem süßen, jungen Tenor. Halb schloß er die Augen, und niemand wußte, ob diese Verse aus dem Gedächtnis odr einem alten Papier oder dem Hauch des schöpferischen Augenblickes entnommen seien.
Robert lachte und spottete nicht mehr. Er liebte wie ale edlen Iren das Lied, so sehr er die Liedersänge Weichlinge schalt. „Pst!“ machte er, da schon alles mäuschenstill war, und ahmte mir erregtem Haupt den Rhytmus der Strophe nach.
Tom aber sang

„O meerumflutetes Dulderland,
Kein Eroberer kann dich besiegen.
Deine Wiesen sind reicher als Königsgewand,
Dein Wald tausend Jahre vor London stand,
Deine Knie sind nicht zu biegen!“

„Deine Knie sind nicht zu biegen“, flüsterte Roby feierlich nach.

„O Mutterinsel und Tor der Welt,
Gottgesegnet und menschengepeinigt,
Du schaust deine ganze herrliche Welt
Erst im Tode wie jener früheste Held,
Den Tyrannen zu Tode gesteinigt.“

„Den Tyrannen zu Tode gesteinigt“, schwärmte Roby wieder nach und drückte im Stolz und Wolfsein solcher Verse dem staunenden Mädchen neben ihm innig die Hand.

„Wenn eins von dem, was glorreich stand,
Nur noch Ruinen melden
Blühst du noch fort am Wüstenrand
Der Erbe als das letzte Land
Von Heiligen und Helden.“

Hier hörte Tom auf. Seine Hände zitterten noch über den Saiten, und seine weichen Äuglein blickten noch immer durch die Fenster und alle sichtbare Welt in etwas Ewiges hinaus.
„Von Heiligen und Helden!“ jubelte Robert Emmet. „O wie wunderbar hast du gedichtet! Verzeih mir alle Grobheiten! Du bist wahrhaft ein Sänger wie Ossian und Burns! Dein Lied ist hundert Gewehre wert.“
Damit rannte Emmet wild auf den rundlichen, mehr und mehr der Wirklichkeit zurückgegebenen Tom zu und umarmte und küßte ihn so heftig, dass in Sara eine rasche, kleine Eifersucht aufstieg. Nur ein Schatten! aber der gescheite Bursche hatte es gleich entdeckt.
„Und du auch, Sara, küß ihn!“ befahl er begeistert. „Du bist ja Irland, das grüne, junge, frische Irland. Küß ihn, deinen Singknaben!“ – Und Emmet drängte die beiden scheuen Persönchen zusammen und sah neidlos zu, wie das blondzopfige, sechzehnjährige Irland den siebzehnjährigen, flaumbärten Skalden Thomas Moore mitten aufs liedervolle, runde Mäulchen küßte.
„Aber ich“, scherzte Frau Curran, „ich habe natürlich wieder einmal nichts dazu zu sagen. Das sind Zeiten, wo die Mütter in der Weltgeschichte und in der Kinderstube nur noch zuschauen und schweigen dürfen!“
„Reden Sie, befehlen Sie, gebieten Sie, kommandieren Sie! Wir tun, was Sie wollen! Soll ich auf London mrschieren? oder das Dubliner Schloß in die Luft sprengen? oder eine Schaluppe nehmen und die englische Kriegsflotte in Grund und Boden stechen? Was soll ich?“
Und Emmet schwang die Mütze über dem Kopf, als ob nur noch das zur Ausführung seiner Weltpläne gefehlt hätte. Als aber Lady Curran sich weder für eine Belagerung zu Land noch für eine Seeschlacht entschließen konnte, trommelte Emmet einstweilen den verbotenen irischen Eichelbubenmarsch im wütenden Sechszehnteltakt über alle Tische und Stühle und Fenster des Saales. Und man konnte glauben, ganz Irland sei aufgestanden und marschiere in einem stürmischen Paradeschritt durch diese Stube und n seinem künftigen Führer vorbei.

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