Patria – Kapitel 4

Patria – Kapitel 4

Und weiter geht die Anklage. Im Gefängnis von Castelblack ist Friol an den Prügeln der Büttel gestorben. Im Waisenhaus von Lodsring werden nur noch englische Waisen aufgenommen, und doch haben die Iren die Anstalt gestiftet. Dem Studenten Middlesghor bot man einen Sekretärposten an, wenn er sogleich ntrete, also morgen die Prüfung als Bachelor nicht mache. Er hätte sie flott bestanden. Das wußten die Herren. Aber er war ein zäher Ire und katholisch. Und er wollte Professor werden. Jetzt ist er unschädlich, denn er hat den Vertrag unterschrieben und ist eben nach London verreist.
„Streicht ihn aus unserem Verzeichnis“, ruft Emmet mit eisigem Ton.
„Das ist zu stark“, wendet Brown ein, das bricht ihn ganz.“
„Dann war er vorher schon geknickt“, weist ihn Roby ab.
„Aber seine Mutter ist eine arme, kranke Spetterin und der Vater ein Trinker. Er tat´s für die Eltern“, erlaubt sich Brown nochmals zu entgegnen.
„Es gibt zur Stunde keine ärmere Mutter als Irland“, gab Emmet zurück. „Möge sie alle andern Mütter überleben – auch die meinige, die ich doch liebe wie ihr die eurigen.“
„Die Rede ist hart!“ lispelt Tom. Ihm ging gar nichts auf Erden über seine liebe, kleine, geschickte Mutter Anastasia.
Niemand redete emhr.
„Du, Tom, du willst noch etwas sagen, nicht?“
„Ich – j, aber – da kommt er!“
Es klopfte und rutschte wieder vor der Tür. Der Eichelbub Corte wand sich mit einem unbekannten, etwas älteren, prächtigen Burschen herain. „Daniel O´Connell!, sagte er, den Kameraden seinen Freunden vorstellend.
Unwillig erhob sich dieser vom Boden und sah mit einem gewissen Gefühl gekränkter Würde im Zimmer herum. Emmet stand nicht auf, sondern neigte nur höflich den Kopf und deutete auf eine noch unbesetzte Kiste, wenn O`Connell etwa sitzen wolle. Dann nickte er Tom zu, seine Sache auszupacken.
Alle suchten im elenden Licht einer Talgkerze und jener Stalllampe doch noch etwa einen Schimmer des weißen Tomgesichtes zu entdeckten. Man hörte den Dichter gern reden; aber wenn man ihm dazu ins entflammte Gesicht schauen konnte, war es wie eine blühende Illustration zum Text.
„Es ist eine… ich bin nämlich…. ich habe… es ist eine Hochzeit vom Sheriff noch im letzten Aufgenblick vor dem Pfarrer auseinandergerissen worden.“
„Wo?“ bat Emmet mit ungewohnter Lebhaftigkeit.
„In.. ihr wißt… ich bin katholisch… ich gehe aber doch leider nicht zu häufig in die Kirche – aber heute bin ich einmal wieder zur Beichte gegangen; jawohl, Emmet!“
Es waren weit mehr Protestanten hier als Katholiken umd mehr Freigeister als Protestanten. Aber keine Lippe lachte, nicht einmal die stets offenen des Spötters Corbet junior. Man hörte Tom mit einer höflichen Ehrerbietigkeit zu.
„Und da ich gerade meine Buße abbetete, wurde oben im Chore ein junges Paar getraut. Wie schön war die kleine, zierliche Braut im Schleier! Sie stand mit dem stattlichen Bräutigam am Altar, Father cornaly hüllte die Stola um ihre verschlungenen Hände und“ –
„Wie schön das ist!“ flüsterte Emmet, der an ein ganz anderes, viel näheres Paar dachte. „Wie schön ist das bei euch, so poetisch!“
„Es ist mehr als Poesie“, warf jetz eine lebhafte, große Stimme ein, die man in diesem Stüblein noch nie gehört hatte, „es ist ein Sakrament! Es heißt: Ihr bleibt für immer in Liebe, und was in Gottes Namen nicht sein soll, in truer Pflicht verbunden, s0 daß euch nichts als der Tod scheiden kann!“
„Es ist wunderbar!“ lobte Emmet. Unlösbare ewige Liebe!“
„Und immer schwebt mir dieses Sakrament vor, wenn ich an Erin und sein Volk denke. So unzertrennlich sollen sie verbunden sein.“
Ein lieser, vielstimmiger Beifall folgte O´Connells weihevollem Spruch.
Das ist fürwahr ein neuer Redner, dachte Emmet.
Er spricht wie ein Dichter, sagte sich Tom.
„Und was geschah?“ forderte Emmet laut.
„Nun fing ds herrliche Gebet von dem Rebstock und den Zweigen und von einem Leib in zwei Seelen und einer Seele in zweifachem Leibe an – als plötzlich vom Portal ein Halt erscholl und ein Trüpplein Polizisten unheilig genut zum Chor hinaufrannten. Der Mann ist protestantisch, die Frau katholisch; also – hieß es – darf die Ehe nicht statthaben. Es ist gegen das Gesetz, dass ein Protestant sich in die katholische Gemeinschaft hineinreirate. – Und wie sich die kaum Vereinigten auch umklammern, das Militär reißt sie voneinander; der Bräutigam wird ins Kastell geworfen, die Braut in ihre Familie zurückgesandt und samt dem Pfarrer schwer mit Geld gebüßt, – und wir“ – Tom erhob die schöne, helle Stimme wie ein Trompetlein, „wir wissen wieder, dass wir nicht Menschen, sondern Tiere sind. Denn der Englander darf mit allen Menschen der Welt heiraten, mit Hottentotten, wenn er will. Nur mit dem katholischen Irländer und mit dem Tier gibt es für ihn keine Verbindung. – Der Bräutigam, heißt es, habe sich unterwegs entleiben wollen.“
„Ah! jerras, jerras!“ scholl es düster. Alle diese reifenden, mannbaren Burschen blühten auf in einem großen, blutigen Zorn. Emmets lange, eisblaue Augen funkelten furchtbar.
„Unterstreiche das, Schreiber Lersby, dreimal unterstreiche es!“ herrschte er den Aktuar in der Ecke an. „Das ist die größte Klage heut´ abend!“
„Mir scheint die kleinste“, klang jene lebhafte, große Stime wieder tapfer durchs Stüblein.
Erstaunt und unwillig erhoben sich die blondgeschorenen Köpfe nach dem Sprecher.
„Wieso die kleinste?“ fragte Emmet finster. „Was hast du gegen uns?“
„Ich bin drei oder vier Jahre älter als ihr und bin mit den Studien zu Ende. In London habe ich schon einige glückliche Prozesse an Stelle meines Prinzipals für Irländer geführt. Bevor ich jetzt eine eigene Advokatenstube in der großen Stadt aufstelle, wollte ich nochmals meine Heimat durchreisen, und da ich gehört habe, wie die Dubliner eifrige Vaterlandsfreunde sind, so zog es mich an Händen und Füßen hierher. Denn von niemand, auch in dieser Kammer nicht, lasse ich mich an Patriotismus übertreffen. Wenn ich jetzt ein Rechtsbureau im Antlitz des Feindes errichte, so will ich vor allem Irland damit dienen -“
„Bravo, bravo; habe Glück, Bruder!“ unterbrachen ihn lebhafte Hörer.
„Und kein Tag soll vergehen, dass ich nicht die Schreie Iralnds durch die Hauptstadt weiterschreie bis ins Ohr des Parlaments und des Königs. So will ich fechten.“
„Spiele jeder nach seiner Weise!“ sagte Emmet kühl.
„Aber deine Weise kling falsch, edler, kühner Emmet! – Es will mir nicht gefallen, dass ihr in solchen Löchern wie Füchse und Marder zusammenkommt, statt unter freiem Himmel oder in einem offenen Saal zu tagen. – Ich schäme mich vor diesem Staub den Knien. Ich sterbe fürs Vaterland, aber ich rutsche nie seinetwegen, auch zum Versteck nicht. Das Vaterland braucht keine Verstecke. Was wahr ist, darf man offen klagen. Ihr wollt Gewalt, das sieht man. Es nutzt euch sicher nichts und kostet unser armes Land neues Blut. – Laß, laß, Freund Emmet, – ich muß fertig reden. Nicht einmal die ersten Christen in den Katakomben haben Gewalt gebraucht. Und wahrlich, soschlimm uns geschieht, in Katakombenzeiten schmachten wir nicht mehr! – Und ihr laßt die Religion aus dem Spiel. – Aber ohne Religion kenne ich keine Freiheit für Irland, als die der Tiere und der Verrückten!“ –
„Seid still!“ gebot Emmet mit mächtiger Selbstbeherrschung in das widerstrebende, zürnende Gebaren seiner urplötzlich umgestimmten Zuhörer.
„Vor allem dürft ihr doch kein Gesetz umstürzen, das gerecht ist, wenn es auch ungerecht gedacht war. Was schimpft ihr so wegen jener Mischehe? Hat die katholische Kirche sie etwa nicht auch verpönt? Sagt England: Ihr Engländer seid mir zu gut an ein katholisches irisches Ehegespons! – so gagte unsere Kirche: Ihr katholischen Iren seid mir zu gut an einen Quäker oder Pietisten oder Hochkirchler Englands! Ihr seid mir viel zu gut, um religiöse Bastarde und Hälblinge und Zwitter zu erzeugen! Ihr seid mir, o Söhne, mit eurem köstlichen uralten Glauben viel zu gut, um euch an England mit seiner so viel ärmeren Gläubigkeit, ja mit seiner dürren Freigeisterei an den Hals zu werfen. Ihr gebt zuviel an zuwenig! Mag uns England von seinen Hochzeiten ausschließen mit Recht oder nicht. Aber die Kirche tut es mit Recht!“
„Hier sind fast nur Protestanten, O`Connell!“ belehrte Tom schüchtern.
„Aber die Liebe ist doch nicht katholisch und nicht reformiert“, stritt Emmet.
„Aber was dieser Liebe entspringt, dass kommende irische Geschlecht, unsere Zukunft, ist dann auch keines von beiden mehr. Und das wäre Irlands Tod, Freund!“
„Laßt die Religion aus dem Spiel!“ schrien einige unwillig.
„Nein, nein, die gehört ins Befreiungswerk!“ rief O`Connell feierlich. „Wir Katholiken wollen keine Revolution. Wir wollen einen Kampf mit den Waffen der Gesetze, der Gelehrsamkeit, die mächtigen Zeitungsartikel und Volksreden, der Wahlen, Klagen, Bitten, Beschwerden und sogar der Drohungen, wenn es anders nicht sein kann. Da lassen wir dem Feind keine Ruhe. Aber wir sind Befreier, nicht Verschwörer. Hier bin ich – verzeiht mir! – in ein Verschwörernest geraten, wo ich doch meinte, an einen Herd irischer Freiheit zu kommen! – Ich hoffe, keine Katholik macht da mit.“
Ein unglaublicher Tumult entstand. Man schob sich mit Ellbogen und Fäusten drohend gegen den älteren Landsmann vor, an dem schon die halb englische Aussprache mißfiel. „Philister, Feigling, Quäker“, schrie es durcheinander. „Geh und verklag uns doch! – Deine Räte sind für Greise! – Worte, Worte! Was hat Irland bis heute mit Worten erreicht?“
„Und was mit Pulver und mit Degen?“ fragte O`Connell.
„Du wirst bald sehen, was! Geh du nach London, geh vom Feuer! Kinder verbrennen sich freilich daran!“ so scholl es hin und her, Spott und Grimm auf einer Lippe. „Zieh Pantoffel an und sitzt hinter den Ofen und stopfe Watte ins Ohr, wenn du den ersten Schuß hörst, du armer Fürsprech des Geducktseins und der Peitsche!“
O´Connell stand ruhig da, mit einer furchtlosen, aber schmerzhafen Miene. Er war von Augenblick zu Augenblick mehr enttäuscht, je roher diese Gesellschaft ihre wilde Parteifarbe entlarvte. „Wohl, wohl, jetzt zeigt ihr mir euer wahres Gesicht“, donnerte er in den Trubel. „Ih ertragt keinen Tadel, ihr beweist nichts, ihr schimpft! – O laßt, laßt! – Ihr braucht mich nicht hinauszuwerfen. Ich gehe schon!“ Er suchte langsam und mit Ekel die Kriechtüre zu erreichen.
Emmet blieb äußerlich gelassen und höflich und wollte den Aufruhr beschwichtigen.
Aber es war zu spät. Diese prächtigen, lieben Iren mußten ausgetobt haben. Sie redeten sich mit dem eigenen Wort in immer größere Wildheit. „Schulmeister! – Moralprediger! – Pfäfflein!“ regnete es durch die dumpfe Zimmerluft auf in ein. Man erhob Stühle und Kissen, tastete nach dem Gürtelmesser und den verborgenen Pistolen, und als Daniel bitter fragte: „Wo geht es denn da an die gesunde, frische Luft hinaus?“ da ward der Rummel so groß, dass Emmet nicht anderes mehr wußte, als den Vereinsdegen von der Wand zu reißen und blitzend über die Köpfe zu schwingen.
Er wollte rufen, ob man sich heut abend noch verderben wolle! Aber das war das Verdeben schon vor der Türe. – Denn nun hörten alle trotz des Lärms da drinnen schwerde Schläge an die Wand. Vor dem Türchen rutsche man draußen etwas weg. Den Kasten! Das Getrampel vieler Schuhe würde über die Stiegen laut, Stimmen riefen, die ganze Kammer zitterte.
Im Nu war man da drinnen wieder eins, und Totenstille war auf einmal da.
„Wir haben uns verraten“, sagte Emmet schmerzlich, – „Barrikaden vor!“ Hierauf wandte er sich an O`Connell, der ein ganzes Bett vor die Tür schleifte, und fuhr fort: „Nichts tut mir so leid, als dass wir dich mit in Gefahr stürzen.“ – Dann half er mit, Bretter, Kisten, Säcke vor die Tür zu schleppen und mit Stricken Hindernisse zu spannen.
Ein Pfiff erscholl irgendwoher.
„Glückauf, das ist der Wirt! – da unten im Garten! – nun zum Fenster hinaus! So lange halten wir die Schanzen fort! – Vorwärts, Eichelbuben; der Schreiber mit dem Protokoll voran! – so jetzt die Kasse, Deith – jetz du, Daniel O´Connell!“ – regierte Emmet mit göttlicher Kaltblütigkeit.
„Rettet nur ihr euch zuerst!“ bat Daniel ruhig. „Ich bin weniger in Gefahr als ihr Studenten.“
„Geh sogleich!“ drängte Emmet stolz. „Du bist unser Gast!“
Durchs kleine Schiebfensterchen zwängte sich einer nach dem andern ins Spalierlaub und vollständige Dunkel der Nacht hinaus und ließ sich an den Zweigen in den Hof gleiten. Vor der Tür polterte es gewaltig. Die ersten Axtstreiche dröhnten.
„Nun du, Tom, du bist katholisch – wer ist noch katholisch? – Serckett, ja – und Freshman! – bleibt einstweilen von unsern Versammlungen weg – euch erginge es am härtesten! – ja, bleibt nur ganz weg! wir rufen euch dann schon zur Zeit! – flieh jeder einzeln, eine andere Straße! – Morgen in der Bucht bei Creak! – nun du, Brown – Corbet – nein, vorwärts – ich gehe nicht, bis ihr alle drausen seid, – ich bin kein feiger Kapitän.“
Er harrte mutig aus in seinem Schiff, wie auch der Sturm vor der Türe brandete und die Wände krachten und ein Stück der Barrikade nach dem andern fiel. – Er las die letzten Papiere vom Boden auf und eine Kupfermünze aus der Kasse dazu, die entfallen war, löschte dann die Lichter und schwang sich übers Gesims als letzter hinaus. „Aus dem Garten, fort“, rief er leis hinunter, da er im Dunkel noch eine Gestalt bemerkte. Es war das kleine, treue, dicke Goeshündlein. Ungern trollte es sich von hinnen. Emmet aber blieb rittlings auf dem Fensterbrett, zum Sprung gefasst, bis die Kammertüre mit Stricken und Balken riß und sich ein Trüpplein Bewaffneter in die finstere Stube würgte.
„Engländer!“ höhnte es ihnen von irgendwoher entgegen! „wenn ihr irische Nester ausnehm wollt, müßt ihr früher aufstehen. Unsere Hühner legen die Eier bezeiten.“ –
Ein paar Schreie der Wut, zwei Pistolenschüsse aufs geratewohl, zerschmettertes Geschirr und weit draußen im dunkel ein paar letzte, ferne, lachende Schritte des übermütigen, unfassbaren Eichelbuben.
Es war zur Zeit der Examen am Trinity College!

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